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9 Seiten

Mortal Sin Frühjahr 2003- Trapped In Yourself

Romane/Serien · Spannendes
© JoHo24
Hoffnung ist Vertrauen, das seine Hand aus dem Dunklen reckt.
- George Iles


Er nahm einen kräftigen Schluck. Dann noch einen. Das schale, abgestandene Bier rann seine Kehle hinab und landete in seinem leeren Magen. Sogleich wurde ihm flau und er fühlte sich unwohl. Navarro Emanuel Garcìa Henstridge musste sogar würgen. Man, war das erbärmlich!
Frustriert stellte er die halbvolle Flasche zur Seite und hievte sich aus seinem Sessel, in dem er bereits seit drei Stunden gelangweilt hockte. Vor seinen Augen drehte sich das Wohnzim-mermobiliar, sodass er zunächst abwarten musste, bevor er sich im Stande sah ins Bad zu ge-hen.
Dort angekommen, schaltete Navarro das Licht an, was ihn die ersten Sekunden unsagbar quälte und ihm ein unangenehmes Brennen der Augen bescherte. Leise vor sich hinfluchend schlurfte er zum Waschbecken, drehte den Hahn auf und wusch sein Gesicht gründlich mit kaltem Wasser, um seinen Verstand zu klären. Sein Müdigkeitszustand wurde verringert, was Platz für Wachheit und Aktivität schuf. Ihm ging es deutlich besser und er war in der Lage über sein passives Verhalten selbstkritisch nachzugrübeln.
Ausnahmsweise hatte er in dieser Nacht keinen Auftrag, was er einerseits natürlich genoss. Andererseits hatte er keine Ahnung, wie er seine freie Zeit verbringen sollte. Er wusste ein-fach nichts mit sich anzufangen, so hatte er aus Langeweile begonnen zu trinken.
Jetzt war ihm klar, dass dies nicht der klügste Schachzug gewesen war. Scheiße, warum kann ich mich in meiner Freizeit nicht vernünftig beschäftigen? Kann ich wirklich nur Menschen killen? Besteht mein Leben aus nichts anderem?
Anscheinend, denn spontan fiel ihm tatsächlich nichts ein, was ihn interessierte. Navarro ver-zog unzufrieden und mürrisch das Gesicht, dessen Anblick er im Spiegel nicht ertragen konn-te. Daher wandte er sich ab und kehrte ins Wohnzimmer zurück, wo er die Spuren seines ein-samen, nutzlosen Daseins entdeckte. Bierflasche reihte sich an Bierflasche; die getragene Kleidung der vergangenen Tage lag fröhlich verteilt auf dem Boden und müffelte vor sich hin, während mehrere Fliegen um die Reste der Salamipizza herumflogen, die gestern sein Abend-essen gewesen war.
Oh ja, der Langhaarige lebte in einem Schweinestall! Eigentlich machte ihm dies auch gar nichts aus, aber heute störte und reizte ihn der Zustand seiner Wohnung enorm. Er musste unbedingt hier raus und auf andere Gedanken kommen. Entschlossen und zielstrebig schnapp-te er sich seine Lederjacke und den Autoschlüssel und verließ die chaotischen Räume, in de-nen er sich heute einfach nicht wohlfühlen wollte.
Draußen war es bitterkalt. Der Kolumbianer hatte sofort das Gefühl, dass ihm sämtliche Kör-perteile abstarben. Umgehend verfluchte er die Idee seine Wohnung noch in der Nacht zu verlassen, doch als er sich den Grund dafür vor Augen hielt, biss er die klappernden Zähne zusammen und stieg in seinen roten Chevrolet Camaro SS von 1967.
Er startete den Motor und ließ die Heizung auf Hochtouren laufen. Zu seinem Leidwesen musste er jedoch ein weiteres Mal aussteigen, um die Scheiben vom hartnäckigen Eis zu be-freien. Nach zehn Minuten, angefüllt mit harter Arbeit und einer Menge Flüche, stieg er mit tauben Händen und Zehen ins Auto und fuhr los.
Die Straßen waren glatt und er musste verdammt vorsichtig sein, wenn er nicht im nächsten Straßengraben landen wollte. Ziellos kurvte er durch die Straßen, in der Hoffnung, einen Geistesblitz zu bekommen, der ihm sagen würde, wo es hinging.
Leider herrschte im Kopf des Killers weiterhin gähnende Leere und so verging die nächste halbe Stunde in völliger Orientierungs- und Stumpfsinnigkeit. Aber dann meldete sich schlag-artig ein Bedürfnis, das ihn völlig überraschte, ihm allerdings auch endlich ein Ziel vorgab: Navarro Henstridge war geil. Die Lust nach Sex kam schnell und hart und verlangte nach so-fortiger Befriedigung. Er war nicht im Stande die lauten Rufe seines Triebes zu ignorieren, daher machte er sich umgehend auf den Weg ins Rotlichtmilieu Saint Berkaines. Dieses lag am Rande der Stadt und war ihm nicht fremd. Bereits mehrere Male hatte er die Dienste der Prostituierten in Anspruch genommen, da es für ihn die einfachste und effektivste Lösung war sein Bedürfnis zu stillen.
Es dauerte nicht lange, bis er die sündige Straße erreichte. Das schmutzige Licht der Straßen-laternen beleuchtete das rege Treiben, das sich vor seinen Augen abspielte. Trotz der Kälte standen ein Dutzend Frauen unterschiedlichen Alters in knappen Outfits am Straßenrand und boten interessierten Freiern ihre Dienste an. Navarro fuhr ebenfalls im Schritttempo die lange Straße entlang und scannte mit seinen braunen Augen die angebotene „Ware.“
Er war wählerisch, was es ihm nicht gerade erleichterte eine Entscheidung zu treffen. Einige der Prostituierten waren einfach viel zu alt für ihn, andere wiederum gefielen ihm optisch überhaupt nicht oder sahen ungepflegt und kränklich aus.
Doch dann, ganz plötzlich, fiel ihm eine junge Frau auf, die der Statur nach jedoch eher einem Mädchen glich. Ihre dürren, nackten Beine schlotterten heftig bei den niedrigen Temperatu-ren, da sie bloß einen kurzen Jeansrock trug. Die schäbige, falsche Pelzjacke konnte sie nicht ansatzweise warm halten, wodurch sie elendig und bedürftig wirkte. Sie erinnerte Navarro an einen ausgesetzten, streunenden Hund, der sich die letzten Monate auf den rauen Straßen mit allen notwendigen Mitteln durchgeschlagen hatte.
Diese Frau löste etwas in ihm aus; regte Gefühle, die er für nicht mehr existent gehalten hatte. In ihm entstand eine Mischung aus Mitleid und Sanftmut, die ihn letztendlich dazu bewog neben ihr anzuhalten. Unverzüglich kam sie heran und glotzte mit übergroßen Augen durch das Beifahrerfenster, welches er herunterließ.
„Steig ein“, befahl er strenger, als beabsichtigt. Sein Umgangston als gnadenloser Killer ließ sich nun mal nicht von einer Sekunde auf die andere abschalten. Navarro Henstridge hatte schlicht und ergreifend die normale, freundliche Kommunikation mit seinen Mitmenschen verlernt.
Sie hatte allerdings keine Probleme mit seiner Unfreundlichkeit, was wohl daran lag, dass sie in ihrem Gewerbe daran gewöhnt war. Wortlos öffnete sie die Wagentür und stieg ein. Nach der langen Warterei in der Kälte war die Wärme in seinem Chevrolet eine Wohltat, die sie sichtlich genoss. Durch die Innenbeleuchtung und Nähe hatte er mit einem Mal einen guten Blick auf sie. Die dunkelblonden Haare waren schlecht geschnitten und zerzaust vom Wind; sie war übertrieben und geschmacklos geschminkt, was ihr ausgemergeltes Gesicht wie eine groteske Maske erscheinen ließ.
„Also, was willst du?“ Nach dieser Anfangsfrage ratterte sie die Preise ihrer Dienste wie me-chanisch in einem Wahnsinnstempo herunter, sodass Navarro sich gezwungen sah sie zu stoppen.
„Halt die Klappe“, unterbrach er sie rüde. „Ich will den Scheiß nicht hören.“ Perplex sah sie ihn an, zumindest versuchte sie es, denn ihre Pupillen waren unzentriert und konnten ihn nicht fixieren. Der Killer tippte aufgrund von Erfahrungen auf eine bestehende Drogensucht, was nicht ungewöhnlich bei einer Prostituierten war.
„Was zum Teufel willst du dann, huh?“, fragte sie vorlaut. Er bemühte sich Ruhe zu bewah-ren und sie nicht anzufahren. Daher schluckte er seine hoch kochende Wut herunter, ehe er antwortete.
„Ich will dir was zu essen spendieren. Du siehst ausgehungert aus“, meinte er sachlich und trocken. Mit offenem Mund stierte sie ihn ungläubig an, als habe er den Verstand verloren.
„Sag mal, willst du mich verarschen?“ Sein Gegenüber verzog das Gesicht zu einer irrwitzi-gen Grimasse. „Bist du irgend so ein Irrer oder was?“, spottete sie und hatte bloß einen abfäl-ligen Blick für ihn übrig, was Navarro Henstridge gar nicht passte und Zorn in ihm aufkom-men ließ.
„Ich will dich zum Essen einladen und du beschimpfst mich als irre. Ist das etwa deine Art danke zu sagen?“ Automatisch fletschte er die Zähne, wie ein wildes, angriffslustiges Tier.
„Diese Einladung ist also echt dein Ernst?“, fiel sie aus allen Wolken, denn bis dato hatte sie noch fest an einen Scherz von ihm geglaubt. Navarro nickte eisern, während er sich langsam wieder beruhigte.
„Ja, ich will mir dir essen gehen. Ich bezahle dich auch dafür.“ Kaum fiel die Sprache auf das liebe Geld, da glänzten schlagartig ihre sonst trüben blauen Augen und jegliches Misstrauen wurde zur Seite gedrängt. Der Gedanke, dass sie mit einem Abendessen, statt einem Fick Geld verdienen würde, ließ ihr Herz höher schlagen und rief sichtbare Begeisterung in ihr hervor. Aufgeregt zappelte sie auf dem Beifahrersitz herum und knabberte an ihren kaum noch vorhandenen Fingernägeln. Ihr fahriges Verhalten war ein weiteres Indiz für ein vorlie-gendes Suchtproblem, in welches sie sicherlich die verdienten Dollar investieren würde.
„Und wie viel bekomme ich?“
„Bevor wir über die Bezahlung sprechen, möchte ich wissen wie du heißt“, forderte der Langhaarige die erste persönliche Information von ihr. Sie biss sich auf die Unterlippe und grübelte darüber nach, ob sie ihm die Frage beantworten sollte.
„Nun?“
„Mein Name ist V“, kam es von ihr leise und zaghaft, als habe sie Angst zu viel von sich preiszugeben.
„V?“
„Eigentlich heiße ich Verena, aber ich will V genannt werden.“ Entschlossen reckte sie ihr Kinn und schwellte die Brust. Von ihrer vorangegangenen Unsicherheit war nichts mehr zu spüren. Es war unübersehbar, wie wichtig es ihr war, dass er sich an diese Regel hielt.
„Alles klar, V. Ich bin Navarro.“ Er vermied es ganz gewollt ihr die Hand zur Vorstellung zu geben, da er sie für einen Menschen hielt, der nicht viel auf Etikette gab.
„Navarro“, wisperte sie beinahe tonlos. „Ein merkwürdiger Name.“ Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten, als rätsle sie über die Herkunft seines Vornamens.
„Also, V…wo soll es hingehen?“, unterbrach er die merkwürdige Atmosphäre und kam zum eigentlichen Kern ihrer Unterhaltung zurück.
„Nicht weit von hier gibt es einen megageilen Burgerladen.“
„Dann fahren wir dorthin“, verkündete der Killer, was sie verwundert und misstrauisch zur Kenntnis nahm. Noch immer schien sie ihm und seinem Vorhaben nicht über den Weg zu trauen. Dennoch schnallte sie sich an und lotste ihn zum besagten Laden, der acht Querstra-ßen vom Rotlichtmilieu entfernt lag. Während der kurzen Fahrt hatten sie kein Wort mitein-ander gewechselt, obwohl Navarro den Wunsch hegte mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Er hatte allerdings die Hoffnung ihr gleich beim Essen noch ein paar Fragen stellen zu kön-nen, um sie besser kennenzulernen.
Nachdem er geparkt hatte, stiegen sie gemeinsam aus dem Chevrolet und betraten den gut besuchten Burgerladen.
Beim Anblick und Geruch des Essens lief V sogleich das Wasser im Mund zusammen. Eifrig leckte sie sich die Lippen und sah aus, als würde sie sich jeden Moment auf den Hamburger eines Mannes stürzen, der am Tisch direkt neben der Eingangstür saß.
Kurzerhand fasste er sie bestimmt am rechten Oberarm, der gefühlt nur aus Haut und Kno-chen bestand, und zog sie zur Theke, wo sie sich in die Schlange der Wartenden einreihten.
„Weißt du schon, was du haben willst?“ Unruhig hibbelte sie neben ihm mit dem rechten Bein, während sie angestrengt auf die Tafeln mit den Angeboten stierte. Nach ein paar Minu-ten nickte sie wie wild, sodass ihr dunkelblondes, langes Haar durch die Luft wirbelte.
„Ich will einen Classic Burger, Chili Cheese Pommes und dazu eine große Cola“, äußerte sie mit fester Stimme und entgegnete seinen Blick. Navarro Henstridge setzte ein schiefes Grin-sen auf und zwinkerte ihr keck zu.
„Klingt gut.“ Darauf entgegnete sie nichts, stattdessen wandte sie sich von ihm ab und ver-schränkte die Arme vor der flachen Brust. Sein Lächeln veränderte ihre versteinerte, ange-spannte Miene nicht, die sie wie eine leblose Statue wirken ließ. Es würde noch einiges an Zeit dauern, bis er an V herankam und ihr vermitteln konnte, dass von ihm keinerlei Gefahr ausging. Worauf es dabei besonders ankam, war ihr Vertrauen zu gewinnen, was alles andere als einfach werden würde, aber der Langhaarige wusste, dass sich diese Mühen lohnen wür-den. Denn er spürte tief in seinem Inneren, dass sie ihn brauchte, so wie er sie...
Navarros Gedankengang fand ein abruptes Ende, als sie endlich an der Reihe waren und nach ihrer Bestellung gefragt wurden. Er bestellte das, was sie sich zuvor ausgesucht hatte, wäh-rend er bloß ein Wasser verlangte. In der Zeit, in der sie bedient wurden, schien die Nervosität seiner Begleiterin stetig zuzunehmen. Das Hibbeln ihres Beines wurde stärker; sie hatte es nicht mehr unter Kontrolle.
„Ist alles in Ordnung?“ Mit einem Anflug von Besorgnis in der Stimme musterte er die zer-brechliche Blondine.
„Ja“, krächzte sie kurz angebunden.
„Du bist auf Droge, oder?“ Es war eine Feststellung und keine Frage. Blitzschnell drehte sie ihren Kopf in seine Richtung und sah ihn aus übergroßen Augen aufgescheucht an. Auf ein-mal hatte er ihre ganze Aufmerksamkeit. Gegen seine Vermutung bekam sie jedoch kein ein-ziges Wort heraus, sondern blieb stumm.
„Es ist nicht zu übersehen“, sagte er frei von jeglichen Vorwürfen oder Belehrungen. Noch immer Stille ihrerseits.
„Wie lange bist du schon süchtig?“
„Ich…ich…“ Dieses Thema schien ihr unangenehm zu sein. Peinlich berührt blickte sie mit hochroten Wangen auf den zerkratzten Linoleumboden und biss sich auf die rissige Unterlip-pe. Navarro Henstridge war zu weit gegangen, was ihm leid tat. Vorsichtig und behutsam leg-te er seine rechte Hand auf ihre Schulter, um sie nicht zu bedrängen.
„Schon gut, V, schon gut. Vergiss die Frage.“ Daraufhin hob sie ihren Kopf und durchbohrte ihn mit einem scheuen, traurigen Blick, der den Killer bis ins Mark traf. Er war selbst davon überrascht, wie schnell und heftig ihn das Mitleid für sie überkam und seinen weichen Kern zum Vorschein brachte, an den er gar nicht mehr geglaubt hatte.
„Das macht 9,85 Dollar“, unterbrach die Verkäuferin die seltsame Atmosphäre zwischen ih-nen. Steif wandte er sich um und zückte einen Zehndollarschein. Nachdem er das Wechsel-geld eingesteckt hatte, schnappte er sich das Tablett mit V´s Essen, indes nahm sie die zwei Becher mit den Getränken.
„Da hinten ist noch ein Tisch frei.“ Er ging voraus und kämpfte sich in dem überfüllten Laden bis zur letzten Sitzgelegenheit durch.
Kaum hatten sie sich hingesetzt, da befreite V den Burger in Windeseile von der Plastikverpa-ckung und biss kräftig hinein. Ihm blieb nichts anderes übrig, als völlig perplex ihr gegenüber zu sitzen und zuzusehen, wie sie gierig den Hamburger herunter schlang, ehe sie sich den üp-pigen Chili Cheese Pommes widmete. Ihre Hände und der Mund trieften vor Fett, das fröhlich auf den Tisch tropfte und alles einsaute.
Navarro fragte sich, wie eine dürre Person, wie sie, dermaßen schnell essen konnte. Die einzi-ge Erklärung, die er dafür fand, war, dass sie ziemlich ausgehungert sein musste, ansonsten würde sie sich nicht so benehmen. Minuten strichen dahin, bevor er sich lautstark räusperte und erneut ein Gespräch begann.
„Wieso gehst du eigentlich auf den Strich, V?“ Als er sie plötzlich wieder ansprach, schaute sie gehetzt von ihrem Essen auf und war sichtlich genervt von der Unterbrechung.
„Was für ne blöde Frage“, ächzte sie darauf geringschätzig und wischte sich mit dem rechten Handrücken flüchtig über den Mund. Nun zeige sich wieder das taffe Mädchen, das sich auf der Straße herumschlug. „Weil ich verdammt noch mal Geld brauche, warum denn sonst?“ Der Killer überhörte ihren angriffslustigen Tonfall und bohrte einfach weiter nach.
„Kannst du denn nichts anderes machen? Ich meine du bist jung und es gibt hundert andere Möglichkeiten an Geld zu kommen.“
„Das sind aber alles irgendwelche scheiß Aushilfsjobs bei denen man einen Hungerlohn ver-dient.“
„Und jede Nacht die Beine für unzählige Fremde breit zu machen ist da die bessere Wahl?“, fragte er provokant und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Es siehst nämlich nicht danach aus, als würdest du das ganz große Geld verdienen, V. Wenn dem so wäre, dann würdest du nicht so herumlaufen und hättest regelmäßig etwas zu essen.“ Eindringlich beäugte er sie, was sie mit einem zornigen Schnauben kommentierte.
„Es ist meine Sache“, zickte sie ihn verärgert an, weil er ihre Entscheidung kritisierte. „Wenn man alleine ist, dann muss man zusehen, wie man für sich sorgt.“
„Warum bist du denn alleine? Was ist mit deinen Eltern?“ Navarro überschüttete sie hem-mungslos mit persönlichen Fragen, um mehr über ihre Geschichte zu erfahren.
„Ich bin von Hause abgehauen.“
„Wieso?“
„Weil mein Stiefvater mich ficken wollte“, meinte sie trocken und aß ungerührt weiter. Bei diesen unerwarteten Worten verstummte er augenblicklich und musste hart schlucken. Der Langhaarige konnte spüren, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich und die Scham, zu weit gegangen zu sein, ihn einnahm. Da V allerdings nicht den Eindruck vermittelte, dass er eine Grenze überschritten hatte, verging dieses störende Gefühl recht schnell und seine Neugierde übernahm wieder die Führung.
„Hast du einen Zuhälter für den du arbeitest?“, wollte er nun von ihr wissen und ging auf das Thema Familie nicht weiter ein. Glücklicherweise schüttelte sie entschieden den Kopf, was Navarro beruhigte. Sich Stress und Ärger mit einem Zuhälter aufzuhalsen, musste wirklich nicht sein.
„Was müsste passieren, damit du mit der Prostitution aufhörst?“
„Was passieren müsste?“, kreischte sie hysterisch und erregte somit die Aufmerksamkeit der anderen Gäste. „Ich bräuchte genug Geld, um zu überleben und natürlich für…“
„Drogen“, vollendete der Killer ihren Satz. V nickte und verdrückte den kümmerlichen Rest ihrer Pommes.
„Nun, ich habe einen Kontaktmann, der mir jegliche Drogen besorgt und zwar nur das Beste vom Besten. Die Qualität ist mit dem Scheiß auf der Straße nicht zu vergleichen. Ich wäre dazu bereit dich in diesen Geschmack kommen zu lassen“, köderte er sie mit der traumhaften Vorstellung von exklusivem Stoff, den sie noch nie zuvor in ihrem Leben probiert hatte. Ein heller Glanz voller Begeisterung und Glückseligkeit legte sich über sie und verwandelte sie für einige Augenblicke in eine ansehnliche, junge hübsche Frau.
Doch so schnell, wie ihre Hochstimmung eingetreten war, verschwand sie auch schon wieder und das wahre Gesicht V´s präsentierte sich ihm.
„Du willst bestimmt was dafür, oder?“ Argwöhnisch verengte sie die Augen zu Schlitzen und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
„Wenn ich dir die Drogen bringe, dann hörst du mit dem Anschaffen auf, ist das klar?“, spiel-te er sich auf, als sei er ihr Freund oder Vater. „Das ist der Deal. Das ist meine Bedingung. Andernfalls gibt es gar nichts.“
„Warum zur Hölle ist es dir so wichtig, dass ich keine Nutte mehr bin? Du kennst mich gera-de mal ne Stunde.“ Navarro ließ sich einen Moment Zeit, um seine Gedanken zu sortieren, ehe er antwortete. Auch für ihn war es nicht einfach zu erklären, was ihn zu seiner Bedingung veranlasst hatte.
„Ich habe dich auf der Straße gesehen; abgemagert, unterkühlt und schäbig. Ich konnte nicht einfach weiterfahren, okay? Du bist zu jung, als dass du dich in die Riege von verzweifelten Frauen einreihst, die ein zu kurzes, armseliges Leben führen. Du hast Potenzial dein Leben in die richtigen Bahnen zu lenken und ich will dir dabei helfen.“
„Oh man, was ist denn bei dir schief gelaufen?“, platzte es aus ihr heraus. „Du bist echt ein Freak.“ Für ihn war es nicht erkennbar, ob sie ihre Äußerungen ernst oder scherzhaft meinte. Deshalb glotzte er V irritiert an, was sie zu heiterem Gelächter verleitete. Seit ihrem Zusam-mentreffen hatte er das erste Mal das Gefühl, dass sie glücklich und ausgelassen war. Navarro Henstridge wurde sogleich warm ums Herz und schöpfte die Hoffnung, dass ihr Misstrauen ihm gegenüber sich bald schmälern würde.
„Ich weiß, dass das alles komisch klingt. Ich mache solche Vorschläge schließlich auch nicht jeden Tag, aber irgendetwas sagt mir, dass ich das Richtige tue.“ Ihr Gelächter erstarb und schuf Platz für eine ausdruckslose Miene.
„Und? Haben wir einen Deal?“ Er hielt ihr seine rechte Hand entgegen, die sie zunächst skep-tisch beäugte. Doch dann, nach einer kurzen Bedenkzeit, schlug sie tatsächlich ein.
„Wir haben einen Deal, Navarro. Ich höre auf mich zu prostituieren und im Gegenzug ver-sorgst du mich mit Drogen“, wiederholte sie noch einmal die Bedingungen. In ihren blauen Augen blitzte es gefährlich, als wollte sie ihm unterbewusst drohen; er sollte bloß nicht auf die Idee kommen seinen Teil nicht zu erfüllen.
„Gut.“ Der Killer war zufrieden mit ihrer Abmachung und musste ihr nun beweisen, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. „Morgen Abend werden wir uns wiedertreffen, genau dort, wo ich dich aufgegabelt habe. Dann bekommst du von mir genug Geld, damit du mehr als gut über die Runden kommst und natürlich auch die versprochenen Drogen.“ V schien sichtbar erleichtert, als sie dies hörte.
„Von nun an brauchst du dir um nichts mehr Sorgen zu machen. Von nun an wird alles besser.“
 
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