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3 Seiten

EINES TAGES ...

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Middel
"Eines Tages wirst du mich fragen, was mir wichtiger ist: Du oder mein Leben. Ich werde antworten, mein Leben. Und du wirst mich verlassen, ohne zu wissen, dass du mein Leben bist." - Unbekannter Autor

Das Bett war noch warm als du gingst. Ich brauchte nach dem Aufwachen einige Sekunden um mir darüber klar zu werden, dass du nun wieder bei ihm sein würdest. Dich nicht in meiner Nähe zu haben, dich nicht ansehen, mit dir reden zu können, dich nicht zu spüren war das Eine, aber zu wissen, da gibt es jemanden, der genau das alles hat, war das Andere. Und „das Andere“ raubte mir den Atem, die Kraft zu Leben. An diesen Tagen, wenn du so weit weg warst, wie nie zuvor in meinem Leben, fiel es mir unglaublich schwer nicht durchzudrehen und etwas Dummes zu tun.
Ich duschte, zog mich an und automatisierte das, was es zuließ automatisiert zu werden. Alles dauerte länger und ich ertappte mich immer wieder dabei sekundenlang nichts zu tun. Warum nur, dachte ich in diesen ewigen Sekunden, warum nur muss das alles so kompliziert sein? Ich wusste, wie es weitergehen würde an diesem Tag, ich kannte diese Phase des „Entwöhnens“ schon sehr gut. Irgendwann heute Nachmittag würde ich schon wieder etwas essen können und mir selbst sagen „Nie wieder!“ Ich würde mir einreden, dass ich mich nicht so abhängig von dir machen darf und dass ich selber fordernder, aktiver werden müsste. Wenn ich dich nur stark genug lieben und dir das zeigen würde, du würdest einsehen, dass du ihn nicht brauchst. Aber bis zum Nachmittag galt es durchzuhalten.
Erst mal kamen die Erinnerungen. Erinnerungen all das, was das spätere Leiden erstens so unerträglich machte und es zweitens zuließ, dass ich bereit war so viel für diese wenigen Stunden zu opfern. Dabei waren diese Gedanken kein fortlaufender Film, sondern Momentaufnahmen, teils Bilder, teils Eindrücke und Empfindungen. Dein Gesicht, während wir uns anschauen, dein Parfüm, dein leises Seufzen, während wir uns lieben oder dein sanftes, gleichmäßiges Atmen in der Nacht. All diese Bilder wurden aber immer wieder verdrängt vom lästigen Blick in den Spiegel, dem Geruch meines Duschgels und dem Klang des Radios ...
Gott sei dank war Montag, also musste ich arbeiten und wenn man etwas tut, egal was, denkt man nicht so viel nach. Einfach, aber effektiv! Auch das war mir morgens schon bewusst gewesen und ich freute mich regelrecht darauf etwas machen zu können, dass nichts mit dir zu tun hat. Doch zuerst kam die Bahnfahrt und die zog sich endlos dahin. Aus gefahrenen 15km wurden gefühlte 15 000 und ich versuchte mich mit allem Möglichen abzulenken. Es gelang mir – wie zu erwarten war – nicht. Immer wieder kam dieses Gefühl in mir hoch, zum Telefon greifen zu müssen und mit dir zu reden. Einfach nur reden. Nie im Leben hätte ich zuvor geahnt, wie sehr mich der Gedanke mit jemandem „nur reden“ zu wollen, hypnotisieren könnte. Mehrmals war ich drauf und dran das Handy herauszuholen, doch jedes Mal warnte mich eine innere Stimme davor. Zuletzt war es lediglich die Tatsache, dass ich aussteigen musste, die mich davor bewahrte „es“ zu tun.
Der Tag verging schneller als erwartet, auch weil mich die Kollegen ganz schön auf Trapp hielten. Mir konnte es diesmal nur recht sein, dass keiner wirklich Ahnung hatte von dem neuen Projekt und dass man mir die Leitung übertragen hatte. War es mir sonst eher lästig gewesen diese vielen Fragen zu beantworten, Anweisungen zu geben und zu organisieren, bzw. delegieren, so war es diesmal geradezu eine Wohltat.
Nachmittags fragte ich mich mal wieder selber, wie ich, der mit beiden Beinen im Leben steht und früher einmal jeder Frau hinterhergeschaut hat – und jede zweite mit zu sich nach Hause nahm – so monogam werden konnte. Wie hatte eine, zugegebenermaßen wunderschöne und faszinierende Frau – es geschafft, mich so umzupolen? Und was hieß schon früher? Schließlich kannten wir uns erst 4 Monate. Für meine Verhältnisse eine lange Zeit, aber um einen Menschen um 180 Grad zu drehen schon beachtlich kurz.
Nachdem ich meine Kollegin Tanja nun zum wiederholten Male vertröstet hatte, sie wollte nach der Arbeit mit mir „noch etwas trinken“ gehen, war ich auf der Rückfahrt wieder mir oder besser DIR überlassen. Wenn auch innerlich schon ein wenig gefasster, so war ich doch immer noch hin und weg von dem zurückliegenden Wochenende.
Zuhause angekommen traf mich fast der Schlag, ich war versucht an übernatürliches zu glauben – und das als strenger Atheist. Da saß doch tatsächlich ein Engel vor meiner Tür. Schier unendlich scheinende Momente verharrte ich, nur Meter von dir entfernt, bevor ich den Mut, aber nicht die Kraft aufbrachte etwas zu sagen. Es kam nur ein undefinierbares Geräusch aus meinem Mund, welches aber zumindest bewirkte, dass du hochschautest und mich ansahst. Und mir stockte der Atem.
„Ich hab es nicht mehr ausgehalten und ich habe dich so sehr vermisst!“ Wie lange hatte ich auf diese Worte gewartet? Wie viele einsame Stunden diesen Moment herbeigesehnt? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, von heute an wird alles anders ...
 
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Kommentare  

man vermißt jemanden/etwas erst, wenn man es nicht mehr hat. erst dann wird dessen bedeutung für einen klar

dionigia (20.03.2007)

Es gibt da so ein Lied von Illegal 2001 "besoffen bin ich nur von dir".

Du hast mich auf der Seite dieses lyrischen Ichs


PoetySmurf (04.05.2006)

touched!

Sofi Díaz (02.05.2006)

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