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18 Seiten

Mortal Sin 2007- The Blonde Light...

Romane/Serien · Spannendes
© JoHo24
Das Licht glaubt, es wäre schneller als alles andere, aber egal wie schnell es sich bewegt, die Dunkelheit ist immer schon vorher da und erwartet das Licht bereits.
-Terry Pratchett


Die fluoreszierenden Lichter färbten die dünnen Glasscheiben zartblau. Helle Punkte wanderten über ihr anmutiges Gesicht, als sie ihre Stirn ans Fenster legte und nach draußen schaute. Die Nacht hatte Einzug in Saint Berkaine gehalten. Da Samstag war, entdeckte sie, je näher sie der Innenstadt kam, immer mehr junge Menschen, die sich lachend und voller Vorfreude ins Partyleben stürzten.
Auch Emilia McDermott war auf dem Weg in einen Club, um zu Feiern. Sie war um Mitternacht mit ihren Kollegen im 38° verabredet, um zu tanzen und zu trinken. Ihr Blick schweifte flüchtig zum Armaturenbrett des Taxis. Die Digitalanzeige leuchtete in einem merkwürdigen Grün. Die Uhr sagte ihr, dass sie noch über eine Viertelstunde Zeit hatte.
Ein langer, erschöpfter Seufzer kam über ihre Lippen, der verriet, wie wenig Schlaf sie in den vergangenen Tagen bekommen hatte. Die Blondine hatte anstrengende Aufträge hinter sich, die sie eine Menge Kraft gekostet hatten. Nur mit Mühe konnte sie ihre schweren Lider oben halten. Sie war todmüde, trotzdem hatte sie sich für eine ausschweifende Partynacht zurecht gemacht.
Sie hatte ihre schulterlangen, blonden Haare gestylt und sich in ein kurzes, aquablaues Bustierkleid geworfen. Dazu hatte sie passenden Schmuck mit Aquamarinen gewählt…
Bei diesem Gedanken wanderten ihre blauen Augen reflexartig zu dem Ring, den sie am rechten Zeigefinger trug. Das Silber reflektierte das Licht der Innenbeleuchtung und strahlte ihr entgegen. Es wäre ein schöner Anblick gewesen, wenn Emilia nicht daran gedacht hätte, dass dieses Schmuckstück eine hässliche, große Narbe, die sich rund um ihren Finger wand, verdeckte. Wut und Hass schlugen wie Flammen in ihr hoch und krochen in jeden Winkel ihres Körpers, als sie die Bilder ihres Kampfes gegen Ophelia vor sich sah. Dieses verdammte Miststück hatte sich wie ein tollwütiger Hund festgebissen und ihren Finger verschandelt.
Zwei Jahre war das jetzt her, doch die Narbe würde für immer bleiben und sie an den Tag erinnern, an dem die Freundschaft zwischen ihnen zerbrochen war und sie sich beinahe getötet hätten.
Ihr Gedankengang wurde unterbrochen, als das Taxi über ein kleines Schlagloch fuhr und sie mit dem Kopf gegen die Scheibe stieß.
„Scheiße“, fluchte sie leise und rieb sich die schmerzende Stelle.
„Alles in Ordnung?“ Der Taxifahrer, ein übergewichtiger dunkelhaariger Mann, beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Seine stierenden Blicke waren ihr unangenehm. Bereits seit Beginn der Fahrt linste er in ihr tiefes Dekoltee, in dem eine Kette in Form eines Schlüssels baumelte.
„Ja, ja“, winkte sie ab und versuchte den widerlichen Kerl mit seinen riesigen Schweißflecken unter den Armen zu ignorieren, doch dies fiel ihr zunehmend schwerer, da sich im beheizten Innenraum langsam, aber sicher, ein strenger, ekelerregender Gestank verbreitete. Unauffällig hielt sich Emilia die Nase zu und atmete durch den Mund.
Wie kann man solch einen ungepflegten Typen bloß als Fahrer einstellen? Jemand, der von dem Wort „Körperhygiene“ anscheinend noch nie etwas gehört hat, bekommt mit Sicherheit kein Trinkgeld von mir.
Die Blondine schüttelte sich vor Ekel und musste ein angewidertes Würgen unterdrücken. Innerlich flehte sie, dass diese Fahrt bald ihr Ende nahm, damit sie endlich wieder an die frische Luft kam.
Und als hätte der Fahrer ihre Gedanken gelesen, wurde das Taxi merklich langsamer und hielt in einer spärlich beleuchteten Seitenstraße, die wenig vertrauenerweckend und, besonders für eine Frau, gefährlich war. Diese Tatsache schien den Kerl jedoch wenig, bis gar nicht zu kümmern, denn mit einem aufgesetzten Lächeln verkündete er, dass sie nun an ihrem Ziel angekommen seien.
Emilia nickte mürrisch, während sie eilig ihr Portmonee zu Tage förderte. Sie wollte so schnell wie möglich hier raus.
„Das macht zehn Dollar“, verkündete er und sah sie hoffnungsvoll an. Es war kaum zu übersehen, dass er auf ein gutes Trinkgeld versessen war. Ihr war durchaus klar, dass Taxifahrer wenig Geld verdienten und auf jeden Cent angewiesen waren, trotzdem hatte sie kein Mitleid und klatschte ihm einen Zehndollarschein aufs Armaturenbrett. Dann öffnete sie übereifrig die Beifahrertür und verließ wortlos das Taxi.
Die Absätze ihrer High Heels klackerten auf dem Asphalt, als sie die verlassene Straße entlangschritt. Ein nächtlicher Windhauch streifte ihre Wangen, ließ sie frösteln und verursachte eine Gänsehaut. Hastig schlug sie die Arme um ihren halbnackten Oberkörper, um sich zu wärmen. Wieso habe ich keine Jacke mitgenommen?, ärgerte sie sich über ihre eigene Nachlässigkeit, während ihre Zähne vor Kälte klapperten. Emilia nahm deutlich an Geschwindigkeit zu. Als sie um die nächste Ecke bog, erhob sich vor ihren Augen das 38°. Dieser Ort ließ sie ebenso erzittern, wie die niedrigen Temperaturen, denn er löste negative Erinnerungen und Gefühle in ihr aus. Wie oft hatte sie schon miterlebt, wie ihre Kollegen in dieser Diskothek die Kontrolle über sich verloren und unschuldige Menschen gefährdeten? Wie viele male hatte sich ihr das Bild geboten, wie sie herumstolzierten und sich in den Räumen bewegten, als seien sie über alles und jeden erhaben? Es waren unzählige Erinnerungen, die in ihrem Kopf umherschwirrten und sich ausnahmslos ähnelten.
Sie sah tiefrote Spritzer auf der Tanzfläche und hörte schmerzvolles Stöhnen, denn Blut, Gewalt und Aggression gehörten stets dazu, wenn ihre Kollegen hier waren und ihre „wohlverdiente“ Freizeit genossen. Ihre Gedanken verdunkelten Emilias Stimmung zusehends. Ihre feinen Augenbrauen schoben sich zusammen und die zarten, lieblichen Gesichtszüge verhärteten sich zu kaltem Stahl.
Bedauerlicherweise waren ihre Kollegen bei Weitem nicht der einzige Abschaum, der sich hier herumtrieb. Man konnte es nicht mehr abstreiten: das Böse in dieser Stadt spross wie Unkraut aus dem Boden und wucherte in den Straßen und Herzen der Menschen. Barbarisch, empathielos, egoistisch, so ließ sich der Großteil ihrer Mitmenschen bezeichnen. Für sie grenzte es mittlerweile an ein Wunder, wenn sie mitfühlenden und liebevollen Menschen begegnete, die reinen Herzens waren. Solche Charaktere waren eine Seltenheit in Saint Berkaine, wahre Raritäten.
Versunken in trüben Gedanken schritt sie an der ungeduldig wartenden Menschenmenge vorüber, die sich die Beine in den Bauch standen, um in die Diskothek eingelassen zu werden. Die Gesichter waren bloß unklare Schemen, die neben ihr wie Geister in der Nacht schwebten. Die Blondine beschäftigte sich nicht weiter mit ihrer Umgebung und beeilte sich in den Club zu kommen, um der Kälte endlich zu entgehen.
Nachdem sie den grimmig dreinschauenden Türsteher, der sie problemlos passieren ließ, hinter sich gelassen hatte, betrat sie den engen, verwinkelten Flur. Die angestaute Hitze war wie eine Mauer, gegen die sie lief und sie an einem Weiterkommen hinderte. Eine wüste Mischung unterschiedlichster Gerüche stieg ihr brutal in die Nase: starker Alkohol, Erbrochenes, Schweiß, penetrantes Parfüm und Urin. Ihr wurde ganz schwummrig. Die schwüle Luft war schwer und dicht. Schweiß haftete an jeder Stelle ihres Körpers und ließ ihr Kleid wie eine zweite Haut an ihr kleben.
Sie beschloss umgehend den Weg zur beleuchteten Bar einzuschlagen, um ihre ausgetrocknete Kehle zu befeuchten und ihren Körper abzukühlen. Emilia ging die Treppe hinab und ließ ihren Blick über den überfüllten Großraum schweifen. Auf der Tanzfläche wogen sich die jungen, schwitzenden Menschen zu den Beats der hämmernden Musik und verschmolzen zu einem zuckenden, elektrisierten Einerlei. Unterschwellig spürte sie die ersten Nuancen der vorherrschenden Wollust, Leidenschaft und Euphorie. Bei jeder weiteren Stufe verstärkten sich diese Eindrücke. Die gewaltige Kraft der sexuellen Spannung, des Verführungswillens und der Hoffnung, heute Nacht dem Alleinsein für einige Stunden zu entfliehen, verschlug ihr den Atem.
Es war offensichtlich, dass der Großteil der Anwesenden ins 38° eingekehrt war, um Jemanden abzuschleppen. Der übrige Teil der Masse suchte entweder eine Möglichkeit Drogen in die Finger zu bekommen oder wollte einfach den Abend genießen und Spaß haben.
Die junge Killerin hingegen hatte kein Interesse daran sich irgendeinen Kerl zu suchen, den sie später mit nach Hause nehmen konnte. Seit des Schmerzes und der Enttäuschung, die die Beziehung zu Marcus´ in ihrem Herzen hinterlassen hatte, vermied sie die Nähe zu Männern und bevorzugte die Isolation.
Als sich ihre Augen jedoch auf die Bar, die sich vor ihr befand, hefteten, sah sie ein männliches Exemplar, das diesen Entschluss für einen Moment ins Wanken brachte.
Victor Drake, der attraktive Barkeeper mit den tätowierten Oberarmen und unbändigen, dunkelblonden Haaren, bewegte sich geschäftig und geschmeidig, ja beinahe tänzelnd hinter der Bar. Emilia schaute einige Minuten dabei zu, wie er Flaschen herumwirbelte, Cocktails mixte und mit den Frauen, die ihm bewundernd und verlangend ansahen, eifrig flirtete. Er beherrschte sein Metier hervorragend und Emilia zweifelte nicht daran, dass er auch heute Nacht einiges an Trinkgeld verdienen würde.
Bei jeder Bewegung spannten sich seine Muskeln an und zeichneten sich unter seinem engen, schwarzen T-Shirt ab. Wie gebannt starrte sie auf seinen Oberkörper, so lange, bis der Klang einer Männerstimme an ihre Ohren drang und ihre Träumereien jäh unterbrach.
„Was kann ich dir bringen, Em?“ Ihr Kopf zuckte zu dem Barkeeper, der ihren Blick suchte.
„Etwas Starkes, das mich wach hält.“
„Schlimmer Tag?“
„Eher schlimmer Monat“, korrigierte sie ihn missmutig, hoffte dabei jedoch auch auf ein wenig Mitleid.
„Oh man, das klingt echt hart, Süße.“ Aus seinen teichgrünen Augen warf er ihr einen verständnisvollen Blick zu, nebenbei spülte er im Akkord verschmutzte Gläser in einem kleinen, metallenen Waschbecken. „Soll ich dich aufmuntern?“, fügte er charmant lächelnd hinzu.
Ob sein Angebot ernst gemeint war, war für Emilia nicht ersichtlich, darum verhielt sie sich zunächst ruhig und abwartend. Victors Lächeln wurde währenddessen immer breiter und reichte nun von einem Ohr zum Anderen.
„Warum so still, Em? Stellst du dir mich gerade nackt vor?“, neckte er sie frech. Reflexartig versetzte sie ihm für seine Unverschämtheit einen kräftigen Stoß gegen die linke Schulter, was er gelassen hinnahm.
„Ich werte das mal als ein ja!“ Die Blondine erwiderte auf seine Aussage ein amüsiertes Grinsen. Victor hatte es tatsächlich geschafft sie aufzumuntern, auch wenn es auf ihre Kosten war.
„Ich enttäusche dich nur ungern, aber ich gebe mich vorerst mit Alkohol zufrieden, Victor.“
„Schade“, schmollte er gespielt, inzwischen füllte er ein Glas mit Bourbon, das er ihr anschließend über die Theke reichte.
„Vielen Dank.“ Mit einem zufriedenen Nicken legte sie ihm zwanzig Dollar auf den Tresen, ehe sie sich umwandte.
„Wenn du doch einmal Aufmunterung brauchen solltest, dann gib mir Bescheid, Süße.“ Der vergnügte Ton seiner Stimme entging ihr nicht, so, wie die Zweideutigkeit seiner Worte.
Sie warf ihm einen kecken Schulterblick zu, bevor sie sich auf die Suche nach einer Sitzmöglichkeit begab.

Müde saß Emilia McDermott in einem Ledersessel und hatte große Schwierigkeiten ihre Augen offen zu halten. Vor ihr, auf einem niedrigen Tisch, stand ihr mittlerweile fast geleertes Glas. Entnervt seufzte sie und strich sich Strähnen ihres blonden Haares aus dem Gesicht, die an ihrer schweißnassen Stirn klebten. Der Alkohol hatte sie zu ihrem Leidwesen nur noch schläfriger gemacht und ihr jegliche Kraft entzogen. Wieso bin ich überhaupt hierher gekommen? Ich kann mich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten und Spaß habe ich auch nicht. Und wo sind eigentlich meine verfluchten Kollegen? Sie reckte ihren Kopf, um vielleicht einen von ihnen zu entdecken, aber ohne Erfolg. Mist, warum habe ich mich bloß von ihnen zu diesem Abend überreden lassen?
„Hey, Emilia.“ Wie aus dem Nichts tauchte ein gutgelaunter James Roddick neben ihr auf und setzte sich ihr gegenüber. „Alles klar bei dir?“
„Sieht das für dich so aus?“, jammerte sie und rieb sich die Augen. Seine Reaktion war ein erheitertes Schmunzeln.
„Ehrlich gesagt nein“, antwortete er. Dann legte er seine linke Hand auf ihre rechte Schulter und aus dem Schmunzeln wurde eine besorgte Miene.
„Was ist denn los?“ Die Blondine seufzte und entgegnete seinen intensiven Blick.
„Ich bin todmüde, James. In den letzten Tagen habe ich kaum ein Auge zugemacht.“ Entkräftet massierte sie ihre Schläfen und unterdrückte den Drang, gähnen zu müssen.
„Waren deine Aufträge so anstrengend?“ Die Frage ihres jungen Kollege wühlte sie emotional auf, was sie an den Rand des Erträglichen trieb. Ungewollt wurde sie an ihre Zielpersonen in den vergangenen Wochen erinnert. Schlagartig wurde ihr bewusst, was der wahre Grund ihrer Schlaflosigkeit war. Es war nicht die körperliche Anstrengung während ihrer Arbeit, sondern ihre Gewissensbisse, die sie quälten, wie ein chronisches Leiden. Und dieses Leiden würde niemals enden; niemals verschwinden, denn es hatte sich tief in ihre Seele eingegraben und war ein Teil von ihr, bis zu ihrem Tod.
„Emilia?“ Der Klang von James´ rauer Stimme verdrang die schrecklichen Bilder und peinigenden Gedanken in ihrem Kopf, zumindest für diesen Augenblick.
„Du hast Recht. Es waren viele Aufträge in letzter Zeit“, kam es in Höchstgeschwindigkeit über ihre Lippen, was sie noch nervöser wirken ließ. Ihr Gegenüber setzte eine verdutzte Miene auf.
„Ist wirklich alles klar bei dir, Emilia?“
„Ja, ja, ich weiß nur nicht, was ich gegen diese verfluchte Müdigkeit tun soll. Damit hatte ich noch nie…“ Emilia brach mitten im Satz ab, als sie plötzlich bemerkte, dass die Aufmerksamkeit ihres Gesprächspartners nicht länger ihr galt. Angesäuert folgte sie James´ stieren und hungrigen Blick und erbleichte. Seine grauen Augen klebten an Ophelia, die durch ihre Schönheit und erotischen Bewegungen aus der Menschenmenge hervorstach und ihren jungen Kollegen anlächelte.
James erwiderte ihr unwiderstehliches Lächeln und zwinkerte ihr zu. Emilia hingegen befand sich in einer Schockstarre.
„Sie ist wunderschön“, schwärmte er verträumt, was die Blondine abrupt zurück ins Hier und Jetzt beförderte. Sie wandte sich ihm zu und strafte ihn mit einem strengen Blick.
„Ich warne dich, James, halte dich von Ophelia fern. Das ist…“ Erneut stoppte sie ihre Worte, denn ihr Kollege war mit den Gedanken wieder ganz weit weg.
„Hey, hörst du mir überhaupt zu?!“
„Was hast du gesagt?“
„Ich habe gesagt, dass du dich von Ophelia fernhalten sollst“, wiederholte sie entnervt.
„Das kann und will ich auch nicht, Emilia“, blaffte er sie ungehalten an. „Ophelia ist etwas Besonderes und ich werde sie bestimmt nicht meiden, nur, weil du Paranoia hast.“
„Paranoia? PARANOIA?“ Die Stimme der Blondine erreichte unnatürliche Frequenzen. Sie musste erstmal nach Luft schnappen, ehe sie nach seinen dreisten Worten weitersprechen konnte.
„Im Gegensatz zu dir kenne ich die Wahrheit.“ Die Miene ihres Kollegen verdunkelte sich.
„Ach ja, wie sieht diese Wahrheit denn aus?“
„Die Wahrheit ist, dass du nicht im Geringsten ahnst, wer Ophelia wirklich ist“, fauchte Emilia.
„Gehe ich richtig in der Annahme, dass du sie besser kennst?“
„Ja, denn ich arbeite bereits seit vier Jahren mit ihr zusammen und in dieser Zeit habe ich Seiten an ihr gesehen, die zeigen, was für ein seelenloser Mensch sie ist. Man kann ihr nicht vertrauen.“ Ihr Gegenüber öffnete den Mund, doch sie sprach weiter und bemühte sich, ihre Stimme sanft und ruhig klingen zu lassen.
„Du bist mein Freund, James. Mit dir kann ich über alles reden. Dir kann ich meine Sorgen, Träume und Ängste anvertrauen und das schätze ich sehr. Deshalb will ich nicht, dass du verletzt oder enttäuscht wirst“, redete Emilia ihm gut zu.
„Und wenn du dich auf Ophelia einlässt, dann wird dich das ins Verderben stürzen.“ Die Blondine sah ihn eindringlich an, während sie ihre rechte Hand auf seine legte. Inständig hoffte sie, dass ihre Worte nun endlich Wirkung zeigten. Tatsächlich entdeckte sie in seinen grauen Augen einen Funken Unsicherheit, doch es kam anders, als erwartet.
„Es tut mir leid, aber ich kann einfach nicht aufhören sie anzusehen, Emilia“, äußerte er ehrfürchtig.
„Du wirst doch nicht so dumm sein und dich in sie verlieben, oder?“, fragte sie entsetzt und sprang auf. Ihr Gegenüber blieb stumm.
„James?“
„Deine Warnungen kannst du dir sparen. Ich bin dieser Frau bereits verfallen.“
„Bist du verrückt geworden oder einfach nur verblendet? Ich habe dich für einen vernünftigen und klugen jungen Mann gehalten, aber jetzt…“
„Was?“
„Jetzt zeigt sich, dass Miss Monroes Anziehungskraft und Verführungskünste dermaßen stark sind, dass sie selbst dich überwältigen und zu einem willenlosen Sklaven machen.“
„Hast du mich gerade wirklich einen Sklaven genannt?“
„VERDAMMT, SIEH DICH DOCH AN! Ophelia schert sich einen Dreck um dich und du sitzt hier und himmelst sie an. Sie hat dich unter Kontrolle. Sie braucht nur mit den Fingern zu schnipsen und du kommst angelaufen wie ein abgerichteter Hund.“
„Hör auf damit, ja? Du hast keine Ahnung, was ich fühle. Ich liebe Ophelia und sie…“
„Und sie liebt dich?“ Ungläubig sah sie ihn an, denn sie zweifelte an seinem gesunden Menschenverstand. „Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?“
Als ihr Kollege ernst nickte, schlug sie ihm mit der flachen rechten Hand kräftig gegen die Stirn.
„Aua! Verflucht, was soll das?“ Ihre Antwort war ein weiterer Schlag.
„Das ist dafür, dass du so dumm, naiv und geil bist, James Roddick!“, zischte sie und stemmte die Hände in die Hüften. Emilia kam sich vor, wie seine große Schwester, die ihm einen Vortrag halten und Vernunft einbläuen musste, aber sie konnte nicht anders, denn seit Williams Tod fühlte sie sich für James verantwortlich.
„Wie jeder andere Mann lässt du dich von ihrem Äußeren blenden und ignorierst ihren verkommenen Charakter. Sie ist nicht gut für dich! Diese Frau ist für niemanden gut. Sie ist gefährlich, intrigant und gefühllos.“ Mit ihrer Ansprache machte sie wenig Eindruck auf James. Gelassen leerte dieser sein Glas und lehnte sich in seinem Ledersessel zurück.
„Du redest schlecht über Ophelia, weil du sie hasst. Deshalb ist es mir nicht möglich deine Worte ernst zu nehmen, Emilia.“
Oh, mein Gott! Das kann doch nicht wahr sein. Frustriert biss sie die Zähne zusammen und stampfte mit dem rechten Fuß auf.
„Argh, wie kannst du nur so blind sein? Die Ophelias dieser Welt interessieren sich nicht für Andere, sondern nur für sich selbst. Sie sind hinterhältige Drecksstücke, die mit deinen Gefühlen spielen und dich ausnutzen. Kapier das endlich!“, platzte es hitzig aus ihr heraus, was James sein Gesicht verziehen ließ.
„Weißt du was, Emilia? Deine bescheuerte und hirnlose Moralpredigt kotzt mich an. Niemand ist fehlerlos, auch du, sei also nicht immer selbstgerecht und unfair, besonders, wenn es um Ophelia geht.“ Sein zügelloser Ausbruch demonstrierte ihr, wie viel dieses niederträchtige Miststück ihm bedeutete. Sie hielt seine Gefühle; seine Liebe zu ihr für fatal und zerstörerisch, denn ihre Kollegin riss jeden in die Finsternis. Die Brünette vernichtete und ließ nichts zurück, wie eine Bombe, die alles in Schutt und Asche legt. Diese Tatsache brachte ihre Sorgen um James dazu, weiter zu wachsen; zu wuchern, wie ein kräftiges Geflecht, das ihr Herz umschloss und zu zerdrücken drohte.
Emilia musste etwas tun. Es war ihre Pflicht. In ihrem Leben gab es nur wenige Menschen, die ihr nahe standen und ihr etwas bedeuteten, deshalb war es ihr umso wichtiger, sie vor jeglichen Gefahren zu schützen.
Sie fackelte nicht lange und ohrfeigte ihren Kollegen, was diesen sichtlich überraschte. Doch schnell schlug seine Überraschung in rasende Wut um.
„Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?!“, brüllte er aggressiv und sprang auf. Als James sich vor ihr aufbaute, spürte sie einen Funken Angst in sich. Er war gerade einmal 16 Jahre alt, wirkte jedoch genauso bedrohlich und tödlich, wie die übrigen Killer.
William hat ganze Arbeit geleistet, dachte sie betrübt und bedauerte James´ Dasein, das sie mit ihm teilte.
„REDE MIT MIR, EMILIA!“ Seine grauen Augen suchten ihren Blick. Als die Blondine ihn ansah, war sie bereit ihm ihre Bedenken mitzuteilen, aber im wichtigsten Moment versagte ihre Stimme.
„Was ist? Fällt dir kein Grund ein, warum du mir aus heiterem Himmel eine Ohrfeige verpasst?“ James´ Stimmung verdüsterte sich zunehmend, was sie unter Druck setzte. Sie musste jetzt sprechen, sonst würde sie ihre Chance, Einfluss auf James zu nehmen, vertun.
„James, ich…“, ihre Worte brachen jedoch schneller ab, als gedacht.
„Was? WAS?“
„Hör auf damit, James! Stopp es, solange du noch kannst.“ Emilia schrie dermaßen laut, dass sich andere Diskobesucher nach ihr umdrehten.
„Sei vernünftig und lass die Finger von Ophelia, wenn dir etwas an deinem Selbstwertgefühl und deiner Würde liegt.“ Vor Empörung blähten sich James´ Nasenflügel, bevor er explodierte.
„Ist das dein Ernst? Du kannst doch nicht wirklich glauben, dass mein Leben zerstört wird, bloß, weil ich sie liebe. Solch eine Aussage ausgerechnet aus deinem Mund zu hören, ist heuchlerisch, Emilia. Du bist schließlich diejenige, die mir seit einer gefühlten Ewigkeit erzählt, wie wichtig es ist, sich seine Emotionen zu bewahren und diese zuzulassen und nun willst du mir etwas anderes erzählen?“, jappste er atemlos.
„Dir geht es nicht um mich, sondern um Ophelia. Du nutzt jede Chance, um sie in den Dreck zu ziehen. Du kannst nicht ertragen, dass sie mich glücklich macht!“
Emilia hörte ihm geduldig zu und unterbrach ihn nicht, obwohl es in ihrem Inneren brodelte und ihr Herz unentwegt und unsagbar heftig gegen ihre Brust schlug, als wolle es sich befreien.
Seine Worte schmerzten sie. Es traf sie hart, dass James ihr misstraute und an ihren Absichten zweifelte. Das Streitthema Ophelia Monroe riss sie auseinander; es sprengte ihre Allianz, die Emilia am Leben hielt. Sie brauchte die Freundschaft und Vertrautheit zu ihrem jungen Kollegen, wie die Luft zum Atmen. Daher versetzte der bloße Gedanke, James zu verlieren, sie in Panik. Wenn sie ihre Verbindung retten wollte, dann musste sie jetzt Schadenbegrenzung betreiben. Die Blondine schnappte gierig nach Luft und versuchte das Chaos in ihrem Kopf zu ordnen, ehe sie begann.
„Ich gönne dir dein Glück, James, glaub mir. Nichts liegt mir ferner, als dir etwas Schlechtes zu wünschen.“ Jedes Wort wählte sie mit Bedacht, um ihn nicht weiter zu verärgern.
„Du bedeutest mir sehr viel, James. Für mich bist du der kleine Bruder, den ich nie hatte“, sagte sie mit einem warmen Lächeln auf den Lippen. „Ich bin froh, dass wir uns begegnet sind. Deine Bekanntschaft; deine Freundschaft hat mich gerettet, verstehst du? Ich dachte, dass dieser Job mich zerstören; dass er mir das Leben aussaugen und bloß eine leere Hülle hinterlassen würde. Nur du bist der Grund, dass all dies nie geschehen ist und dafür bin ich dir unsagbar dankbar.“ Hastig und unauffällig blinzelte sie die aufkommenden Tränen weg. Sie musste jetzt stark bleiben, um ihre wichtigen Worte an James zu bringen.
„Du verdienst etwas Besseres. Du verdienst wahre Liebe und tiefes Vertrauen, also komm zur Besinnung, James! Ich flehe dich an.“ Mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme beendete sie ihre eindringliche Bitte.
Ihr junger Kollege sagte nichts. Er begnügte sich lieber mit einem mürrischen Blick, der ihr deutlich machte, dass sie versagt hatte. Innerlich verabschiedete sie sich endgültig von der Hoffnung zu ihm durchzudringen und resignierte. Sie musste sich geschlagen geben. Der Kampf gegen Ophelia war, wie so oft, verloren.
„Offen gesagt interessiert es mich nicht im Geringsten, was du als gut oder schlecht für mich empfindest. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen und ich entscheide mich für Ophelia! Sie wird es immer sein.“ Sein letzter Satz war wie ein Hammerschlag. Die Frau, die sie unaussprechlich verabscheute und hasste, hatte James in Besitz genommen, ihm den Kopf verdreht und sich zu Eigen gemacht. Grenzenlose Wut machte sich in ihr breit und brachte ihren Körper zum Beben. Sie macht alles zunichte. Sie stiehlt mir den einzigen Menschen, der mir in meinem Job etwas bedeutet…
Der Klang von James´ Stimme unterbrach jäh ihre negativen Gedanken.
„Ich liebe Ophelia. Sie ist einzigartig.“
„Stimmt, sie ist einzigartig gestört“, brummte sie unzufrieden. Ihren Kommentar quittierte er mit genervtem Augenverdrehen.
„Das war unnötig und unpassend, Emilia.“
„Nein, dies ist nur ein weiterer Versuch dich davon zu überzeugen, dass diese irre Schlampe im Püppchenformat dein Untergang sein wird.“ Ein wildes, aggressives Blitzen erschien in James´ grauen Augen, das von Unzufriedenheit zeugte.
„Du kannst dir diese schnöden Seitenhiebe einfach nicht verkneifen, oder? Nun gut, eins muss ich dir lassen: Deine Beleidigungen werden zumindest kreativer“, belächelte er sie mit einer Prise Sarkasmus. Emilia hingegen war nicht zum Lachen zumute oder zu Späßen jeglicher Art aufgelegt.
„Ich finde das Ganze gar nicht witzig, James. Deine blauäugige und schädliche Liebe zu Ophelia zieht dich in einen modrigen Sumpf aus Erniedrigung, Selbstmitleid und Verachtung. Verstehst du nicht, dass du bloß benutzt wirst? Sie wird einige Zeit mit dir spielen, wie ein amüsantes Spielzeug, bis ihr die Lust vergeht und sie dich wegwirft wie ein Stück Müll. Sie wird nichts mehr von dem James übrig lassen, den ich kenne und respektiere.“
„Das sind doch nur Hirngespinste, die du mir versuchst in den Kopf zu pflanzen. Du zwängst mir unentwegt deine Meinung auf und zwar auf eine Weise, die mich bis aufs Blut reizt. Lass es sein! Ich weiß, was ich fühle und wen ich liebe. Ich bin der Richtige für Ophelia Monroe. Ich gehöre zu dieser Frau. Sie ist mein Schicksal.“
„Ach, mach dir doch nichts vor, James. Du passt nicht in das oberflächlich-manipulative Monroe-Plastikuniversum. Und du hast es nicht nötig, dich wie ein liebeskranker und schwachsinniger Idiot aufzuführen“, kredenzte sie ihm einen neuen Satz an Belehrungen.
„Mein Gott, Emilia, gehst du dir mit deinem Dauergezicke nicht langsam selbst auf die Nerven?“, fragte er aufgebracht und ließ sich schwerfällig in seinen Sessel fallen.
„Das bestimmt nicht, James. Ich werde nicht aufgeben dich zur Vernunft zu bringen, denn für mich gibt es keine wichtigere Aufgabe, als dich zu beschützen.“
„Beschützen…beschützen“, murmelte er ungläubig kopfschüttelnd vor sich hin, während sie sich ebenfalls setzte. „Ich benötige keinen Schutz vor einer Frau durch eine Frau.“ Seinen letzten Worten verlieh er besondere Betonung. James´ Stolz und mangelnde Vorsicht gegenüber Ophelia würden ihm schneller, als ihm lieb war, den Hals brechen und dies musste sie verhindern, auch wenn sein Widerstand kaum zu durchbrechen schien.
„Jeder muss vor Ophelia geschützt werden, allen voran Männer, die ihre Verdorbenheit unterschätzen oder schlimmer noch, diese anziehend finden.“ Ihr eindringlicher Blick sollte ihm zeigen, dass auch er mit der letzten Aussage gemeint war.
„Deine Anspielungen werden im Laufe des Abends immer lächerlicher und nicht zu vergessen überflüssig, Emilia.“
„Das musst du schließlich sagen, James, wenn du der Realität nicht gerne ins Auge siehst. Deine Blindheit und Naivität im Bezug auf diese bulimische Schlampe sind wirklich unfassbar“, wandte sie ein und verzog unzufrieden ihre Miene.
„Du bist von der Wahnvorstellung besessen, dass sie dich liebt.“ Ihre Stimme bekam einen bedauernden Unterton, den sie nicht unterdrücken konnte. „Ich weiß, dass es schwer ist, aber bitte versuch deine Gefühle abzustellen oder zu ignorieren“, war Emilias Vorschlag, doch ihr junger Kollege versetzte ihr umgehend einen herben Dämpfer.
„Dir zuliebe soll ich etwas Unmögliches schaffen? Für dich soll ich diese unvergleichliche Frau aufgeben?“ James´ Gemütszustand bewegte sich zwischen Verärgerung und Verzweiflung. „Du hast keine Ahnung, was du da von mir verlangst.“ Mit gefletschten Zähnen und aggressiv schnaubend stierte er die Blondine an. Sein gesamter Körper stand unter enormer Anspannung, denn seine Muskeln traten deutlich sichtbar hervor. Die Wut hatte eindeutig die Oberhand gewonnen.
„Ich kann meine Liebe zu ihr nicht stoppen, weil sie mit gewaltiger Kraft mein Herz überrennt! Ophelia macht mich glücklich und das sollte für dich der Grund sein endlich Ruhe zu geben und zu akzeptieren, dass ich sie nicht aufgeben werde, ganz im Gegenteil, ich werde für Ophelia kämpfen. Ich werde für mich kämpfen!“, äußerte er wild rasend, um seinen, für ihn wichtigen, Argumenten Nachdruck zu verleihen.
„Die Kräfte, die du in diesen Kampf investierst, sind verschwendet. Dir wird jegliche Energie herausgesaugt, was dich enorm schwächt, James.“ Ihrem festen, entschlossenen Blick wich er stur aus, aber ihre nächste Frage ließ seinen Kopf ruckartig zurückschnellen.
„Wieso lässt du zu, dass sie dich zerstört?“
„Sie zerstört mich nicht, sie zeigt mir, was für ein Mann ich sein kann und wozu ich in der Lage bin.“
„Das ist es, was mir Sorgen bereitet, denn sie zeigt dir den falschen Weg“, sprach sie mit sanftem Kummer. „Sie unterstützt und verstärkt die negativen und schlechten Seiten deines Charakters. Sie bringt den unbarmherzigen, brutalen James hervor, weil sie diese Facette von dir favorisiert. Sie formt dich nach ihren Vorstellungen und Vorlieben und dabei ist es ihr völlig gleichgültig, ob dies deinem wahren Ich entspricht…“
„Was ist denn mein wahres Ich?“, fiel er ihr gereizt ins Wort, da Emilia im Begriff war ihn zu analysieren. In seiner ganzen Person war seine Empörung darüber deutlich sichtbar.
„Du bist ein guter Mensch, James, zu gut, um sich in unserem Metier zu bewegen. Ich weiß, dass Williams Glaube an dich und deine Fähigkeiten unerschütterlich war, was ich durchaus nachvollziehen kann, aber auch er hat auf die falsche Seite gesetzt. Er hat deine positiven und wertvollen Eigenschaften übersehen. Er hat sie erstickt und verkommen lassen und Ophelia tut es ihm gleich. Für beide bist du wie ein Spiegel: eindimensional und ihre Vorstellungen und Erwartungen reflektierend“, führte sie ihre Ansichten lebhaft aus.
„Dein edler, wertvoller Charakter ist dein wahres Ich. Lass ihn raus! Befreie dich von der Last so sein zu müssen, wie William es dir eingetrichtert hat. Du bist nach seinem Tod nicht dazu verpflichtet seine Ideale weiterzuführen. Hab keine Angst davor du selbst zu sein, James.“
Emilia fasste ihn instinktartig und energisch blickend bei den Schultern. Er musste sie einfach verstehen. Er musste Vernunft annehmen und jeglichen Ballast abwerfen.
„Wag es nicht von William zu sprechen, als sei er ein egozentrischer Mistkerl gewesen, der mich nach seinem Willen geformt hat. Er hat mir eine Perspektive im Leben gegeben; er war wie ein Vater für mich, der mich stets unterstützt hat. Du hast keine Ahnung, was William für mich getan oder mir die vergangenen Jahre meines Lebens beigebracht hat, aber ich kann dir versichern, dass er mir nichts aufgezwungen hat, Emilia. Es war meine eigene Entscheidung von ihm zu lernen, was es bedeutet und braucht, um ein Auftragskiller zu sein. Das war nur ich, ich allein!“, ereiferte er sich in hitziger Rede. Die Blondine bekam unwillentlich tränenfeuchte Augen, angesichts James´ Arglosigkeit in Hinsicht auf die Absichten seines Adoptivvaters. Sie bekam Gewissensbisse bei dem Gedanken daran ihrem Gegenüber ihre Meinung über William Cunningham zu offenbaren, doch es lag nicht in ihrem Bemessen ihre Entscheidung zu überdenken. Eine unsichtbare, unbezwingbare Macht beeinflusste sie und drang sie dazu, ihm ihre Erkenntnisse, die sie über ihn als seine Mitarbeiterin gewonnen hatte, mitzuteilen.
James schaute, während sie starr vor ihm sitzend auf ihrer Unterlippe kaute, forschend in ihre, von den Scheinwerfern beleuchteten, blauen Augen, als versuche er ihr inneres Zerwürfnis zu deuten. Bevor ihm jedoch die Chance dazu gegeben wurde, erwachte Emilia McDermott aus ihrer Lethargie und sprach in einem milden, zittrigen Ton.
„William war ein Mann, den ich respektierte, nicht für seine Geschäfte, sein Durchsetzungsvermögen, seine Macht oder Stärke, nein. Meinen Respekt verdiente er sich durch deine Adoption, James. Er öffnete seine Türen und gab dir ein neues Zuhause. Solch eine selbstlose, ehrenhafte Tat gehört bei Weitem nicht zu den alltäglichen Gängigkeiten.“
Ihr junger Kollege lächelte unmerklich über ihre unerwartet warmherzigen Worte, da er sich auf weitere aufgebrachte Tiraden ihrerseits eingestellt hatte.
„Doch…“, begann sie seine Freude zu bremsen, „er hat auch seinen Nutzen aus dieser Adoption gezogen.“ Emilias Entschlossenheit wuchs rasant, denn jetzt gelangte sie zum Kern ihrer Vorwürfe gegen Williams Handeln.
„Du warst noch ein Kind, als du in seine Obhut gerietst. Er hatte deine Erziehung in der wichtigsten Phase des Erwachsenwerdens in seinen, durch etliche begangene Morde bluttriefenden, Händen. Er hat dir seine Lebensphilosophie eingehämmert, die du dir einverleibt und als deine eigene angenommen hast“, fügte sie unerschrocken bei.
„Du maßt dir an, an Williams Absichten zu zweifeln?“, fragte James daraufhin halb erstaunt, halb erzürnt.
„Wer glaubst du, wer du bist, dass du über ihn richtest, huh?“ Emilia wollte ihm antworten, aber er gab ihr keine Zeit dazu.
„Du hälst dich für unfehlbar und stellst dich äußerst gerne in das glänzende Licht der Vollkommenheit, aber pass auf, Emilia: Dort, wo Licht ist, ist auch Schatten.“ Seine Augen schossen wilde Blitze.
„Jede Beziehung in meinem Leben machst du schlecht. Alle Menschen, die mir etwas bedeuten, sind für dich entweder hinterhältige Verräter oder manipulative Narzissten. Du traust mir allem Anschein nach nicht zu, Lügen und Intrigen entlarven zu können. Du siehst in mir nichts weiter als ein wehrloses Opfer, mit dem gemacht werden kann, was man will, aber da irrst du dich! Ich bin ein selbstdenkender, freier Mensch und keine Marionette, weder die Williams, noch die Ophelias.“ James´ Stimme hatte einen eisigen Ton angenommen, der ihr eine Gänsehaut bescherte.
Emilia schluckte hart und ein verstörter Ausdruck legte sich, wie ein Schatten, über ihr anmutiges Gesicht. Diese Unverfrorenheit war sie von James nicht gewohnt und erschreckte sie. Er wird ein ganz anderer Mensch, wenn es um das Ansehen seines Adoptivvaters oder Ophelias Liebe zu ihm geht. Mich sieht er als Feind, der seine heile Welt zerstören will. Ich muss ihn besänftigen, sonst wird er mir niemals verzeihen und mich an ihn heranlassen.
„James, ich…“, versuchte sie eine Erklärung zu murmeln, die hoffentlich auf Verständnis stieß, aber die Worte erstickten auf ihren Lippen.
„Bemüh dich nicht, Emilia. Verschwende deinen Atem nicht für weitere, verlogene Entschuldigungen.“ Der Dunkelhaarige heftete seinen durchdringenden, vernichtenden Blick auf sie.
„Jetzt kenne ich deine Haltung gegenüber meinem Urteilsvermögen und den Menschen, die ich liebe, also tu mir den Gefallen und halt von nun an deinen Mund“, spuckte er förmlich aus, als sei das Thema damit endgültig beendet. Emilia hatte jedoch Einwände, die abermals gegen seine Ansichten gerichtet waren. Es stand außer Frage, dass ihr die Rettung ihres Vertrauensverhältnisses, das sich bereits in einem desolaten Zustand befand, am Herzen lag, aber James´ Rettung vor Ophelia hatte eindeutig Vorrang. Um diese Beziehung zu zerstören war sie sogar dazu bereit ihre zu opfern, denn der Gedanke, dass er dann endlich sicher vor ihr war, erfüllte sie mit Glückseligkeit. Aus diesem Grund würde sie den Kampf nicht aufgeben.
„Du machst dich lächerlich, wenn du, bezüglich dieses Miststücks, weiterhin über Liebe sprichst.“ Emilia strich wie mechanisch ihr goldblondes Haar hinter die Ohren, wobei sie von James nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen wurde.
„Ich hege noch immer die winzige Hoffnung dich von der Krankheit namens Ophelia Monroe kurieren zu können“, äußerte sie leise und etwas zögerlich.
„Mit dieser absurden Ansicht liegst du völlig falsch, Emilia! Du musst geheilt werden und zwar von deiner Missgunst und deinem grenzenlosen Hass. Dein fanatisches Verhalten im Bezug auf Ophelia ist nämlich krankhaft und unnormal.“ Sie hatte mit erneuter Gegenwehr gerechnet, dennoch ließ sie sich nicht von ihrem Weg abbringen. James musste von Ophelia ferngehalten; von seiner Liebe befreit werden, egal mit welchen Mitteln.
„Unnormal ist dein Festhalten an ein verzerrtes, unwirkliches Bild, das dein liebesverseuchtes Hirn erschaffen hat“, brach es hemmungslos aus der Blondine heraus.
„Sie hat dich wie ein Virus infiziert, James, und du wirst an dieser Beziehung elendig zugrunde gehen.“
„Das reicht, Emilia. Ich habe endgültig genug von deinen Hasstiraden“, brüllte er, energisch aufspringend. Er stützte seine Hände auf die Armlehnen ihres Sessels und kam mit seinem Gesicht, bis auf wenige Zentimeter, an ihres heran. In dem Stahlgrau seiner Augen fand sie ausschließlich unversöhnliche Kälte und Feindseligkeit.
„Du wirst mich nicht daran hindern sie zu lieben“, raunte er harsch und bohrte seine Finger in das Sesselpolster. „Du wirst mich niemals von ihr trennen.“ Die blonde Killerin saß bewegungslos vor ihm und wagte es nicht zu widersprechen oder zu atmen. James versetzte sie in eine niemals erwartende Angst, die sich in sie eingrub.
„Wag es noch einmal dich zwischen Ophelia und mich zu drängen und du wirst es bereuen, Emilia McDermott“, drohte er inbrünstig.
„Ist das klar?!“, fragte er sie, um sich zu versichern, dass sie verstanden hatte. Unfähig zu sprechen, nickte sie, ihn aus flehenden Augen anschauend. Stumm bat sie ihren jungen Kollegen eindringlich ihre Besorgnis Ernst zu nehmen und über ihre Worte in Ruhe und gewissenhaft nachzudenken.
„Dann ist ja alles geklärt“, überging James ihren Blick, ob aus Absicht oder mangelnder Aufmerksamkeit vermochte sie nicht zu sagen. Und noch ehe sie etwas entgegnen konnte, richtete er sich zu voller Größe auf und trat mit Stolz erhobenen Hauptes aus ihrem Sichtfeld.
Emilia wandte sich um und entdeckte ihn wenige Meter von ihr entfernt. Mit verschränkten Armen und stocksteif stand er am Rand der Tanzfläche.
Während sein Blick erneut wie gebannt an Ophelias Körper hing, verharrte sie in stummer Verachtung für ihre Kollegin. Es machte sie beklommen, dass sie James nicht von ihr fernhalten konnte; dass ihre Überzeugungskraft nicht stark genug war ihn aus ihren Fängen zu befreien.
Statt ihn vor diesem Miststück zu retten, musste sie mitansehen, wie er zu der dunkelhaarigen Schönheit schlenderte, die ihn mit einem sinnlichen Lächeln empfing. James verlor keine Zeit und umschlang fast schon gierig ihre schmale Taille und presste sie an sich. Er wusste, dass sie ihn von weitem beobachtete und nun wollte er ihr demonstrieren, ja beinahe unter die Nase reiben, wie wenig er von ihrer Meinung und ihren Sorgen hielt und dass er stets Ophelia ihr vorziehen würde. Emilia spürte eine tiefe Unruhe gepaart mit einer Spur Traurigkeit, die ihr erneut die Tränen in die Augen trieb. Und dieses Mal ließ sie ihnen freien Lauf. Sie musste nun nicht mehr stark sein, sondern konnte sich ganz ihrer grenzenlosen Hoffnungslosigkeit hingeben. Hemmungslos flossen die Tränen über ihre erhitzten Wangen und tropften in ihr Dekoltee. Die Blondine schluchzte tonlos, während zahlreiche Gedanken durch ihren Kopf rasten. Sie ließ die vergangenen Minuten noch einmal Revue passieren, was sie am Ende schwermütig aufstöhnen ließ.
Die niederschmetternde Bilanz ihrer Bemühungen war ein endgültig zerbrochenes Verhältnis zu James, das nicht zu kitten war, nicht nach diesem hochexplosiven Disput.
Emilia McDermott musste der harten Realität ins Auge blicken: James liebte Ophelia und würde für sie jederzeit gedankenlos sein kostbares Leben geben.
Warum besaß er auch nicht die Zähigkeit und Stärke ihr zu widerstehen? Wieso war er wie all die anderen Männer, die ihrer Kollegin reihenweise zu Füßen lagen?
Weil sie eine verführerische Sirene ist, die mit ihrer Attraktivität einem den Atem raubt. Hinzu kommt ihr einnehmender Charme, der beeindruckende Intellekt und ihre Stimme…
Ihr Herz pochte unbändig gegen ihre Brust, als eine Welle der Erinnerungen über sie hereinbrach. Kühler Schweiß trat auf ihre Stirn, die, eines Fieberwahns ähnlich, glühend heiß war.
Diese Stimme kommt einem Aphrodisiakum gleich. Die himmlischen, sanften und entzückenden Klänge bezirzen und vernebeln Körper und Geist. Diese bildschöne Frau weiß genau, welche Worte sie ihrem Gegenüber ins Ohr hauchen muss, um diesen um den Verstand und unter ihre Kontrolle zu bringen. Wenn einem dann auch noch ihr sinnlicher Duft in die Nase steigt und gleichzeitig brennende Lippen über die Haut gleiten, dann wird man schwach und gibt sich hin…
Nun war es an Emilia ihren Blick auf Ophelias Körper zu richten, der in einem trägerlosen, hautengen Kleid mit Leopardenmuster steckte. Dieses winzige Stück Stoff schien symbolisch für ihren Charakter zu stehen: ein wildes, gefährliches Raubtier, verborgen hinter einer bezaubernden, makellosen Hülle, das seine ahnungslose Beute anlockt.
Vor ihrem inneren Auge liefen unwillkürlich verschwommene Bilder einer lang vergangenen Nacht, wie ein Film, vorüber. Den genauen Zeitpunkt dieses einmaligen Ereignisses, dass sowohl seltsam, erotisch, als auch beängstigend gewesen war, hatte sie erfolgreich verdrängt.
Die blonde Killerin roch das zarte Parfum, das aus jeder Pore ihres Körpers strömte und sah das kecke Lächeln, welches ihre maliziösen Gedanken erahnen ließ. Sie erlebte alles noch einmal, dabei entging ihr nicht das kleinste Detail, als sei das Treffen zwischen ihnen erst wenige Stunden her.
Der süßliche Geschmack der vollen Lippen, die mit ihren zu einem leidenschaftlichen Kuss verschmolzen, und die schwüle Hitze, die über sie kam, hatten sich, zu ihrem Leidwesen, in ihr Gedächtnis eingebrannt. Als sie im Begriff war völlig in den Tiefen ihrer Erinnerungen abzuschweifen, schüttelte sie heftig den Kopf, um ihren Verstand zu klären.
Emilia schämte sich. Sie schämte sich wegen ihrer Schwäche, der sie unterlegen war und die sie James nun vorwarf. Es war die Schwäche von Ophelia Monroe verführt worden zu sein.
Mit zittrigen, eiskalten Händen wischte sie die Tränen fort, die unverändert auf ihren Wangen klebten, während sie unaufhörlich von ihren Vorwürfen gegen sich selbst gequält wurde.
 
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