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19 Seiten

Ahrok - 19. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Neunzehntes Kapitel: Phoenix

„Du stürmst an wie ein irrer Widder“, kritisierte ihn Sigurd, nachdem er ihn gerade wieder in den Staub geschickt hatte. „Gedankenlos, wild und ohne Scheu.“ Ahrok spuckte Dreck aus. Vorsichtig tastete er nach seiner Holzwaffe. „Ich mag deine Einstellung dem Kampf gegenüber, aber das hier ist keine Kneipenschlägerei.“
Mit einer Rolle kam er wieder auf die Beine und deckte Sigurd mit einem wilden Hagel von Schlägen ein. Er trieb den Zwerg durch die ganze Arena, doch jener ließ alle Schläge wirkungslos an seinem Schild abgleiten.
„Du verschwendest deine Kraft. Eine wirklich schlechte Taktik gegen einen stärkeren Gegner.“
Seine Muskeln schmerzten. Er hörte nicht die Stimmen um sich herum, spürte nicht die frische Brise, die just in diesem Moment über die Dächer glitt. Alles was er sah, war dieser alte Zwerg – und er wollte ihm wehtun. Die Finger konnten das Heft der Übungswaffe kaum noch halten, aber er drosch immer weiter auf den Schild ein.
„Und du hörst einfach nicht zu!“
Der Zwerg stoppte in seiner Rückwärtsbewegung und machte einen Schritt nach vorn. Zu spät erkannte Ahrok, dass Sigurd seinen Schild nun zum Angriff verwendete. Als der Buckler seine Rippen traf, trieb es ihm sämtlich verbliebene Luft aus der Lunge. Er fiel in sich zusammen Unfähig, sofort wieder aufzustehen.
„Es kostet mich einen Bruchteil der Kraft, deine Schläge abzulenken. Nutze deine Größe, nutze deine Reichweite und verhindere, dass ich so nah an dich herankomme, um meine Vorteile nutzen zu können. Das ist doch wirklich nicht so schwer zu begreifen.“
Aus der Hocke schleuderte Ahrok dem Zwerg eine Handvoll Dreck entgegen. Dieser riss geblendet seinen Schild nach oben und entging damit nur knapp Ahroks verzweifeltem Angriff.
„Du kämpfst ohne Ehre!“ Das Holzschwert des Valr traf seinen Oberschenkel und zwang ihn erneut in die Knie. „Du kämpfst ohne Rücksicht!“ Sein Kopf wurde zur Seite geschleudert, als ihn der Schild am Kiefer traf. „Du kämpfst, um zu gewinnen.“ Sigurd stieß ihn mit dem Fuß zu Boden. „Das ist die richtige Einstellung. Von dem hier könnt ihr alle noch etwas lernen.“

Urguk legte die Fingerspitzen aneinander und bleckte dabei seine gelben Reißzähne. Das war ja alles noch viel besser gelaufen, als erwartet. Ursprünglich hatte der Erleuchtete nur zu hoffen gewagt, dass diese beide Quälgeister die Verräter des Kalten Blutes so lange beschäftigen würden, bis andere Oberflächler sie dann in die Flucht geschlagen hätten, doch es hatte sich alles noch viel besser entwickelt - weit besser als er sich es jemals nur erträumt hätte.
Zur Belohnung gönnte er sich einen großen Schluck Plutonwasser.
Diese zwei Städter hatten den übereifrigen Kriegsherren und sein Angriffskommando in den Staub getreten und ihre Leichen verbrannt, so dass es keine Hinweise auf die glorreiche Nyoka´tuk Armee gab, die indes beständig in den Kanälen der Stadt anwuchs.
Die Familie des Kalten Blutes, geschwächt, gedemütigt und ohne Anführer, hatte sich still und leise in sein Kommando eingereiht. Wahrscheinlich in der Hoffnung, dass ihre missglückte Sabotageaktion dem Erleuchteten nicht zu Ohren kommen würde.
Urguk lachte in sich hinein.
Er hatte einen ganzen Kriegstrupp gezüchtigt und das alles mit minimalen Verlusten und ohne dass er in die Sache verwickelt werden konnte. Jetzt musste er sich nur noch die zwei Oberflächler vom Hals schaffen, dann konnte er sich ganz darauf konzentrieren die Vernichtung dieser Stadt einzuleiten.
Der Tod der beiden war unvermeidlich – aus vielerlei Gründen.
Er hatte sie geschaffen. Ihre unbedeutende Existenz zu etwas Großem, Epischen aufgeblasen, um sein eigene Fehleinschätzung vor den kritischen Augen des Rates zu kaschieren und jetzt hatte sich Ihre Legende unkontrolliert verselbstständigt. Es war zwar unwahrscheinlich, dass sie je wieder seinen Weg kreuzen würden, aber das spektakuläres Ableben der größten Krieger der Oberfläche würde die Moral der Truppe in ungeahnte Höhen anheben und ihm sämtliche Loyalität sichern.
Das Leben war wunderbar.
In diesen Wochen fühlte er sich wirklich wie ein Erleuchteter, wie ein von den Geistern berührter, dem einfach alles gelingen würde.
Sein Adjutant öffnete die Tür und verkündete mit einem simplen Kopfnicken, dass erneut Verstärkung eingetroffen war.
Der Rat der Schlange hatte sein Potential und das Potential dieses Krieges endlich erkannt und schickte beständig neue Kämpfer und seine Streitmacht wuchs mit jedem Tag.
Es war nur noch eine Frage von ein paar Monaten, wenn nicht Wochen, bis es endgültig Zeit war, hier einzumarschieren und die Stadt in ihren Grundfesten zu erschüttern, die Häuser einzureißen und einen jeden Oberflächler abzuschlachten, so wie sie es verdienten. Die Rache der Nyoka´tuk würde einen epochalen Auftakt durch die Zerstörung dieser derart gewaltigen Stadt finden.
Die Menschen glaubten den uralten Krieg gewonnen und seine Rasse auf ewig besiegt.
Urguk würde ihnen zeigen, wie grässlich sie sich geirrt hatten.
Jahrtausende der Verbannung, Jahrhunderte des Hasses und Jahrzehnte der Planung - alles gipfelte hier in diesem, seinem Vorhaben.
Pläne für die Vernichtung der gesamten Spezies mussten entworfen werden. Die Nyoka´tuk würden nicht den gleichen Fehler machen und die Besiegten am Leben lassen, um ihnen damit die Gelegenheit zur Rache zu geben, doch diese durchaus wichtigen Pläne mussten vorerst hinter dringenderen Aufgaben zurückstehen.
Obwohl die beiden Schlachter des Kalten Blutes in den letzten Wochen nicht in Erscheinung getreten waren, so hatte Pythos mehrfach davon berichtet, dass sie noch immer am Leben und nicht mit den verräterischen Schlangen gefallen waren.
Dutzende Schauergeschichten rankten sich mittlerweile um den Menschen mit seinem Zwerg und geisterten hinter vorgehaltener Klaue durch die Überreste der Familie des Kalten Blutes. Es war nur eine Frage der Zeit, bis andere Familien davon erfahren und diese Geschichten dann die Moral seiner Armee untergraben würden.
Pythos war Nacht für Nacht in ihrer Nähe und studierte ihre Gewohnheiten, um eine Schwachstelle zu finden oder zumindest eine günstige Gelegenheit, um sie möglichst spektakulär loszuwerden.
Parallel dazu arbeiteten bereits die klügsten Köpfe seiner Streitmacht an einer unaufhaltsamen, biologischen Waffe, um die viel zu zahlreichen Verteidiger der Stadt im Vorfeld möglichst reibungslos und verlustfrei zu dezimieren.
Natürlich wurden diese Forschungen an einen entfernten Ort, fern ab der Hauptstreitmacht betrieben. Es gab nichts schlimmeres, als eine dieser abartigen Krankheiten durch die eigenen Reihen fegen zu sehen, noch bevor der Kampf begonnen hatte.
Es wäre schließlich nicht das erste Mal in der Geschichte seines herrlichen Volkes, dass so etwas passierte. „Nana timak“ nannten es die Verantwortlichen dann nur teilnahmslos und dies konnte er sich nicht erlauben.
Der Zeitpunkt der Invasion war nun zum Greifen nah.

Ahrok fühlte sich wie gerädert.
Endloses Verharren in wirklich, wirklich unbequemen Positionen während andere Schüler mit Holzstäben auf ihn einprügelten nahmen einen Großteil seiner Ausbildung ein. Ebenso das Schlagtraining in Schalen voll heißen Steinen, ganz zu schweigen vom Laufen über glühende Kohlen und all solch Schwachsinn. Prellungen, blaue Flecken und allerlei Quetschungen waren bisher das einzige Resultat des nun schon seit mehr als drei Wochen andauernden Trainings.
„Blaue Flecken machen schnelle Beine.“ So ein Blödsinn.
Lauftraining, Krafttraining und natürlich noch Übungskämpfe. Nein, nicht nur die mit hölzernen Waffen, oh nein. Gimachti Kruchon. Zum Training. Zur Verbesserung der mentalen Stärke.
Wer kam auf so was?
Es verging kein Tag, an dem er nicht mit höllisch schmerzendem Unterleib aus der Ohnmacht erwachte. Jetzt war es gewiss. Alle Zwerge hatten sich gegen ihn verschworen und beschlossen, dass er nie Nachkommen zeugen sollte. Denn selbst wenn sein grün und blau geschwollener kleiner Ahrok je wieder in Aktion treten würde, hatten diese endlosen Tritte wohl schon längst allen Samen abgetötet. Wehmütig dachte er dabei an Sandra, die er nun schon seit drei Wochen nur flüchtig in der Nachtschicht gesehen hatte.
Es war ihm beinahe so, als würde sie ihm aus dem Weg gehen. Sie verbrachten nicht einmal mehr die Nächte zusammen. Andererseits hatte er auch keine Lust nach harten Tagen wie diesen, sich auch noch um Sandras angeschlagene Gefühlswelt zu kümmern.
Er hatte keine Kraft, um sich über ihre ständig wechselnden Launen Gedanken zu machen, denn dafür nahmen ihn Sigurd und seine Zwergenbande zu sehr in Anspruch.
Jeden Tag bezog er acht Stunden lang Prügel, darauf folgte die Stunde Fußmarsch zurück zur „Pinkelnden Sau“ und im Anschluss daran eine sechs Stunden Schicht als Rausschmeißer.
Auch wenn es während ihrer Arbeitszeit nicht viel mehr zu tun gab als böse und streng zu gucken, war es dennoch anstrengend genug nach einem solchen Tag.
„Ihr seid zu spät – wie üblich“, tadelte Hans, als die beiden Krieger völlig zerschunden seine Taverne betraten. „Eure Schicht hat schon vor ´ner halben Stunde angefangen. Sechzehn Uhr, falls ihr das vergessen habt.“
Ahrok verkniff sich ein genervtes „Leck mich!“, nickte nur kurz und nahm seinen Platz seitlich der Theke ein. Er brauchte diese Arbeit und diese Unterkunft, denn schließlich waren Ragnar und er gesuchte Verbrecher und obendrein gnadenlos pleite.
Ein kurzer Blick in die Runde der Anwesenden bestätigte Ahrok, dass sich heute nur die üblichen Weicheier unter den Gästen befanden. Familienväter und heruntergekommene Spiegeltrinker. Es würde also keinen Stress geben und wie auch schon in den letzten Wochen war er wieder einmal froh darüber. Wahrscheinlich würde er im Falle eines Streites nicht einmal mehr seinen merklich geschwollenen Arm heben können.
Intensivtraining hatte Sigurd das genannt.
Normalerweise dauerte die Ausbildung unter dem ´Meister der Unempfindlichkeit´ mehrere Monate, doch Ragnar hatte beschlossen, nicht so viel Zeit damit zu verschwenden und um dieses Intensivtraining gebeten. Es gab viele Dinge wofür er den Zwerg hasste. Seine Arroganz, seinen Gestank und seine ewige Geheimniskrämerei, aber besonders hasste er ihn für dieses Intensivtraining.
Ragnar trat auch prompt neben ihn und massierte sich die Oberschenkel. Der Valr schüttelte den Kopf und grinste.
„Ich fass es immer noch nicht, dass du Sigurd herausgefordert hast. In ganz Märkteburg gibt es keinen, der Sigurd herausfordern würde. Scheiße, nicht mal ich würde mir von Sigurd freiwillig in die Eier treten lassen“
Ahrok fühlte keinen Stolz, obwohl dies sicher einer der wenigen Momente war, in denen ihm der Zwerg ein Kompliment machte. Was hätte er denn auch sonst tun können, um dort aufgenommen zu werden? Der alte Dreckszwerg hatte ihn unverhohlen mit aller Macht von seiner Schule fernhalten wollen.
„Sag mal, Ragnar, warum hasst ihr Zwerge uns Menschen eigentlich?“
Der Valr ließ von seinen Beinen ab, sah Ahrok an und hob dann nur wieder seine rechte Augenbraue.
„Wieso kommst du mir jetzt mit so was?“
„Na ja, du weißt schon...“
„Wenn ich Menschen hassen würde, dann hätte ich hier schon längst mal aufgeräumt und weder du noch Hans und noch sonst wer würden hier so fröhlich rumspringen.“
„Ja, ja, das ist nicht, was ich...“
„Und unser König Helga die Siebte würde euch wohl kaum so friedlich hier leben lassen, euch Land und Titel verleihen und euch diese ganze Stadt hier überlassen...“ Ahrok schob das Kinn vor und lehnte sich an den Tresen. „Wir euch hassen…! Du trainierst sogar unter lauter Zwergen. Jeden Tag, Menschling! Wie kommst du nur auf...“
„Jetzt halt mal die Luft an, Ragnar. Du weißt genau, was ich meine.“ Ihre erhobenen Stimmen zogen sogleich die Aufmerksamkeit einiger Tavernengäste auf sich. „Dann ist es vielleicht nicht ´hassen´, aber ihr respektiert uns nicht. Du nennst mich Menschling und Sigurd wollte mich gar nicht erst aufnehmen, nur weil ich ein Mensch bin und all solche Dinge eben. Haltet ihr euch etwa für so viel besser?“
Ragnar stockte in der Erwiderung. Er schien die nächsten Worte neu zu überlegen und genau abzuwägen.
„Was habt ihr schon geleistet? Ihr habt diese Welt beinahe zerstört und habt den Zorn der Götter und die Dämonen über uns gebracht. Wir haben die Caer gebaut. Wir haben die Städte im Fels errichtet, in denen ihr euch in den Zeitaltern der Bestrafung versteckt. Unser König herrscht über die ganzen Ländereien der Swanmark und das Gebiet unter ihr. Zeigst du mir oder anderen Zwergen gegenüber deshalb Respekt? Kennst du unsere Götter, unsere Bräuche, unsere Sprache?“ Ahrok blieb sprachlos in diesem Hagel von Vorwürfen stehen. „Natürlich nicht. Ihr hockt hier an der Oberfläche und wir bleiben unter den Bergen. Ein jeder für sich. Wie viele Dwawi hast du denn hier oben in der Stadt schon gesehen? Nicht viele, das dürfte klar sein, denn nur wenige suchen ihr Glück außerhalb unserer gewohnten Umgebung und noch weniger Menschen zieht es unter den Fels, wenn sie nicht gerade von den Dämonen dorthin getrieben werden und so bleibt jeder für sich.
Du verlangst Respekt. Pah! Welchen Respekt sollen die stahlharten Söhne und Töchter der Berge schon dem schwachen Volk entgegen bringen? Respekt bekommt man nicht geschenkt. Man muss ihn sich verdienen. Du solltest mehr als alle anderen wissen, wovon ich rede, denn du hast ihn dir sogar bei einem Zwerg verdient, der euch über alles verachtet. Du hast Sigurd Sigurdsson nicht durch deinen Mut überzeugt, oder deine Kraft oder Zähigkeit, denn das was du geleistet hast, hat ihn sicher nicht vom Fels gehauen. Du hast gezeigt, dass du durch deine Willenskraft aus der Menge herausstichst.
Diese wankelmütige Schwäche, das Verlangen immer den einfachen Weg zu nehmen, für das ihr Menschen so berühmt seid, du hast ihm gezeigt, dass du es überwinden kannst. Und er ist daraufhin über seinen eigenen Schatten gesprungen, hat seinen Stolz hinten an gestellt und dich aufgenommen. Das fiel ihm sicher noch schwerer, als es die ganzen Prüfungen für dich waren.“
Ahrok senkte den Blick und schürzte die Lippen.
Nachdem die Worte des Zwerges verklungen waren wurde es gespenstisch still in der Pinkelnden Sau. Erst als den Gästen klar wurde, dass dieses Gespräch hier beendet war, wandten sie sich wieder einander zu.
„Na ja, wie auch immer“, wandte sich der Valr wieder seinen Schenkeln zu. „Wir hassen euch jedenfalls ni...“
„Erzähls mir.“
Ragnar blickte fragend zu ihm hoch.
„Erzähl mir von den Dawi.“
„Dwawi!“
„Dwawi. Mein ich doch. Erzähl mir was von euch.“

Pythos war den Kriegern wieder auf ihrem üblichen Weg von dem ummauerten und unzugänglichen Gelände bis hin zu ihrem Nest gefolgt. Wie jeden Abend war es darin lauter und es war heller erleuchtet als all die anderen Gebäude der Umgebung. Die Glatthäutigen feierten wie jeden Tag ihre kleinen Feste dort. Womöglich zelebrierten sie immer noch ihren kleinen Sieg über die Familie des Kalten Blutes.
Die Bedeutungslosigkeit dieses Triumphes würde ihnen allen dort drinnen nur allzu bald bewusst werden, wenn die Kämpfer der Nyoka´tuk erst über sie herfielen und sie noch bei lebendigem Leib in Stücke rissen.
Er huschte ein Stück aus dem Schatten hervor, um einen Blick durch das Fenster werfen zu können. Letztendlich musste er irgendwann etwas Nützliches zu berichten haben, um nicht doch noch seinen Nutzen für den Erleuchteten zu verlieren.
Dort hinter den Glasscheiben standen die zwei Monster und unterhielten sich angeregt. Es war jedoch viel zu laut dort drinnen, als das Pythos eines ihrer Worte verstehen konnte. Nicht das das noch von Bedeutung war.
Nach wochenlanger Überlegung und Planung war er endlich zu dem Schluss gekommen, dass ein nochmaliger Angriff auf dieses Haus nicht umsetzbar war. Dort drinnen gab es immer viel zu viele Oberflächler für ein erfolgreiches Attentat. Es war bedeutend einfacher, sie auf ihrem täglichen Weg heim ins Nest zu überfallen.
Noch während er über einen passenden Ort für den Überfall nachsann, schob sich etwas kitzelnd seine Kehle entlang. Gerade als er das vermeintlich lästige Insekt verscheuchen wollte erklang diese leise Stimme an seinem Gehörgang.
„Keine Bewegung, Schlange, oder ich stech dich ab.“
Lord Pythos erstarrte und wagte es nur ganz vorsichtig, den Kopf zu drehen.
Direkt hinter ihm stand ein Mensch mit zerzaustem, dunkelblondem Haar. Er hatte noch nie zuvor erlebt, dass haselnussbraune Auge so kalt dreinblicken konnten.
„Was macht ein Nyoka´tuk hier in Märkteburg?“
Obwohl Sprache und Haltung dieses Mal eine ganz andere waren, erkannte Pythos in dem Menschen einen der Stammgäste dieses Nestes und so zischte er nur böse als Antwort.
„Wenn du meine Sprache nicht verstehst, bist du ohne jeden Nutzen für mich.“
Zur Untermauerung dieser Worte drückte der Mensch die Klinge noch fester an seinen Hals.
Sein Atem ging schneller.
„Ich verstehe dich.“
„Na also, es geht doch.“ Das freundliche Lächeln strafte die mattierte Klinge an seiner Kehle beinahe Lügen. „Ich habe dich hier schon ein paarmal gesehen. Ich nehme an, du bist nur ein Vorbote, ein Spion einer größeren Einheit.“
Pythos nickte nur langsam, während sein Verstand Schwerstarbeit leistete. Er suchte instinktiv nach Schwachstellen in der Haltung des Fremden und gleichzeitig nach Fluchtwegen und möglichen Informationen über seinen Angreifer.
„Ja... einen Kollegen erkenne ich immer schnell. Unterhalten wir uns.“
Der Mensch zog Pythos mit sich zurück in die Schatten und nahm die Klinge von seinem Hals.
Der Meisterattentäter wandte sich dem Fremden vorsichtig zu, wohlwissend, dass er noch lange nicht außer Gefahr war. In der Dunkelheit der Gasse war von dem Menschen nicht viel zu erkennen. Sein Angreifer war unscheinbar, von Körperbau und Statur war unter der weiten und dreckigen Kleidung nichts genau zu erkennen und hätte ihn dieser Mann nicht gerade derart überrascht, so hätte Pythos ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit gezollt.
„Warum seid ihr hier? Was wollen die Kinder der Schlange in der Swanmark?“
„Ich werde unsere Pläne doch nicht dem Feind verraten!“, zischte Pythos und hoffte, dass seine Maske der Wut die Angst verbarg, die jeden Moment nach außen zu brechen drohte.
„Dem Feind? Oh, mein werter Nyoka´tuk, du irrst dich. Ich habe nichts mit den Leuten hier gemein. Meine Loyalität gilt einzig und allein der Republik. Meinetwegen mögt ihr über die ganze Swanmark hinwegfegen oder euch mit ihnen gut stellen, es ist mir gelinde gesagt scheißegal. Ich will es nur wissen.“
Lügen und Geheimnisse waren sein Tagesgeschäft. Was der Fremde hier von ihm verlangte waren bedeutende, kriegsentscheidende Informationen. So etwas würde er unter keinen Umständen preisgeben. Und so fletschte Pythos nur kopfschüttelnd die Zähne.
„Jetzt spiel hier nicht den Helden. Überlege einfach nur, wie wenig mir dein Leben bedeutet, wenn mich nicht einmal das Überleben dieser Stadt hier interessiert. Falls du mir also nicht sagst, was ich wissen will, dann durchtrenne ich dir die Fersen und während du schreiend durch die Straßen kriechst werden dann Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte Leute dieser Stadt aufwachen und dir mit lautem Geschrei zu einem wenig erfreulichen Tod verhelfen. Ich hab gehört die Menschen hier mögen es gar nicht, wenn man gegen sie in den Krieg ziehen will - und das wollt ihr doch. Oder?“
Pythos schluckte schwer. Er nahm eine demütige Pose ein und nickte dann leicht.
„Und dieses Feuer und der Aufruhr bei den Magier. Da hattet ihr doch auch eure Finger mit im Spiel.“
„Ja.“
So vorsichtig wie möglich zog Pythos eine seiner versteckten Klingen mit den Fingern aus den weiten Ärmeln.
„Ja, das hab ich mir bereits gedacht, aber was mich wirklich brennend interessiert, sind diese zwei Rausschmeißer. Der Zwerg und der Junge. Wie hängen die da mit drin? Wieso arbeiten die für euch?“
Über Pythos Züge, der gerade dabei war, seinen Griff um das Heft des Dolches zu festigen, huschte ein Ausdruck der Verwirrung. Sofort fing er sich wieder und antwortete möglichst gefasst: „Euch entgeht aber auch gar nichts. Die beiden sind Verräter am eigenen Volk. Sie haben unsere Herrlichkeit erkannt und wie unsinnig es wäre, sich uns entgegen zu stellen. Deshalb sind sie auf die Seite der Sieger gewechselt.“
Sein Gegenüber nickte nur und lächelte.
Dann, wie eine Klapperschlange stieß der Mensch vor und Pythos spürte diesen grässlichen, stechenden Schmerz in seinem Unterleib. Der Mensch riss ihn mit sich fort, bis sie an die Häuserwand prallten, seine Linke verschloss Pythos den Mund und noch immer drehte er die Klinge im Leib der Echse. Der Dolch fiel dem Weißen klirrend aus den zittrigen Fingern.
„Belüg mich nicht, Schlange! Dein Todeskampf kann Minuten dauern oder Stunden, es hängt ganz von dir ab. Verrat mir, was ich wissen will.“
Diese Schmerzen waren so tief und lähmend wie nichts, was er in seinem ganzen Leben gefühlt hatte. Sein einziger Wunsch, an den er sich mit aller Macht klammerte war, dass es schnell vorbei sein möge. Ohne jeden Widerstand sprudelten alle Einzelheiten von Urguks Plänen aus ihm heraus.
Pythos lächelte zum Schluss glücklich, als der Mensch das Messer aus seinen Eingeweiden herausriss und es ihm endlich durch die Brust ins Herz trieb.

Ahrok lehnte an dem Tresen und lauschte den Erzählungen des Valr. Der Zwerg blühte regelrecht auf, als er von alten, bärtigen Helden, großen Eroberungen oder Errungenschaften berichtete. Er hatte Ragnar noch nie so lebendig und beinahe fröhlich gesehen. Diese Geschichten schienen ihm viel zu bedeuten.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie einer der üblichen Tavernengäste durch die Tür herein getorkelt kam. Der dunkelblonde Mann schwankte zwischen den Tischen entlang und ließ sich an dem Tisch in der hintersten Ecke nieder. Ahrok erkannte ihn. Er kam seit einigen Wochen regelmäßig hier her und verbrachte seine Abende allein vor einem, höchstens zwei Bierkrügen. Er trank nicht viel, aber dafür machte er auch keinen Ärger.
Sein Blick huschte weiter durch die Taverne.
Die Gäste genossen den Abend in der üblichen Lautstärke, tranken ihr übliches Pensum und waren meilenweit davon entfernt, einen Streit anzuzetteln. Er nickte Ellen zu, die gerade ein paar leere Krüge abräumte, doch die Schankmaid wich seinem Blick peinlich berührt aus. Kira übernahm heute den Ausschank und Ragnar neben ihm redete noch immer.
Sandra befand sich, wie auch schon die letzten Abende, nicht unter den Bedienungen. Ihr schien momentan nicht allzu viel daran zu liegen, ihre eingefahrene Beziehung wieder etwas aufzufrischen oder zumindest eine Aussprache mit ihm zu suchen.
Üblicherweise wäre Ahrok sehr froh darüber gewesen und er hatte sich auch schon ein oder zwei Ausreden parat gelegt, um genau diese Gespräche zu umgehen, aber heute, aus welchem Grund auch immer, war es ihm wichtig, mit Sandra zu reden.
Sie entfremdeten sich mit jedem Tag mehr. Vielleicht wartete sie ja auch nur darauf, dass er den ersten Schritt machte und auf sie zukam.
Ahrok nickte dem Valr zu, der gerade eine Geschichte beendet hatte, bei der er schon gar nicht mehr richtig zugehört hatte.
„Behalt die Leute hier mal ´ne Weile allein im Auge. Ich geh mal hoch zu Sandra, um... du weißt schon.“
Ragnar war sichtlich enttäuscht, nickte ihm aber zustimmend zu. Also schwang er sich vom Stuhl, um sein Liebesleben wieder in Ordnung zu bringen.
Von Vorfreude beschwingt, eilte er die Treppe hinauf und stand dann vor der zweiten Tür auf der linken Seite. Ihm fehlten wie so oft die passenden Worte, aber er würde schon noch die richtigen Formulierungen finden, wenn es erst einmal so weit war.
Zögerlich ruhte seine Hand auf der Klinke.
Er wollte sich auch nicht aufdrängen. Die Schicht als Schankmaid in der „Pinkelnden Sau“ war hart und man brauchte dringend seinen Schlaf. Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie ungehalten Sandra werden konnte, wenn man ihr diesen Schlaf vorenthielt. Andererseits war es ihr ja auch immer wichtig gewesen, mit ihm über alles Mögliche zu reden.
Noch während er das Für und Wider abwog, öffnete er die Tür und trat ein.
Was er nun sah, hatte er am wenigsten erwartet. Sandra lag leise keuchend unter einem jungen Mann, den Ahrok als Stammgast der Taverne erkannte und der sich unermüdlich immer wieder in sie bohrte. Sie hatte ihre Beine fest um seine Hüften geschlungen und presste sich fordernd an ihn.
Ein vertrauter Geruch erfüllte den ganzen Raum und sorgte dafür, dass sich sein Magen verkrampfte und die Fingerspitzen von einem Augenblick zum Nächsten taub wurden.
Mit offenem Mund stand er fassungslos in der Tür und konnte seine Augen nicht von den beiden wenden. Die Szene hatte eine abstoßende Anziehungskraft auf ihn. Ihre vor Erregung geweiteten Augen trafen die seinen. Der Blick in ihr gerötetes Gesicht war so alltäglich, so selbstverständlich und doch so boshaft neu für ihn.
„A–ahrok...“, stammelte Sandra.
„Du weißt, wie ich es hasse, wenn du mich so nennst!“, keuchte ihr neuer Liebhaber gereizt.
Er schluckte die Galle herunter, welche ihm die Kehle hinauf geklettert war und verließ den Raum ohne ein Wort. Das Erste, was ihm auffiel, war der Weberknecht, der an der Decke entlang huschte und dann in einer der vielen Risse verschwand. Wie erschlagen lehnte er an der Flurwand. Sein Magen wurde flau und die Knie zittrig weich. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Das war ein Witz. Sein Leben war ein beschissener Witz. Der Namenlose machte sich schon wieder lustig über ihn.
War das die Zeit lauthals aufzulachen?
„Warte doch, Ahrok“, verfolgte ihn ihre Stimme und sie riss ihn zurück in die bittere Gegenwart.
Was wollte sie nun noch von ihm? Er fühlte ein beklemmendes Stechen in der Brust. Sollte er ihr nun auch noch zusehen, wie sie ihn verhöhnte? Als den Schlächter hatten die Ausrufer und Stadtwächter ihn oft betitelt. Warum war er dann nicht mit blanker Klinge in ihr Zimmer zurückgekehrt, um diesen Ruf alle Ehre zu machen? Diese... diese...! Sie konnte von Glück reden, dass er momentan kein Schwert zur Hand hatte.
Die noch vor Augenblicken allgegenwärtige Freude und sein Enthusiasmus waren verschwunden und hatten einem Gefühl Platz gemacht, das einem verlorenen Gimachti kruchon nicht unähnlich war. Er wollte laut schreien oder verzweifelt lachen, aber er brachte keinen Ton heraus.
Sein Heldendasein, das Training, die Arbeit und alles andere schienen ihm bedeutungslos und unwichtig in diesem einen kurzen Moment. Dieses verdammte Weib. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? War ihr körperliche Nähe so wichtig, dass sie es nicht einmal die paar Wochen Ausbildung ohne einen Pflock zwischen den Beinen aushielt?
Der Zorn gab ihm seinen Lebenswillen wieder. Entschlossen schüttelte er die Enttäuschung hinfort und spuckte auf den frisch gewischten Boden. Hoffentlich musste Sandra hier als Nächstes putzen. Dieses Miststück! Sollte sie doch rumhuren. Er war hier der Held, er konnte Hunderte wie sie haben.
Er war selber ein bisschen überrascht, wie rasch es ihm gelungen war, seine Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Diese Wunde, die sie in sein Ego gerissen hatte, verblasste einfach zwischen ein paar tiefen Atemzügen. Es gab Wichtigeres in seinem Leben. Jawohl und es gab andere Frauen. Er atmete tief ein, beruhigte seinen Herzschlag, wie Sigurd es ihm gezeigt hatte, und ging beinahe entspannt in den Schankraum hinunter.
Der Zwerg empfing ihn grinsend.
„Na, du bist mir ja ein ganz schneller Bursche.“
„Nicht jetzt, Ragnar“, entgegnete er nur abweisend und nahm neben dem Zwerg Platz.
„Ahrok. Ahrok, warte doch bitte!“
Sandras Stimme jagte ihm nach und übertönte dabei sogar die lauten Lieder im Schankraum.
Sie hatte sich einfach ein paar ihrer verschwitze Sachen übergeworfen und stürzte überhastet die Stufen hinab. Mit ihren Worten brachte sie erneut dieses miese Gefühl des Verratenwerdens über ihn. Sofort war ihm wieder so übel, dass er speien konnte.
Das unwiderstehliche Gefühl, sie in den Arm zu nehmen, kämpfte mit dem lodernden Drang, ihr den Schädel einzuschlagen.
„Was ist?“, donnerte es forsch von seinen Lippen.
Seine Stimme klang ungewohnt streng und Sandra klammerte sich sogleich hilfesuchend an den Oberarm ihres neuen Liebhabers, der es sich natürlich nicht hatte nehmen lassen, sie zu begleiten. Der Kerl schwitzte wie ein Schwein und mit nur etwas Ideenreichtum konnte Ahrok sich einreden, dass diese Tropen Angstschweiß waren und nicht von der vorherigen Körperertüchtigung stammten.
„Ach, Ahrok, es tut mir leid, aber... komm schon. Du bist nie da, wenn ich dich brauche. Du bist immer unterwegs, um zu trainieren oder ´die Welt zu retten´. Ich will aber keinen Helden, ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann – so wie auf Daniel.“ Sie warf dem jungen Menschen einen geradezu widerlich verliebten Blick zu. „Er hat mir versprochen, mir ein Haus zu bauen und...“
„Wie jetzt, Kleine? Du hast Ahrok seinetwegen da den Laufpass gegeben?“, mischte sich der Zwerg lautstark ein.
Ein jeder Gast, der sich bisher noch nicht für das ungewöhnliche Schauspiel interessiert hatte, widmete ihnen spätestens jetzt seine ganze Aufmerksamkeit. Es war mucksmäuschenstill in der Taverne und man wartete gespannt auf seine Antwort.
Ahrok blickte jedoch einfach nur zu Boden.
Plötzlich schob sich das Valr zwischen ihn und Sandra.
„Ich beiß ihm die Eier ab. Sag nur ein Wort.“
„Hör zu, Ragnar, ich will nicht, dass du...“
Ihm fehlten die rechten Worte und außerdem lag ihm rein gar nichts an diesem Gespräch. Genaugenommen wollte er nur, dass sich diese ganze Situation hier schnellstmöglich auflöste und er weder Sandra noch diesen Daniel ansehen musste.
Sandras neuer Liebhaber schlotterte und schwitzte noch mehr als vorhin, stand jedoch tapfer seinen Mann und ergriff nicht die Flucht vor dem Zwerg, der bedrohlich mit seinen Beißwerkzeugen knirschte.
„Ragnar“, winkte Ahrok zu seinem kleinen Freund hinüber. Als dieser sich zu ihm umdrehte, schüttelte Ahrok nur leicht den Kopf. „Lass es sein.“
Schulterzuckend kehrte der Zwerg zu seinem Bier zurück.
Sandra hatte den Valr nicht eines Blickes gewürdigt. Sie nagte stattdessen an ihrer Unterlippe und stemmte ihre Arme in die Hüften. Dann brach es einfach ungebremst aus ihr heraus: „Du bist... du bist ein total kranker Typ weißt du das?“
„Krank? Ich?! Warum?“
„Warum? Na, schau mich an! Los, sieh mich an! Ich sehe gut aus. Ja, verdammt, ich sehe richtig gut aus! Meine Brüste sind fest und der Arsch knackig. Die Männer des ganzen Viertels sind scharf darauf, es hart und wild mit mir zu treiben und du?! Du irrer Kerl spielst lieber mit Zwergen oder bringst Leute um, als mich zu vögeln. Das ist doch nicht normal!“
Sandra atmete tief durch und beruhigte sich etwas.
„Es tut mir leid, Ahrok, aber ich will nicht warten bis ich fünfundzwanzig und verbraucht und alt bin. Ich brauche einen Familienvater und nicht einen, der sich immer gleich beim ersten Anzeichen eines Kampfes in die Schlacht stürzt. Auch ohne dich gibt es hier schon genug Mord und Totschlag,“
„Ja, ja, schon gut. Ich will´s nicht hören. War´s das jetzt oder willst du mir noch weiter auf den Sack gehen und mir erzählen, wie mies ich doch bin? Ich hab nämlich genug von dir.“
„Weißt du was? Scheiß auf dich, Ahrok.“
Verletzt drehte sich Sandra wieder weg und zog Daniel hinter sich die Treppe hinauf.
Es schmerzte ihr nachzusehen.
„Was sagst du? Scheiß auf mich? Nein, Scheiß auf dich, Sandra!!! Hörst du?! Scheiß auf dich!!!“, brüllte er ihr hinterher.
Viele Gäste der Taverne blickten plötzlich angestrengt in eine andere Richtung oder versuchten ein breites Grinsen zu unterdrücken.
Ahrok ging in dem frisch entfachten Zorn völlig auf.
Seine Brust arbeitete wie ein Blasebalg, während er seine Augen durch den Raum schweifen ließ, um ein Ventil für seine Wut zu finden. Doch heute gab es hier nur viele altbekannte Stammgäste, mit denen er selbst schon manche Pinte geleert hatte oder unscheinbare Neulinge, die seinem Blick sofort auswichen.
„Waaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhh!!!“
Mit diesem lauten Aufschrei fiel ein Großteil der frisch aufgestauten Wut wieder von ihm ab und hinterließ nur diese nagende Leere. Lustlos ließ er sich auf den Stuhl neben Ragnar fallen und lehnte sich auf den Tresen. Jetzt, wo die Wut verschwunden war, war da gar nichts mehr.
Alles leer.
Dann, nach einer kleinen Weile, kam die Trauer. Dieses ungute Gefühl, so als ziehe sich etwas in seiner Brust zusammen, schnüre ihm den Atem ab und lähme all seine Muskeln.
Ausdruckslos starrte er auf den Boden. Irgendwo hinter seinen glasigen Augen, die nichts um ihn herum wahrnahmen, rasten die Gedanken aufgescheucht hin und her, suchten nach einer Erklärung oder nach früheren Anzeichen, die er übersehen hatte. Wie hatte es nur dazu kommen können? Es war doch alles perfekt gewesen. Warum hatte sie ihm das weggenommen?
Vergingen Minuten oder Stunden im Schweigen? Ahrok wusste es nicht. Jegliches Zeitgefühl hatte sich verabschiedet. Seine Gedanken regten ihn immer mehr auf, je tiefer er in sich hineinhorchte.
Also atmete er tief ein und blickte sich um.
Weder Hans noch Ragnar machten Anstalten, ihn anzusprechen, also wandte er sich wieder dem Valr zu.
„Was sollte denn dieser Spruch mit dem ´ich beiß dir gleich die Eier ab´?“ Ahrok versuchte ein Lächeln, um seine gerade viel zu barschen Worte etwas abzumildern.
„Was?“ Ragnar puhlte sich gerade etwas Dreck unter den Fingernägeln hervor. „Ach so, das... ist das bei euch Menschen nicht so üblich? Ich dachte, ich hab so was mal gelesen.“
Ahrok starrte nur ausdruckslos vor sich hin und zuckte dann mit den Achseln.
„Keine Ahnung. Du weißt doch, ich komm nicht aus der Stadt und kenn mich mit den hiesigen Bräuchen nicht so gut aus. Ist ja ohnehin nicht mehr wichtig.“
Wen versuchte er hier eigentlich zu überzeugen? Es tat weh, verdammt weh und es hatte ihm sämtlichen, verblieben Willen geraubt, in dieser Schicht auch noch zu arbeiten. Er hatte keine Lust hier weiter zu sitzen und unscheinbare Bürger zu bewachen, die ohnehin nur friedlich ihr Bier trinken wollten.
„Ich glaub, ich leg mich jetzt ins Bett. Das alles war grad ein bisschen viel für mich.“
Er glitt von seinem Stuhl und wäre beinahe mit dem dunkelblonden Kerl zusammengeprallt, der vor ihnen stand.
„Iss was?“, giftete ihn Ahrok an.
„Nein, ganz und gar nicht.“
„Wenn du es mit Sandra treiben willst, dann musst du dich gedulden. Da hängt gerade jemand anderes drauf.“
Mürrisch drehte sich nun auch der Valr um und begutachtete ihr Gegenüber von unten bis oben.
„Was willst du denn von uns? Will dich jemand verhauen?“
Der Mann setzte ein verlegenes Lächeln auf und wich Ragnars Blick aus.
„Nein, nein, ich habe keine Probleme. Ich... ich wollte euch nicht belästigen. Ich würde euch nur zu gern einmal auf einen Krug Bier einladen, das ist auch schon alles.“
„Du willst uns ein Bier spendieren?“ Ragnar blickte ihn misstrauisch an. „Warum?“
„Na ja, es ist so schön ruhig hier, seit ihr in der Sau für Ordnung sorgt und ich liebe es einfach, meine Feierabende ruhig zu verbringen. Da wollte ich mich einfach mal erkenntlich zeigen und außerdem wirkt ihr so, als könntet ihr gerade eins gebrauchen.“
Ahrok schüttelte nur den Kopf.
„Ich geh nach oben. Also… für mich nicht.“
Mit diesen Worten ließ er die beiden stehen und schlufte in schwermütigen Gedanken versunken die Treppe hinauf zu seinem Zimmer.
„Denk dir nichts bei, edler Bierspender. Das hat nichts mit dir zu tun. Sandra hat ihn gerade abserviert, weil er´s ihr nicht mehr richtig besorgen kann.“
„Ja“, der Fremde lächelte, „das war nicht zu überhören. Du kannst mich aber Chris nennen. Chris Phoenix.“
„Vieh nix? Seltsamer Name. Klingt nach verarmtem Bauernhaus. Wo kommt der denn her?“
„Kennst du die Bärenburger Mark im Nordosten? Meine Eltern sind von dort aus hier her eingewandert.“
„Verstehe... freut mich dich kennen zu lernen, Chris. Mein Name ist Ragnar.“

Ragnar saß mit dem Fremden am Tresen und nippte an seiner mittlerweile fünften, spendierten Pinte. Im Gegenzug strapazierte dieser Chris den Kneipenkodex bis aufs Äußerste. Als jahrelanger Tavernengast war Ragnar dummerweise an den Kodex gebunden, welcher besagte, dass man jemandem, der einem etwas zu trinken ausgibt, im Gegenzug sein Ohr leihen muss.
Anstatt jedoch von männlichen Errungenschaften zu berichten, lamentierte der Mann nur endlos über seine eigene, gescheiterte Existenz.
„Ich wollte doch nur ein normales Leben führen, wie jeder andere auch, aber die Gesellschaft, weißt du, die Gesellschaft lässt das einfach nicht zu. Nur ein kleiner Fehler und BUMM haben sie dich am Arsch. Steuereintreiber, wie ich sie hasse! Du kannst den Hof nicht mehr bezahlen, deine Frau verlässt dich für deinen Bruder und das Dach fällt über dir zusammen und dann kommst du in die Stadt, um neu anzufangen, aber da wird dann alles noch viel schlimmer.
Alles missgünstige Arschlöcher hier. Keiner gönnt dir etwas und jeder denkt nur an sich selbst. So isses doch. So und nicht anders.
Ich hause in einer verfallenen Drecksbude und verdiene mir nur jeden Morgen ein paar Kupferlinge, indem ich den Händlern helfe, ihre Waren von hier nach da zu schleppen oder manchmal bettle ich mir auch ein paar Münzen zusammen und dann, dann kommt so ein dreckiger Pisser von den Roten Teufeln daher und nimmt mir alles weg. Schlägt mich halbtot und will dann auch noch für jeden Tag eine Kupfermünze, damit ich weiter in meiner Ruine leben kann.
Zur Hölle mit der Stadt... ist doch eh alles Scheiße hier...“
Ragnar nickte nur zustimmend, es war nie gut, einem Betrunkenen zu widersprechen, wenn man vorhatte, das Gespräch irgendwann einmal zu beenden.
Er war der einzige Rausschmeißer der „Pinkelnden Sau“, der momentan Dienst hatte und er saß nun schon seit Stunden am Tresen und hatte dem Schankraum den Rücken zugekehrt. Den Geräuschen hinter ihm zufolge ging diese Nacht so einiges zu Bruch, aber solang Hans keine Anstalten machte, ihn aufzuscheuchen, blieb er wie angenagelt auf seinem Stuhl sitzen.
Nur mühsam unterdrückte er ein Gähnen.
Der lange Tag und die ereignislose Schicht zusammen mit den letzten Litern von Hans´ Bier forderten ihren Tribut und die Müdigkeit war nur noch eine Armlänge davon entfernt, ihn zu übermannen.
„Und was macht so einer wie du hier in der Stadt? Von euch Zwergen sieht man nicht gerade viel hier oben.“
„Das liegt daran, dass wir es nicht mögen, wenn man uns ständig blöde Fragen stellt“, entgegnete Ragnar forsch.
„Ja, ja, schon gut. Ich frag ja nicht weiter. Weißt du... ich sag dir wie´s iss. Es gibt selbst bei den vielen Leuten hier in der Stadt nur einige ganz wenige Typen, die es echt drauf haben. Echte Männer, weißt du. Solche von denen jede Jungfrau und jede noch so abgehalfterte Hure träumt, dass sie sie einmal besuchen kommen. Echte Legenden eben, aber von denen hört man nichts. Nein, oh nein. Solche Geschichten werden verheimlicht und kommen nie ans Licht. Man hört mal davon, dass die Frau des Grafen ein neues Kleid trägt oder dass der Statthalter zu Einweihung eines neuen Hurenhauses vorbeischaut, aber die wirklich wichtigen Sachen – davon kein Wort. Es ist alles eine riesige Verschwörung, weißt du? Die erzählen einem nur unwichtige Scheiße, die ohnehin keinen mit Verstand interessiert. Erinnerst du dich noch an das Feuer in der Magierschule?“
Ragnar, der gerade mit seinem Harndrang haderte, wurde plötzlich hellhörig.
„Ich hab ´nen Bekannten bei der Feuerwacht, der hat mir da ein paar Sachen erzählt... Das Ganze war gar kein Unfall, wie man uns glauben lassen will. Es hat da nämlich einen Kampf gegeben... und haufenweise Leichen.“ Chris senkte die Stimme. „Und zwar keine menschlichen Leichen.“
Der Mann nickte bedeutungsvoll und Ragnar schluckte schwer.
Er hatte mit diesem Kapitel längst abgeschlossen und am allerwenigsten erwartet, dass ein betrunkener Tagelöhner so viel über die Ereignisse dieser Nacht wusste, die ihn und Ahrok an den Galgen bringen konnten.
„Manche, wie mein Bekannter, vermuten ja, dass die Magier da unten ihre Experimente gelagert hatten. Dunkle, nekromantische Experimente, aber das ist Blödsinn. Die Wahrheit ist nämlich noch viel, viel schlimmer.“
„Ach ja? Und was ist deiner Meinung nach die Wahrheit?“
„Schhhhh.“ Chris sah sich um. „Die Wahrheit ist, dass sich uralte Wesen aus der längst vergessenen Zeit wieder erheben. Dinger, die hier in der Kanalisation hausen und es ist nur ein paar Typen mit solchen Eiern zu verdanken, dass nur die Magierschule brannte und nicht die ganze Stadt. Jawoll.“
„Weiß du vielleicht auch, wer das war?“
„Scheiße, nein. Wenn ich das wüsste, oh Mann, dann wäre mein Leben viel einfacher.“
Selbst wenn die Taverne in diesem Moment Feuer gefangen hätte, so hätte dieser Säufer noch immer Ragnars vollste Aufmerksamkeit.
„Dein Leben wär einfacher? Warum das denn?“
„Na, denk doch mal nach. Wie viele Viecher wurden da wohl abgemurkst? Zehn? Zwanzig? Fünfzig? Selbst wenn es hundert waren, so wäre noch immer eine ganze Armee von diesen Monstern da direkt unter unseren Füßen und die warten nur darauf, uns alle umzubringen.“
„Hm...“, Ragnar nickte zustimmend.
„Es gibt Gerüchte, dass sich einige dieser Biester in einer großen Totenstelle im Westen der Stadt versteckt halten. Der Namenlose allein weiß, was die da planen.“
„Große Totenstelle? Was soll das denn sein?“
„Scheiße, keine Ahnung. Das waren die Worte vom verwirrten Jürgen, mit dem ich mir manchmal ´nen Bettelplatz teile. Keine Ahnung, ob der nur wieder was geraucht hatte, aber, Scheiße, wenn das wahr ist, dann sind wir hier bald alle am Arsch. Dann gibt’s diese verdammte Stadt nicht mehr lange.“
„Große Totenstelle, große Totenstelle... hm... im Westen sagtest du?“
Chris nickte und beobachtete jede von Ragnars Reaktionen durch seine halb geschlossenen Augenlider.
„Wie auch immer.“ Er leerte seinen Bierkrug. „Männer wie wir können da eh nichts tun. Ich mach mich wieder auf den Weg zu meiner hübschen Ruine. Man sieht sich dann morgen oder so.“
Der Spion stieß sich mit einem genüsslichen Rülpser vom Tresen ab und blinzelte noch einmal in den Raum, bevor er sich schwankend Richtung Ausgang begab.
Ragnar blickte ihm nach.
„Morgen werden wir uns wohl nicht sehen, denn da bin ich sicher nicht hier“, grübelte Ragnar zwischen zwei Schlucken.
„Morgen? Nicht hier? Gibt es da etwas das ich wissen sollte?“
Hans hatte aber auch Ohren wie ein Luchs.
„Nein. Alles in Ordnung, Hans. Betrifft nur meine Freizeit und sonst nichts weiter.“
Der alternde Schankwirt schenkte ihm einen mahnenden Blick, drehte sich dann aber wieder den anderen Gästen zu.
Ragnar schüttete den Rest des Biers hinunter und rutschte von seinem Hocker, um Ahrok noch vom Plan für den morgigen Tag zu unterrichten. Doch vorher würde er der Latrine noch einen dringenden Besuch abstatten.


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Worterklärungen:

Nyoka´tuk – „Kinder der Schlange“ Bezeichnung der Weißen für ihre Rasse
Nana timak - „Der Preis des Sieges“

Gimachti kruchon – wörtlich „das Gemächte zerschmettern“, eine zwergische Art des Zweikampfes
 
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Kommentare  

Danke Jochen und Petra für die Kommentare - ja das Kapitel wurde ganz neu hinzugefügt um die Geschichte etwas spannender zu machen, sie etwas von dem Rollenspiel-Schema zu entfernen und um jetzt schon wichtige Charaktere für spätere Ereignisse einzuführen.

Danke fürs Lesen und kommentieren!


Jingizu (14.09.2010)

Wahnsinnig spannend! Auch ich frage mich: Wer ist der "Glatthäutige" mit dem zerzausten dunkelblonden Haar und den haselnussbraunen Augen, der den schändlichen Pythos abmurkst? Jedenfalls sieht er zu, dass er das Vertauen unserer beiden Freunde gewinnt.

Petra (12.09.2010)

Ich muss Ingrid Recht geben. Falle oder nicht? Ein überaus spannendes Kapitel. Wer ist dieser geheimnisvolle (rabiate und kampfgewohnte) Fremde wirklich? Ich habe den Eindruck, dies ist ein frisch geschriebenes Kapitel, denn nichts dergleichen habe ich von früher in Erinnerung. Sehr gelungen.

Jochen (11.09.2010)

Schön, dass ich es weiter spannend halten konnte und auch, dass der neue Charakter gleich einigen Anklang findet.

Was die Falle betrifft... na ja... mit den beiden Kriegern kann man es ja offenbar machen.


Jingizu (11.09.2010)

hinter vorgehaltener klaue... sehr schön wie du dich in andere spezies hineinversetzen kannst. ;)
dieser chris macht ja seltsame andeutungen, und der zwerg fährt voll drauf ab. hoffentlich ist das keine falle. aber spannend ist es!
lieben gruß


Ingrid Alias I (10.09.2010)

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