Tiefe Dunkelheit. Kälte. Ruhe. Nichts. Keine Begierde. Kein Verlangen. Seit Jahrhunderten. Plötzlich ein Rumpeln. Eine Erschütterung. Ein lauter Knall. Wie eine Art Explosion, und alles kommt auf einen Schlag wieder zurück. Die kalte Luft wird eingesaugt. Der Körper füllt sich gierig damit, solange, bis er vollständig gesättigt ist. Dann öffnet es langsam seine Augen, blinzelt, weil es schon sehr lange nichts mehr gesehen hat. Es sieht Konturen, Schemen, die immer deutlicher werden. Es wird geredet, in einer Sprache, die es versteht. Man unterhält sich über Eis, und wann die Fahrt endlich weitergeht. Man unterhält sich über einen möglichen Schaden. Zwei der vielen, die durcheinanderreden, oder denken?, erlangen die Aufmerksamkeit von es. Es schwirrt zu den beiden hin, durch die Wände dieses Gebildes. Das ist für es kein Problem. Es erreicht die beiden und verfolgt sie unbemerkt. Einer von ihnen ist sehr fein angezogen, ein Gentleman, der andere hat eine Art Uniform an, mit diversen Abzeichen und einer Mütze. „Wissen Sie, wie es geschehen ist?“, fragt der Gentleman seinen Begleiter. Sie passieren einen Gang nach dem anderen, gehen sehr schnell Treppen hinunter. Der mit der Mütze grüßt die Leute, die sie auf ihrem Weg treffen, schnell und förmlich. „Ich war in meiner Kajüte, als es geschehen ist. Anscheinend haben wir den Eisberg mit der Seite des Schiffes gerammt.“
„Frontal wäre eindeutig ungefährlicher für das Schiff gewesen“, entgegnet der andere knapp, als sie gerade ein weiteres noch offenes Schott passieren und damit beginnen, die nächste eiserne Treppe hinabzusteigen.
„Und bewusst Menschenleben opfern?“, sagt der ältere von ihnen mit der Mütze, bleibt mitten auf der Treppe stehen, hält seinen Begleiter am Arm fest und sieht ihm direkt in die Augen. „Hören Sie, Andrews, nur dass wir uns nicht missverstehen: ich weiß, dass die Entscheidung, die man auf der Brücke gefällt hat, vielleicht nicht die, wie soll ich sagen, mathematisch richtigste war. Sie war aber menschlich gesehen die beste Entscheidung, die gefällt werden konnte. Ich stehe dahinter und bin ehrlich gesagt sogar froh, dass ich nicht vor dieser Entscheidung gestanden habe.“ Es bemerkt erst jetzt, dass der ältere Herr weißes Haar unter seiner Mütze hervorstehen hat und einen gut gepflegten weißen Vollbart trägt. Er strahlt Würde und echte Autorität aus. Es spürt Hunger und Verlangen in sich.
Die Beiden setzen ihren Weg nach unten fort. Es verfolgt sie weiter.
Sie kommen im untersten Teil des Schiffes an. Wasser scheint hier in erheblicher Menge eingedrungen zu sein und dringt weiter ein. Es ist laut hier. Sie hatten, um in diesen untersten Raum eindringen zu können, ein geschlossenes Schott öffnen müssen. Sie gehen rasch wieder raus und schließen das Schott sorgfältig hinter sich. „Das sieht nicht gut aus!“, brüllt der Gentleman zu seinem älteren Begleiter durch den Lärm hindurch an. „In wie vielen Abteilungen sieht es so aus?“
„Ich habe Meldungen aus fünf Abteilungen erhalten“, antwortet der andere.
Der Gentleman dreht sich mit aufgerissenen Augen zu seinem Begleiter um. „Fünf? Sagten Sie gerade fünf Abteilungen?“ Seine Stimme klingt heißer.
„So ist es“, bestätigt der mit der Mütze.
„Rufen Sie die Offiziere zusammen, so schnell es geht. Dieses Schiff muss evakuiert werden. Ich sehe mir noch einmal die Skizzen an, bin mir aber sicher, dass wir nicht allzu viel Zeit habe werden.“
„Was sagen Sie da? Sind Sie sich wirklich sicher, dass das nötig ist?“
Andrews nickt nur zaghaft und blickt dabei ins Leere. Der Kapitän glaubt ihm und macht sich eilig nach oben davon, um seine Offiziere zusammenzurufen.
John öffnet seine Augen. Er ist müde. Es ist gerade dunkel geworden. Er kann nachts nicht so gut schlafen, dafür aber am Tage umso besser. Seine Haut ist blass, und seine Augen dunkel umrändert. Er ist traurig und bleich. Ohne Energie. Jede Nacht träumt er von seiner Erweckung. Hätten Sie ihn doch nur in Ruhe gelassen! Er hätte jetzt immer noch seinen Frieden.
Langsam steht er auf. Er braucht Nahrung. Er fühlt sich ausgezehrt. Er muss jemanden anzapfen; seine Batterien wieder auffüllen.
Hier in seinem Haus ist alles abgenutzt und mit Staub bedeckt. Spinnenweben, überall. Er schlürft zu einer Schublade hin, öffnet diese fast apathisch, und entnimmt ihr ein Päckchen Streichhölzer. Dann schlürft er in eine andere Ecke des Raumes. Dort steht eine uralte Kommode. Auf ihr steht ein Kerzenständer mit genau neun noch nicht ganz abgebrannten Kerzen. Er zündet eine nach der anderen mit dem Streichholz an, das er zuvor an der Reibefläche entzündet hat. Der Raum duftet nun intensiv nach Schwefel und erstrahlt in dem flackernden Licht der Kerzen. Es erleuchtet Gemälde, die an den Wänden hängen. Auch diese sind mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Die Gemälde zeigen gotisch anmutende Motive von alten Häusern in düsteren Gegenden, mitten im Wald versteckt, die vom Vollmond beschienen werden. Bäume umringen diese Häuser, die keine Blätter tragen. Die abstehenden Zweige und Äste gleichen Tentakeln, die sich um die Häuser winden. Es sind immer mehr verblassende Erinnerungen aus einer längst vergangenen Zeit. Er fühlt sich angesichts dessen einsam, unendlich einsam. Es lässt ihn an seiner Existenz leiden. Er leidet daran, was er gezwungen ist, zu tun, um seine Existenz, die er zutiefst ablehnt, aufrechtzuerhalten. Er handelt damit gegen seine Intuition; gegen seinen Willen; gegen das, was er eigentlich ist, aber nicht sein kann.
Er wohnt in einem verlassenen Haus, ohne Strom und ohne Wasser. Das braucht er nicht. Selbst ohne Toilette. Er benötigt nur einen verlassenen Ort, wo er tagsüber schlafen kann. Dieses verlassene Haus mitten im Wald ist der perfekte Ort hierfür. Es ähnelt ein wenig den Häusern auf den Gemälden. In der Nähe dieses Hauses befindet sich ein Friedhof. Dort erhält er seine Nahrung. Denn fast jeden Tag wird dort jemand frisch beerdigt. Es sind Leichen, die er des Nachts nutzt, um an ihnen seine Gier zu stillen. Es hat einige Zeit in Anspruch genommen, das schon erstarrte und abgenutzte Blut der Leichen für sich nutzbar zu machen. Diese Zeit war es ihm aber wert, denn so muss er niemanden töten, um sich zu erhalten. Doch den Schrecken nimmt es der Sache nicht wirklich. Er ist ein empfindsames Wesen; ein leidensfähiges Wesen; ein Wesen der Nacht. Ein Jäger, der seine Beute schlägt; ein Schemen, das nur in Legenden existiert. Schlussendlich ist er nichts anderes, als ein Monster. Etwas Unaussprechliches also, das nicht zu fassen ist; das zu seinen Taten ohne Gewissen getrieben wird, weil es nötig ist; weil es das ganz einfach braucht.
Doch da ist auch noch diese andere Seite in ihm. Da ist dieses andere Wesen, das er auch einmal gewesen ist; das ganz andere Bedürfnisse hat; das Sehnsucht, Liebe und Einsamkeit kennt. Es ist die Seite in ihm, die an die Oberfläche kommt, wenn es gesättigt ist; wenn das Verlangen; die Gier des Tieres in ihm, gestillt ist. Wenn es sein Opfer geschlagen hat; es vernichtet und ausgesaugt hat; sein Blut ganz tief in sich aufgenommen und verdaut hat. Dann beruhigt es sich; fällt in einen tiefen Schlaf, um sich für die nächste grausame Jagt auszuruhen. In diesen Momenten werden seine Augen glasig; geht sein Blick nach innen; sieht er plötzlich mit brutaler Ehrlichkeit, wer und vor allem was er eigentlich ist. Eine tiefe Melancholie legt sich dann über ihn; Verzweiflung; Entsetzen; Niedergeschlagenheit; Traurigkeit. Er wird sich bewusst, dass sein altes Leben für immer verloren ist; dass er nur noch diese eine Existenz hat.
Schon einmal hat er einen Weg gesucht und auch gefunden, seine Existenz zumindest für eine begrenzte Zeit zu unterbrechen. Doch diesem süßen Schlaf, der vielleicht Jahrhunderte gedauert hat, wurde er auf einen Schlag entrissen.
Es hört viele Gedanken durcheinander auf diesem Schiff. Nicht viele wissen, wie ernst die Lage wirklich ist. Die Rettungsbote werden fertig gemacht und von den Offizieren angeleitet gefüllt und zu Wasser gebracht. Frauen und Kinder zuerst. Die Funker funken unentwegt Notsignale in die dunkle Nacht hinaus. Es werden Feuerwerksraketen abgeschossen, um so vielleicht ein Schiff, das sich in der Nähe befindet, auf sich aufmerksam zu machen.
Im Saloon des Schiffes sitzt derweil ein Gentleman an der Bar. Er hat eine geöffnete Whisky-Falsche vor sich stehen und ein dazu passendes Glas, in das er sich großzügig einschenkt, es anschließend anhebt und es in einem Zuge austrinkt. Er hat seinen besten Anzug an, einen Zylinder auf seinem Kopf sitzen, und er raucht eine seiner besten Zigarren. Der Whisky entfaltet schnell seine wärmende Wirkung in ihm. Noch liegt das Schiff verhältnismäßig eben; noch kann er gemütlich auf dem Barhocker sitzen und seine Drinks trinken und seine Zigarre rauchen. Der Trubel um ihn herum scheint ihn nicht weiter zu stören. Mit seinem Schicksal hat er sich wohl abgefunden und macht aus seiner Sicht anscheinend einfach das Beste daraus. Er ist ein wohlhabender Junggeselle; ein Lebemann, der sich geschworen hat, sein Leben bis zur letzten Sekunde auszukosten. Auch jetzt scheint er nicht gewillt zu sein, von diesem Vorhaben abzuweichen. Er gießt sich wieder großzügig einen Drink ein und kippt auch diesen mit einem Mal hinunter. Vielleicht als einziger Mensch auf diesem Schiff fühlt er sich in diesem Augenblick wohlig und entspannt. Er beschließt, dass, sollte es nicht mehr möglich sein, hier in der Bar zu sitzen, er sich einfach eine weitere Flasche Whisky unter den Arm nimmt und dann damit ins eiskalte Wasser springt. Denn selbst da draußen in der Eiseskälte; in diesem Wasser, in dem er vielleicht nur noch Minuten überleben wird, hat er vor, sich seines Lebensmottos treu zu bleiben. Eben bis zur letzten Sekunde seines Daseins.
Es ist fasziniert von diesem Gentleman, und auch beeindruckt.
John schaut sich immer noch eines seiner Gemälde an der schmutzigen Wand seiner heruntergekommenen Unterkunft an. Er spürt, wie das Verlangen; wie die Gier langsam aber unaufhaltsam in ihm aufkommt. Sein Organismus kommt in Wallung; sein Körper fühlt sich heiß an. In gewissem Sinne verliert er langsam auch seinen Verstand. Er keucht schwer, wie unter Schmerzen stehend. Er zittert; bebt am ganzen Körper. Seine Eckzähne vergrößern sich schmerzhaft, ebenso seine Finger- und auch seine Zehennägel. Wie unter Krämpfe stehend krümmt er sich zusammen; lässt den Kerzenständer achtlos fallen. Das Licht erlischt in dem Raum. Es ertönt ein herzzerreißender Schrei, der durch die Nacht hindurch; durch den Wald hallt und eine Eule erst aufhorchen und dann aufgeschreckt davonflattern lässt. Auch ein Reh, das sich in der Nähe befindet, sucht das Weite. Nur kurze Zeit später ist es rasend durch die Nacht unterwegs. Es fliegt dicht über die Baumwipfel dahin, den alt bekannten Weg, den es in diesem Zustand seit einiger Zeit stets nimmt. Es muss diese Gier stillen; muss einen Weg finden, dem Verlangen nachzugeben. Heute gab es eine Beerdigung. Es wird an dieser Leiche seine Gier stillen. Erst dann wird es wieder seine Ruhe finden können; erst dann wird auch John eine Chance haben, wieder hervorzukommen.
Das Schiff neigt sich schon erheblich zur Seite. Sehr viel Wasser ist in den vorderen Teil eingedrungen und dringt unerbittlich weiter ein. Die Mannschaft tut ihr Bestes, um die Katastrophe, die wahrscheinlich nicht mehr zu verhindern ist, zumindest abzumildern. Das elektrische System des Schiffes wird so weit möglich aufrechterhalten, damit die Pumpen weiterhin ihrer Tätigkeit nachgehen können; damit zumindest etwas Zeit gewonnen werden kann. Die Funker funken weiterhin Notsignale, obwohl sie schon längstens vom Kapitän von ihren Diensten entbunden worden sind. Die Offiziere, die die Rettungsbote befüllen, tun ihr Bestes, dass dies geordnet von statten geht; dass keine Panik entsteht, obwohl sie sich bewusst sind, dass sie selbst nur sehr geringe Überlebenschancen haben werden. Keinem Menschen auf diesem Schiff ist die Lage noch unklar; fast jeder versucht jetzt, sein Leben irgendwie doch noch zu retten. Das Schiff wird untergehen. Und es ist keine Rettung von außen in Sicht. Die Schiffskapelle spielt weiterhin ihre Lieder an Deck, obwohl sich das Schiff schon erheblich zur Seite neigt. Der Kapitän hat als Letztes seinen Platz auf der Brücke eingenommen. Das Wasser drückt unerbittlich gegen die Scheibe. Der Druck wird so stark, dass die Scheibe bricht. Der Kapitän wird von den eindringenden Wassermassen getroffen. Sein Genick wird dabei gebrochen. Er ist tot. Er wusste, was er tat. Das Drama dieses Schiffes geht nun ohne ihn weiter.
Das Schiff neigt sich noch weiter zur Seite. Einige Menschen, die darauf verblieben sind, haben immer noch den irrationalen Glauben, dieses könnte sich über Wasser halten. Andere springen mit ihren Schwimmwesten in die eiskalten Fluten. Sie werden in dem Wasser nicht lange überleben können.
Es ist wieder in seinem Haus zurück. In einer Ecke des Zimmers liegt es gekrümmt mit schnellem Atem, und wartet keuchend darauf, dass sich sein Zustand wieder ändert. Der Mund ist blutverschmiert; die Hände ebenso. Aus den Mundwinkeln tropft die rote Flüssigkeit auf den Fußboden, wo schon eine kleine Blutlache entstanden ist. Die Augen sind fest verschlossen. Immer noch fühlt es sich rasig; fühlt es sich wie im Rausch. Doch das gierig eingezogene Blut strömt in alle Poren hinein; in jeden Winkel seines Organismus. Es füllt es aus. Dadurch wirkt die Haut etwas gespannter; sieht etwas gesünder aus. Die Eckzähne ziehen sich nach und nach zurück, so auch die blutverschmierten Finger- und Zehennägel. Auch der Atem verlangsamt sich. Die Körperhaltung ist weniger angespannt. Das Wesen wird ruhiger und ruhiger und fällt schließlich in einen tiefen Schlaf. John kommt langsam wieder an die Oberfläche. Er wird sich gewahr, was geschehen ist. Dies ist eine Sache, an der er am meisten an seiner Existenz leidet. Dass er sich an alles, was das Monster getan hat, erinnern kann. Wie einfacher wäre es doch, wenn dies nicht der Fall wäre! Wie einfacher wäre doch seine Existenz als John, wenn er nicht wüsste, was das Monster alles angestellt hat, und wie. Es ist zum Friedhof hingeflogen, hat die frisch beerdigte Leiche wie ein wildes Tier mit seinen Klauen aus dem Boden gegraben und sich dann über diese her gemacht. Hat seine Eckzähne an hunderten Stellen des toten Körpers eingeschlagen. Das erstarrte Blut hat sich nach einiger Zeit verflüssigt. Wahrscheinlich durch irgendein Sekret, das das Monster zuvor mit den hunderten von Bissen in den Körper injiziert hat. Es hat das flüssige Blut aufgesaugt und danach die Leiche wieder sorgfältig eingegraben. Mit etwas mehr Verstand, als es beim Ausgraben noch der Fall gewesen war. Es hat seine Spuren, soweit dies möglich war, verwischt, und ist wieder zurückgekehrt. Es hat sich hier im Haus eine Ecke gesucht, und dort kauernd darauf gewartet, bis es sich wieder beruhigt hat.
John hat schon sehr oft daran gedacht, seine Existenz und mit ihm auch die Existenz des Monsters einfach zu beenden. Doch jedes Mal, wenn er kurz davor war, einen dieser Pläne umzusetzen, ist es in ihm zum Vorschein gekommen, und hat das Vorhaben vereitelt.
Immer noch befinden sich Menschen auf dem Schiff. Es hat sich jetzt soweit zur Seite geneigt, dass das Heck fast senkrecht nach oben aus dem Wasser herausragt. Es gibt ohrenbetäubende Geräusche, Metall, das sich verformt, Elektrizität die zischend einen Kurzschluss erleidet. Das Schiff bricht in der Mitte entzwei. Der Bug, nun vollgelaufen mit eiskaltem Meerwasser, trennt sich vom Rest des Schiffes und saust in Richtung des Meeresbodens. Das Heck fällt in das Wasser zurück in seine alte Position, nur um sich anschließend zusammen mit den restlichen auf ihm verbliebenen Menschen wieder nach oben hin aufzurichten. Die drei Schiffsschrauben hängen jetzt weit oben in der Luft. Sie zeigen in Richtung des Nachthimmels. Die Menschen, die sich nun auf den Rettungsbooten befinden, schauen mit offenen Mündern diesem Spektakel zu. Sie wissen, dass es die meisten ihrer Männer nicht schaffen werden. Im Wasser befinden sich vielen Menschen, die laut um Hilfe schreien.
Der Gentleman, der im Saloon des Schiffes Whiskey getrunken hatte, befindet sich, wie er es zuvor geplant hatte, schon längstens mit einer zweiten Flasche im Wasser. Er hat sich vom Schiff soweit er konnte entfernt, schwimmt mit dem Rücken auf dem Meer und genehmigt sich hin und wieder einen Schluck. Das Spektakel scheint ihn gar nicht zu interessieren. Er scheint gar zufrieden mit sich zu sein. Seine Schuhe hat er ausgezogen, hat aber immer noch seinen besten Anzug an. Schließlich möchte er mit Würde und Anstand aus diesem Leben treten. Eben so, wie er auch die meiste Zeit seines Lebens gelebt hat.
Jetzt beginnt sich auch das Heck unaufhörlich mit dem Meerwasser zu füllen. Es senkt sich aufgeragt immer weiter ab, bis es vollständig in den Fluten verschwunden ist. Eine Weile kommen noch an der Stelle, an der das Schiff gesunken ist, Luftblasen an die Oberfläche. Doch nach einiger Zeit enden auch diese, und es hat den Anschein, als sei das riesige Schiff vollständig vom Ozean verschlungen worden.
John öffnet seine Augen. Er kann sich an seine Erweckung erinnern. Er kann sich an seine Erlebnisse mit den Menschen auf dem Schiff erinnern. Er kann sich erinnern, wie tief ihn das alles beeindruckt hat. Es hat sein Wesen geändert; seine Einstellung zum Leben. Es hat ihm Respekt vor den Menschen beigebracht. Denn diese leben ein begrenztes Leben, mit allerlei Risiken verbunden. Seien dies nun Unfälle, Krankheiten oder andere Schicksalsschläge. Jederzeit kann ein Ereignis im Leben eines Menschen eintreten, das sein Leben abrupt beendet, oder noch schlimmer, es in einer Weise verändert, dass es eigentlich unerträglich wird, es zu leben. Und dennoch bringen die Menschen den Mut auf, weiter zu machen. Zumindest die Meisten von ihnen. Sie stehen jeden Morgen auf, obwohl sie sich den Risiken bewusst sind. Sie versuchen einfach das Beste daraus zu machen. Diese Erkenntnis hat John umdenken lassen, und wohl auch das Monster in ihm. Schließlich ist es irgendwann tatsächlich davon abgegangen, sich an lebenden Menschen zu vergreifen. Es hat anscheinend verstanden, was es für ein Individuum selbst aber auch für seine Angehörigen und ihm nahestehenden Menschen bedeutet, wenn es aus seiner Gier heraus dieses vernichtet.
Vielleicht ist selbst ein Monster in letzter Konsequenz auch nur ein Mensch.