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Die vier himmlischen Gesellen

Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester · Für Kinder
Die vier himmlischen Gesellen saßen betrübt im Wirtshaus und ließen die Köpfe hängen. Sie hatten von den Menschen ihre Arbeitszeugnisse erhalten und sollten vor Gott treten und Rechenschaft ablegen. Der Ewige wollte erfahren was die Menschen über seine Diener dachten. Jetzt klagten sie einander beim Wein ihr Leid.
„Ich habe versagt“, seufzte der Frühling, „ dabei gab ich mir solche Mühe. Den blauen Himmel breitete ich über die Lande aus, setzte kleine weiße Wolken darunter, Samen und Gräser ließ ich wachsen, die Blumen auf den Wiesen habe ich aufgeweckt, die Obstbäume mit weißen und rosafarbenen Blüten verziert, die Vögel zum morgendlichen Chorgesang vereint und deinen Dreck und Schmutz, lieber Freund Winter“, zwinkerte er dem Tischgenossen zu, „habe ich auch weggeräumt. Aber man war nicht zufrieden mit mir. Sie haben sich beschwert. Last mich vorlesen, was sie mir ins Zeugnis schrieben: Den Heuschnupfen hat er uns gebracht, wir wurden mit Allergien geplagt, die Sonne war entweder nicht warm genug oder sie schien zu warm. Er hat unsere Kräfte geraubt, wir waren nur noch matt, schlapp, müde, erschöpft. Viele von uns waren krank, Wir sind froh, wenn er weg ist und freuen uns auf den Sommer.“

Der Sommer nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas und begann: „Ja, in der Tat, sie haben sich auf mich gefreut und ich habe natürlich die Beschwerden über dich, Freund Frühling, gehört.“ Er streckte sich nach vorn um seiner Stimme mehr Gewicht zu verleihen. „Ich habe mich mächtig angestrengt, den Wolken erlaubte ich erst am späten Mittag über Land zu ziehen und zu regnen. Damit waren sie natürlich nicht einverstanden, sie schimpften oft und machten ordentlich Rabatz, Lärm, Blitze, Donner und manchmal sogar Sturzfluten. Ich ließ mich aber nicht umstimmen, denn ich wollte, dass die Leute meine Zeit genießen konnten. Ich lud sie ein, an Seen, Flüsse und ans Meer zu kommen und sich im kühlen Wasser zu vergnügen. Sie sollten ihre Speisen unter meinem blauen Zeltdach essen, abends und nachts sollten sie von Sternen und Mond beleuchtet, ihre Feste feiern.
Das Wachstum der Früchte trieb ich voran. Den Bienen befahl ich fleißig zu sammeln , das Gras, welches die Bauern für ihr Vieh brauchen, ließ ich trocknen und verwandelte es in Heu, Lavendel und Rosen ließ ich wachsen und viele wohlriechende Kräuter. Man sollte mich auch mit der Nase erkennen.
Die Beerenfrüchte, Aprikosen, saftigen Pfirsiche, Melonen und das zahlreiche Gemüse will ich ja gar nicht erwähnen, denn ich hab´s gern getan. Die Eisverkäufer hatten große Gewinne durch mich. Aber all das war nicht genug.“
Er schluckte, rollte das Papier aus und las vor:
Die Hitze war nicht auszuhalten. Tagsüber konnte man das Haus nicht verlassen, die Fensterläden mussten geschlossen bleiben, damit die Temperaturen in unseren Wohnungen erträglich blieben., die Klimaanlagen in unseren Büros und Einkaufszentren liefen auf Hochtouren, verursachten hohe Stromrechnungen und machten uns krank. Die Mücken, Bienen und Wespen waren eine Plage. Wenn´s bloß Herbst wäre, dann wär´s erträglicher.

„Oh warte“, wehrte Geselle Herbst ab. Er rückte sein Glas zur Seite und rollte sein Zeugnis aus.“ Tatsächlich sehnten sie mich herbei. Gleich nach Dienstantritt habe ich mich um die Sonne gekümmert und ihre Kraft um mindestens die Hälfte gedrosselt, vor allem dachte ich an die armen Winzer die den ganzen Tag in den Weinbergen bei der Ernte sind. Ich ließ eine überreiche Ernte einfahren, füllte ihre Vorratskammern mit Äpfeln, Nüssen, Trauben, Quitten, Hagebutten und Kürbissen bis an den Rand. Wein, Most und Säfte aller Art konnten sie bei mir pressen. Für die Kinder ließ ich Kastanien von den Bäumen fallen aus denen sie Figuren basteln konnten. Der Natur zog ich ein goldgelbes Kleid an. Die Webkunst der Spinnen verzierte ich mit meinem Tau. In den Wirtshäusern ließ ich Wildbret und Schlachtplatten auftischen um sie für deine Zeit, Kollege Winter, vorzubereiten. Ein Teil meiner Zeit gehört der Melancholie, dem Abschied, wenn ich dichte Nebel über die Erde rollen lasse, Stürme über Flure und durch Wälder schicke und die alten Blätter von den Bäumen schüttele und das hier ist mein Zeugnis.
Urteilt selbst: Stürme und Kälte hat er uns gebracht, die Sonne geraubt, Nässe, Husten, Schnupfen gebracht, die Tage hat er uns verkürzt, die Nächte verlängert. Ein übler Geselle ist er, eine grauenvolle Jahreszeit. Wir erwarten und freuen uns auf den Winter mit hoffentlich viel Schnee.“

Jetzt war der Geselle Winter an der Reihe. Er warf sein Zeugnis auf den Tisch und schüttelte ratlos den Kopf: „Ich verstehe noch immer nicht, was ich falsch gemacht habe. Viel Schnee gab ich ihnen, über die Maßen. Ganz wie sie´s sich gewünscht hatten. Dazu war natürlich eine gewisse Vorarbeit nötig. Zuerst besprach ich mich mit der Sonne. Ich senkte ihre Arbeitsstunden und gab ihr viel Freizeit. Die Natur schickte ich in einen tiefen Schlaf, ließ Kälte und Frost über die Lande ziehen und gab ihnen anschließend ihr Geschenk, weisen, glitzernden Schnee in Fülle.
Sie sollten damit spielen, Ski laufen oder mit dem Schlitten fahren, Schneemänner bauen mit Karottennasen und Kohleaugen. Die armen Räuchermännchen, die das ganze Jahr in dunklen Schränken stehen mussten, qualmten wieder fröhlich ihre Pfeifen. Das große Fest der Gemeinde Christi sollte in weißem Kleid gefeiert werden und so ließ ich zu seinem Geburtstag sogar eine extra Portion Schnee auf die Erde rieseln und ich prüfte selbst jede einzelne Flocke an diesem Tag, bevor ich ihr den Weg zur Erde erlaubte. Die geschmückten Bäume funkelten, einer glänzender als der andere und Geschenke gingen hin und her. Vor dem Fest ließ ich Sankt Nikolaus bei den Kindern Süßigkeiten in ihre Schuhe stecken, auf Märten wurde Wein mit Zimt, Piment, Orangen, Zitronen und Anis vermischt und erfreute alle Besucher und dem Jahr setzte ich ein grandioses Ende mit Feuerwerk, Blitz, Donner, fröhlichem Feiern und ich versprach ihnen, dass wir vier alle zurückkehren würden. Und das schrieben sie mir in mein Zeugnis:
Es gibt keine schlimmere Jahreszeit. Kaum Sonne, nur Kälte, Schnee, Matsch. Tausende müssen früher aufstehen um rechtzeitig an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Die Scheeräumdienste waren rund um die Uhr beschäftigt, das verstreute Salz schadet der Umwelt. Auf den Straßen und in den Städten herrscht das pure Chaos. Kaufhäuser werden zu Kriegsschauplätzen. Alles kämpft, schiebt, drückt, stößt, schimpft und flucht sich durch die Gänge, jeder hastet an den Regalen entlang um in letzter Minute noch ein passende Geschenk zu finden. Immer mehr von uns leiden gerade in dieser Zeit an Depressionen und Erschöpfung. Die Einsamkeit sitzt jetzt bei vielen am Tisch und auf dem Sofa. Zwischen den Beschenkten geht der Neid um. Ärzte warnen. Alle stöhnen, ächzen und fragen: wann ist diese Zeit vorbei? Wenn nur schon der Frühling käme!

Mit traurigen Gesichtern machten sich die vier Gesellen zu Gott auf um ihm ihre Zeugnisse zu zeigen. Der las sie sich prüfend durch und sprach:
„Geht zurück, arbeitet nun gemeinsam und gebt ihnen was sie wollen, denn sie sprechen: des Menschen Wille ist sein Himmelreich!“

So gingen sie zurück in die Welt und taten wie ihnen befohlen wurde.
Sie hörten jemanden schimpfen: „Wenn´s doch nur wärmer wäre!“
Sofort setzte Geselle Sommer alle Hebel in Bewegung und brachte die Sonne zum Glühen. Kaum hatten sie diesen Wunsch erfüllt, hörten sie einen anderen stöhnen: „ Viel zu heiß für diese Jahreszeit.“ Gleich sprang Geselle Winter zu Hilfe und ließ die Temperaturen sinken, so dass alles gefror, anschließend schickte er einen eisigen Schneeschauer übers. Land.
„ So ein Mistwetter“, schrie einer in den Wind, „ich hab gesät, jetzt wird alles erfrieren!“ Jetzt bemühte sich Geselle Herbst. Er schickte einen starken Wind um die Schneewolken von Geselle Winter zu vertreiben, ließ es donnern und blitzen, schickte schwere Regenwolken nach und wusch den Schnee weg. Anschließend kam ein kräftiger, trockener Herbststurm um alles abzutrocknen. Zu guter Letzt tat die Sonne wie ihr geheißen und brachte den Erdboden mit ihren warmen Strahlen zum Dampfen.
Das wiederum tat einer alten Dame nicht gut, die sich hinlegen musste und stöhnte: „Mein Kreislauf, mein Kreislauf!“

Abermals traten die vier Gesellen ratlos vor Gott und seufzten: „Wir wollten´ s allen recht machen! Der nahm die Zeugnisse von ihnen, zerriss sie und erinnerte sie schmunzelnd:
Bei den Menschen ist´s unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich
(Matthäus 19/26)
Ende
 
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Kommentare  

Das erinnert mich tatsächlich an das Andersen-Märchen, in dem die zwölf Monate des neuen Jahren ankommen. Außerdem sagt die Geschichte so viel über unser menschliches Wesen aus und vielleicht auch darüber, dass wir es gar nicht immer allen recht machen müssen. Wenn es sowieso unmöglich ist, entbindet uns das doch auch von der Pflicht, es zu versuchen, oder?

Christian Dolle (02.01.2017)

Sehr gelungene kleine Geschichte. Gut zum Vorlesen geeignet.
Schmunzelnd grüßt noch zu Weihnachten


Marco Polo (26.12.2016)

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