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3 Seiten

Böses Bärchen - Wann kommen sie wieder?

Romane/Serien · Amüsantes/Satirisches
Böses Bärchen
Wann kommen sie wieder?





Der Wecker reißt mich viel zu früh aus dem Schlaf. Draußen ist es noch dunkel, doch ich muss mich leider aus der wohligen Wärme des Bettes quälen und aufstehen. Widerwillig schiebe ich meinen nackten Fuß unter der Decke hervor, setze ihn auf den Boden und lande in etwas Weichem. Etwas Weichem?
Schlagartig bin ich jetzt hellwach, sitze kerzengerade und schaue, in was ich da getreten bin. Ein Brot, dick mit Honig bestrichen. Was macht das in meinem Schlafzimmer? Da es nicht sein kann, dass mein Frühstück sich seit Neuestem von selbst ans Bett bringt, muss es eine andere Erklärung geben. Und es muss auch eine andere Erklärung geben für die weiteren Honigbrote, die hier auf dem Boden liegen und wie die Spur aus Brotkrumen bei Hänsel und Gretel den Weg bis zur Tür weisen.
Mit einer Mischung aus Neugier und böser Vorahnung folge ich der Spur, folge ihr über den Flur bis in die Küche. Dort scheint es als habe eine Invasion der Honigbrote den Raum heimgesucht, denn sie sind überall, auf dem Boden, auf dem Tisch, auf dem Herd und sogar auf dem Wäscheständer, der hier seit gestern noch steht.
Mitten drin sitzt er und schmiert seelenruhig weitere Brote, neben sich ein großes Glas Honig und einige weitere, die bereits leer sind. Dank der frühen Morgenstunde dauert es eine Weile bis mein Gehirn die absurde Situation völlig erfassen kann und noch einmal eine Weile bis mein Sprachzentrum darauf reagieren kann.
„Lass mich raten“, sage ich schließlich, „du möchtest ein Haustier, hast dich für Ameisen entschieden und da es die in der Zoohandlung nicht gibt, musst du sie jetzt selbst anlocken?“ Er schüttelt den Kopf. „Quatsch, Ameisen als Haustiere will man nur, wenn man ein Ameisenbär ist.“ Okay, das leuchtet natürlich ein. „Du hast gelesen, dass in Afrika immer noch Kinder hungern und jetzt möchtest du ihnen ein Paket voller Honigbrote schicken?“ Wieder schüttelt er den Kopf. „Nee, die würden ja im Paket alle aneinander kleben und du müsstest mir helfen und jedes einzeln verpacken. Viel zu aufwendig.“
Also gut, ich gebe auf. „Was ist es dann? Erklär es mir.“ Mit seinen Knopfaugen sieht er mich an, dann sagt er aufmunternd: „Du hast erst zweimal geraten. Einen Versuch hast du noch...“ Wie so oft frage ich mich, wann er endlich einmal merkt, dass er zu weit geht. Aber die Hoffnung kann ich wohl aufgeben. Wer inzwischen das mindestens hundertste Honigbrot schmiert, der hat wohl den Blick für das richtige Maß endgültig verloren.
Da es einfach noch zu früh ist, richtig sauer zu werden und da ich zudem weiß, dass es sowieso nichts bringt, lasse ich mich auf sein Spiel ein. „Du hast gestern einen Film gesehen mit Alien-Zombies, die die Erde angreifen, und der endete damit, dass die Menschheit herausfand, die einzige Schwachstelle der Alien-Zombies ist, dass sie keinen Honig vertragen und nun hoffst du, der Invasion aus dem All so vorbeugen zu können.“ „So ein Blödsinn. Manchmal bin ich echt erschrocken, auf was für absurde Ideen du immer kommst.“ Immerhin habe ich jetzt dreimal geraten und bin äußerst gespannt auf die bestimmt überhaupt nicht absurde Erklärung für all das hier.
Ob ich denn keine Nachrichten lese, fragt er mich entgeistert. Allerdings ziehe ich es vor, darauf nicht zu antworten. Dann hält er mir eine Zeitschrift unter die Nase. Auf dem Titelbild ein Braunbär, dazu eine Story über die Rückkehr der Bären nach Europa. „Sie wollen wieder bei uns wohnen“, erklärt er und wird dabei ganz aufgeregt, „nach langer Zeit kommen meine Verwandten zu uns zurück. In Slowenien und Norditalien sind sie schon, in Schweden und Finnland sowieso.“
Auf diese Erklärung hin muss ich mich erst einmal setzen. Leider übersehe ich dabei das Honigbrot auf dem Küchenstuhl, aber das ist jetzt auch schon fast egal. „Und du willst sie willkommen heißen, richtig?“, frage ich nach. „Genau. Bären mögen Honig und da hab ich schon mal ein paar Brote gemacht, weil sie nach der langen Reise bestimmt hungrig sind. Willkommenskultur heißt das bei euch Menschen, oder nicht?“
Jetzt gilt es wieder einmal, meine Worte sehr gründlich zu wählen und bloß nichts Falsches zu sagen. „Ist ja echt lieb gedacht von dir“, beginne ich, „aber von Slowenien oder Schweden bis in den Harz, das ist noch eine ziemlich lange Strecke. Und Honigbrote magst du doch auch am liebsten, wenn sie frisch sind, oder nicht?“ Er nickt begeistert mit dem Kopf. Also fahre ich fort: „Also meinst du nicht, es könnte viel besser ankommen, wenn du die Brote frisch machst, sobald deine Verwandten hier bei uns vor der Tür stehen?“
Zu meiner Überraschung sieht er es ein. „Okay, vielleicht hast du recht. Also lass uns erstmal frühstücken. Ich bin von der vielen Arbeit echt hungrig.“ Erleichtert beiße ich in eines der Brote, nehme mir aber fest vor, nach dem Frühstück die Zeitschrift mit dem Artikel über die Rückkehr des Wolfes in den Harz unauffällig verschwinden zu lassen. Nicht, dass ich morgen beim Aufstehen noch in eine Falle trete.


Diese Geschichte (und viele weitere) gibt es auch auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=4FWIqmiKuiI
 
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