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5 Seiten

The Storyteller (2)

Fantastisches · Kurzgeschichten
Ich sah unseren Geschichtenerzähler an. Die Tränen hatten sich verzogen und meine Wangen fühlten sich fast wieder normal an. Ich schaute in seine Augen und wusste, dass er mich nicht belogen hatte. Er hatte seine Geschichte erzählt und nun war wohl ich an der Reihe.

Aber wie sollte ich? Wollte ich selbst all das hören und nicht doch lieber in der schöneren, der heilen Welt bleiben, die ich mir zusammengebastelt hatte?
„Also du weißt doch wie Märchen immer anfangen oder? Komm leg los. Ich weiß du machst dir Gedanken. Schieb sie weg und erzähl mir deine Geschichte.“

„Es war einmal vor langer langer Zeit“, ich musste seltsamerweise grinsen. Ich sah in das kleine Feuer, die Flammen loderten und zuckten Richtung Himmel. Wurden kleiner und größer. Kleine Funken stoben auf und ich fühlte ihn neben mir…

„Damals saß ich mit meinem Papa auch an so einem Feuer. Es war ein wenig größer, heißer aber vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil es ein kühler Morgen im Mai war. Es ist meine letzte Erinnerung an ihn. Wir waren angeln. Es war ein schöner Tag. Nach der Kälte morgens, kam die Sonne doch noch zum Vorschein und wir holten einige Forellen aus dem Weiher. Ich kann mich immer noch an die Gerüche erinnern. Der Fischgeruch, das Feuer, das feuchte Gras, und später am Mittag die gegrillten Forellen.
Am nächsten Morgen weckte mich Mama. Ihr Gesicht war rot, angeschwollen und nass von ihren Tränen. Sie nahm mich in den Arm, wiegte mich, drückte mich und dann erzählte sie mir, dass er in der Nacht einen Herzinfarkt hatte. Er hat mich zum Lesen gebracht und zum Schreiben. Er erzählte mir jedes Mal eine Geschichte wenn er mich ins Bett brachte. Märchen oder einfach kleine Geschichten, die er sich ausdachte. Und ich sehe oft das Gesicht meiner Mutter vor mir, ihre leuchtenden Augen, wenn er ihr mal wieder einen Brief oder ein Gedicht geschrieben hatte.
Seitdem schreibe ich auch. Ich schreibe mir meine Traurigkeit von der Seele, meine Wünsche und Sehnsüchte. Ich nabel mich ab von der Realität und den Schmerzen, den Tränen und der Traurigkeit. Ich habe meine Bücher, meine Geschichten, meine Wahrheit.
Ich gehe zur Schule. Ich hab auch Freunde und spiele Fußball. Aber ich habe immer das Gefühl, dass etwas fehlt, etwas nicht richtig ist und ich nicht dazugehöre. Als wäre ich in der falschen Welt gelandet - einer Welt dir mir nichts sagt und mir nichts vermittelt. Aber ich nehme daran teil, was soll ich sonst tun? Wie sagt meine Mama immer so schön, man muss sich arrangieren und Kompromisse machen. Muss ich das? Kann ich nicht einfach meinen Platz finden oder die richtige Welt. Eine Welt, die mir etwas bedeutet. In der ich wahrgenommen werde, so wie ich bin. In der ich mich nicht verstellen muss. Ich fühle mich einsam… allein!“

Die Flammen waren fast erloschen. Ich sah zum Geschichtenmann. Er lächelte. „Nun junger Mann es geht doch. Ich dachte schon du würdest nie mit deiner Traurigkeit herausrücken.“
„Sieht man die mir nicht an? Also meine Mama sagt immer ich hätte die traurigsten Augen im ganzen Dorf.“ Auch ich musste grinsen.
„Lass uns ein wenig gehen. Ich will dir ein paar Sachen zeigen.“
Er führte mich durch den Wald abseits der Wege. Er zeigte mir versteckte Steine mit Inschriften, eine Höhle und sogar ein vergessenes Grab. Das hier war eigentlich mein Zuhause, mein Ort, meine Welt aber er kannte sie besser als wohl jeder hier. Auf schmalen Pfaden zog er mich weiter und es gab immer wieder Dinge zu sehen und zu bestaunen. Er brachte mich dazu meine Welt wieder mit anderen Augen zu sehen. Man geht so oft durch Straßen und Wege und nimmt doch nichts wahr. Man geht seinen Weg und verliert den Blick auf das Besondere, das Schöne.
Irgendwann stießen wir wieder auf den Hauptweg zur Kapelle und schlenderte gemächlich auf sie zu.
„Kennst du die Geschichte der Kapelle?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Kein Plan, hat bestimmt irgendwann mal die Kirche gebaut oder?“
Sein Grinsen erschien wieder. „Nicht so ganz mein Freund. Ich glaub ich muss dir noch eine Geschichte erzählen.“

„Früher erzählte man sich im Dorf, ein Pfarrer hätte die Kapelle für seinen Gott bauen lassen aber das stimmt so nicht ganz. Es gab mal einen Jungen wie dich…es gibt scheinbar sehr viele Parallelen in Universum. Auch er liebte das Leben, liebte Geschichten und liebte ein Mädchen. Sie waren wie Pech und Schwefel die zwei. Sie waren immer zusammen und erlebten gemeinsam ihre Kindheit. Sie wurden älter und liebten sich noch immer. Sie heirateten und kurze Zeit später kam ihre Tochter auf die Welt. Sie wurden fast vom Glück erschlagen, würden die Leute wohl sagen. Es schien so, als könne ihnen nichts und niemand in der Welt etwas anhaben. Das Glück war ihnen treu bis es zu jenem Tag, als ein schwerer Sturm aufzog. Dort wo jetzt die Kapelle steht, war ihr Hof. Der Sturm war schrecklich. Die Wassermassen ließen den Fluss unten im Tal über die Ufer treten und das Hochwasser vernichtete dutzende von Häuser. Der Wind entwurzelte Bäume und einer dieser Bäume traf den Hof. Die Kleine wurde unter Trümmern begraben und ihre Eltern versuchten alles um sie zu befreien aber das Inferno, das dieser Sturm entfachte, muss grässlich gewesen sein.
Nicht nur Bäume wurden entwurzelt und stürzten um. Zweige und Äste dick wie Arme schwirrten durch die Luft wie Geschosse. Am nächsten morgen hatte der Sturm dem jungen Mann beide genommen. Tochter und Frau. Nur er hatte überlebt.“

Wir standen vor der Kapelle. Sie war nicht riesig aber imposant und hatte etwas Schönes, etwas Helles. Der Glockenturm war vielleicht sechs Meter hoch und das Gebäude nicht größer als acht auf acht Meter.
„Lass uns reingehen. Ich möchte dir etwas zeigen mein Freund.“ Im Inneren waren vier Reihen mit Bänken. Vielleicht Platz für dreißig Leute. Der hintere runde Teil war in helles Licht getaucht von der tiefstehenden Sonne und neben dem obligatorischen Kreuz gab es einen kleinen Altar.
„Sieh nach oben“, flüsterte der Märchenerzähler neben mir. Die runde Decke war mit Bildern überzogen. Jesus, die heilige Maria und in einem Kreis in der Mitte der Decke eine Frau mit ihrem Kind. Sie lächelte und hielt das Kind zärtlich an sich gedrückt.
„Sind sie das?“ „Ja das ist das Bild der geliebten Frau mit ihrer Tochter.“
„Er hat diese Kapelle also erbaut?“ „Ja, er verfiel nach der Tragödie nicht der Trauer. Er hegte keinen Zorn in sich und wurde nicht böse oder verbittert. Das Leben hatte ihm eine wundervolle Frau und eine noch wundervollere Tochter geschenkt. Er hatte so viele glückliche Jahre erlebt und so viele schönen Erinnerungen in sich, sie würden ihm immer bleiben. Es gab keine Bitterkeit oder Hass. Er hatte sie verloren und doch waren sie bei ihm und würden immer da sein. Er begrub sie im Garten und auf ihrem Grab errichtete er die Kapelle, zum Andenken und zum Zeichen seiner Liebe. Er dankte damit auch auf seine Weise Gott für die Schöne Zeit, die er hatte und das ganze Glück, das er erleben durfte. Den Hof gab er auf und zog in die Welt.“

„Ich glaub du willst mir schon wieder einen Bären aufbinden“. Ich sah ihn an. Er lächelte und sah mit strahlenden Augen zur Decke. „Kam er wieder zurück hierher?“
„Ja er kam zurück und lebte noch sehr lange in der Nähe seiner Lieben.“
„Irgendwie eine traurige und doch schöne Geschichte. Warum tut sie einem so gut? Warum hat man am Ende kein schlechtes oder trauriges Gefühl?“
„Weil sie von der Liebe erzählt. Sie berichtet vom Leben. Vom Sterben und glücklich sein. Von Verlust, von Wärme und Zuneigung. Sie zeigt uns, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt. Es gibt viele Farben und tausende Nuancen dieser Farben in der Welt, und jeder einzelne von uns lernt diese Farben kennen. Du hattest eine schöne Zeit mit deinem Vater. Er hat dir viel gezeigt und viel beigebracht und mit Sicherheit einen guten Menschen aus dir gemacht. Du hattest Glück. Viele Menschen lernen ihre Eltern nie kennen oder haben Eltern, die man wohl besser nicht hätte. Das Leben hat dir deinen Vater viel zu früh genommen. Er hinterlässt ein riesiges Loch in deinem Leben, aber er war da und wird immer bei dir sein. Er ist ein Teil von dir. Ein guter Teil.

„Werde ich meinen Platz im Leben finden?“ „Den findet jeder mein Freund. Und vielleicht bist du gerade auf dem besten Weg dazu.“ Ich sah ihn verdutzt an. Wie meinst du das?“

„Nun heute hast du einen ersten Schritt getan. Du hast über dich selbst geredet. Du hast deine Geschichte erzählt und dich damit auseinandergesetzt und sie nicht versteckt. Aber da ist noch mehr. Du bist ein Erzähler, ein Erfinder, nur weißt du das noch nicht oder verstehst es noch nicht umzusetzen.“
„Du meinst nur weil ich lese und Geschichten schreibe, kann ich etwas oder kann etwas damit anfangen. Das ist doch lächerlich. Wer will schon Geschichten hören von mir?“
„Nun warum kommst du immer wieder in den Park? Warum hörst du mir zu?“ Und die Antwort hast du dir schon selbst gegeben. Auch dein Vater war ein Storyteller. Du hast mir von deiner Mutter erzählt und wie er sie glücklich machen konnte. Einfach nur mit seinen Worten! Und er hat dir Geschichten erzählt. Und ich denke sie haben dir etwas bedeutet.“
Er ließ seine Worte wirken. Die Sonne ging langsam aber sicher unter und färbte den Himmel rot. Ich musste nach Hause.
„Ich begleite dich nach unten.“

Zusammen gingen wir den Berg hinab und still hoffte ich, dass niemand mein Rad geklaut hatte. Doch dieser Gedanke war klein. Der andere Gedanke war größer - viel größer. War ich ein Geschichtenerzähler?“
 
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