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5 Seiten

Blacksoul@night.net

Schauriges · Kurzgeschichten
Sophie lauschte in die Dunkelheit. Die regelmäßigen Atemzüge verrieten, dass ihr Mann Mark neben ihr tief und fest schlief. Vorsichtig kroch sie aus dem Bett und schlich ins Badezimmer. Mit sicherem Griff zog sie hinter dem Wäschekorb schwarze Dessous hervor und schlüpfte hin. Sie wagte nicht, das Licht anzuknipsen, das brauchte sie auch nicht. Jeder Handgriff saß. Ihr Herz klopfte, als sie zum Schluss das Negligé überwarf und einen Hauch Magic Noir auf ihre Handpulse tupfte. In atemloser Spannung setzte sie sich an PC. Ihre Finger zuckten eilig über das Keyboard, und sirrend fuhr der Webbrowser hoch. Sie konnte es kaum erwarten, den Chat-Room zu betreten. Ob er auch da war? Sophie lächelte in sich hinein - er war da! Das wusste sie, das spürte sie und schob den Mauszeiger in das Room-Fenster. In diesem Moment betrat Blacksoul den Chat-Room. Ungeduldig klickte sie ihn an. Es dauerte keine Sekunde, da flackerte der Bildschirm pechschwarz auf und mittendrin erschien eine gestylte Antiquaschrift.
"In Schwarz siehst du zauberhaft aus!"
Sophie schmunzelte. Es war nicht verwunderlich, dass Blacksoul wusste, dass sie spitzenreiche Kostbarkeiten trug. Er suchte sie aus, ließ sie in der kleinen Boutique für sie hinterlegen, die sie jeden Freitagnachmittag abholte.
"Danke", tippte sie ein.
"Du bist das lodernste, gierigste Geschöpf, das ich kenne", schimmerten die blutroten Buchstaben über den schwarzen Bildschirm, "und ich bin so geil auf dich! Gierig auf deinen Hass!".
In Sophie kroch zitternde Kälte hoch, die sie teils ängstigt, teils erregte.
"Hass? ...", doch bevor sie den Satz zu Ende getippt hatte, schimmerte die Antwort auf dem Monitor.
"Hass ist das stärkste, das verschwenderischste Gefühl der menschlichen Gefühlsskala! Visualisierter Hass tötet! - Sofort, brutal und gnadenlos!"
Ernüchterung griff nach ich. Der heutige Chat schien sich in eine andere Richtung zu entwickeln, als in den Freitagnächten davor.
Nie zuvor hatte sie eine solche Erregung verspürt, noch nie so offen ihre geheimsten sexuellen Fantasien geäußert.
In der Anonymität mit diesem geheimnisvollen Unbekannten ließ sie sich fallen, öffnete die Türen ihres Geistes, durchwanderte mit ihm das Labyrinth ihres Unterbewusstseins bis in den letzten Winkel ihrer Seele.
"Du irrst dich gewaltig", tippte sie ein, "denn sonst wäre..."
"...dein Alter schon lange tot!", glänzten die Worte auf dem Monitor, fingen an zu flirren und fielen in dicken Tropfen herunter... wie Blut. Sie erschrak und feiner Schweiß strömte aus ihren Adern, legte sich ein kalter schmieriger Film auf ihren Körper.
Ein unsichtbares Tau legte sich um ihren Hals und schnürte, zerrte - sekundenlang glaubte sie zu ersticken.
Erinnerungen fielen durcheinander, verbanden sich zu einer riesigen Burg, die hoch oben auf einer schwarzen Klippe stand - einsam, drohend, anklagend. Dahinter vernahm sie krächzende feine Stimmen - sie wurden lauter - winselten, buhten und verhöhnten sie.
Gesichter tauchten auf - lustige, traurige und fratzenhaft verzerrte.
Das Gesicht ihres Vaters, lächelnd, gütig.
Er hob Maja, ihre kleine Schwester hoch, trug sie ins Schlafzimmer.
Jeden Abend kümmerte er sich um sie - kleidete sie aus und badete sie.
Und dann veränderte sich Papis Antlitz, wenn er sich über Maja beugte. Das lächelnde gütige Gesicht mutierte zu einer gierigen Fratze.
"Maja, mein Engelchen, gib Papi ein Küsschen!", griente er mit feuchten Lippen.
Sophie erschauerte. Der alte, längst geglaubt verdrängte Ekel stieg so machtvoll in ihr hoch, dass sie glaubte zu ersticken. Wenn sie nur daran dachte, wie er mit der Zunge Majas kleinen Kindermund ableckte und dann noch einmal überprüfte, ob sie auch überall gewaschen und sauber war, stieg Brechreiz in ihr hoch.
Maja - vergeblich hatte sie versucht, vor Papis Liebe zu flüchten.
Ihre Chance war gleich Null und Sophie wusste nicht, wie sie ihr helfen konnte. Maja half sich selbst, befreite sich von Papis Liebe. An ihrem 16. Geburtstag fand man sie mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne.
Und der liebe gütige Papi hatte sich tagelang eingeschlossen. Ja, er hatte unsagbar gelitten. Er verstand die Welt nicht mehr, dass er nun kein Engelchen mehr hatte.
In Sophie kroch der Hass hoch, fing an zu brodeln und zu kochen und sprudelte wie glühende Lava durch ihren ganzen Körper.
"Hass ist ein sehr intensives Gefühl, nicht wahr?", schimmerten die Buchstaben über den Monitor und zerrieselten wieder, tropften wie Blut in die Schwärze.
"Ja", tippte sie ein.
"Leidenschaft ist nur der Zuckerguss der Torte, doch darunter lauert das Schwarze, das Böse - unendlich stark und bittersüß wie Schokolade,"
"Ja", schrieb sie zurück und ihre Fingerspitzen fühlten sich vor Kälte ganz taub an.
"Töte ihn", schrieb Blacksoul zurück. "Töte ihn mit der geballten Macht deiner Gedanken! Töte ihn mit deinem Hass! Langsam, grausam! Lass ihn leiden! Dann bist du ihn für immer los!"
Ihre Augen brannten, Tränen zwängten sich in ihre Wimpern.
Abscheu, Wut und abgrundtiefer Hass kroch unter ihrer Haut.
Die feinen Härchen auf ihren Unterarmen stellten sich zitternd auf.
"Jetzt hast du die Gelegenheit", stand da, "Töte die Erinnerung - und ihn! Für immer!"
Eine nie gekannte Erregung ergriff von ihr Besitz. Ihre Finger huschten über das Keyboard. Sie fühlte sich als Mörder, der auf eine Chance lauerte und erfand im makabren Gedankenspiel das väterliche Todesurteil:
"Ich locke meine Eltern in ihre Jagdhütte. Bitte meinen Vater um einen Cognac. Meine Mutter fessele ich auf einen Stuhl, kneble sie und fixiere ihre Augenlieder mit Klebeband. Und dann ist er dran!"
"Wie?"
"Ich schlage ihn nieder, hänge ihn an den Füßen auf und häute ihn ab. Natürlich bei lebendigem Leibe. Die Hunnen machten das mit ihren Feinden. Attila trug Handschuhe aus Menschenhaut. Ja, das wär' geil. Handschuhe aus Papis Haut. Dieses Schwein! Er missbrauchte Maja, hat sie in den Tod getrieben. Meine Mutter zinge ich einfach. Sie muss alles mit ansehen. Diese dämliche Kuh war ihm völlig hörig. Hat ihn noch gedeckt! Seine abartige Geilheit war für sie nur Liebe; schließlich hat er Maja nur angefasst, geküsst und nicht gepoppt!"
"Was fühlst du jetzt?"
"Wut! Abscheu! Ekel! O ja, den schmerzhaftesten, grauenvollsten Tod wünsche ich diesem alten Bock!", tippte sie als Antwort ein.
Sophie stierte auf den Monitor und schluckte, als sie ihre eigenen Worte las. Hatte wirklich sie das geschrieben? Sie wünschte ihrem Vater einen schrecklichen und grausamen Tod - und fühlte dabei eine Erregung, die etwas orgastisches hatte.
"Streichle dich!", riet ihr Blacksoul. "Stell dir, dass du mich jetzt nimmst - hart, brutal, grausam und gnadenlos! Leb' dich aus!"
Ein feines Kribbeln zuckte in ihrer Scheide, erregt stöhnte sie leicht auf.
"Willst du mich häuten?"
Sophie schluckte. Nein, warnte ihre innere Stimme, doch der Hass war stärker, fegte das warnende Nein wie ein lästiges Staubkorn weg.
"Ja!"
"Erzähl mir, wie du das machst!", schimmerten die blutroten Worte, zerrieselten und tropften wie Blut in die Schwärze.

Im Laufe der nächsten Woche stand Sophie völlig neben sich, sie konnte den Freitag kaum erwarten.
Als dieser heiß ersehnte Tag endlich kam, fuhr sie schon frühmorgens in die Stadt, besuchte die kleine Boutique und nahm mit klopfendem Herzen ein dekorativ verschnürtes Päckchen entgegen.
Lächelnd fischte sie einen winzigen, hauchzarten Slip heraus, daneben lagen zierliche, fleischfarbene Handschuhe.
Als sie die Handschuhe überstreifte, fühlten sie sich an, wie ihre eigene Haut. Sophie schluckte. Blacksoul, ihr Chat-Partner liebte die Details. Er erinnerte sie an diese überwältigende Nacht, an ihren makaberen Cibersex, der nie zuvor erlebten Wildheit, der absoluten Tabulosigkeit, die Ambivalenz der Gefühle - animalische Erregung und abgrundtiefen Ekel zugleich.
Fluchtartig verließ sie die kleine Boutique.
Noch mindestens elf Stunden musste sie ausharren, bevor sie ihn wieder im Chat-Room traf. Sie war süchtig nach Blacksoul, der alle Fantasien aus ihr herauslockte, ihr immer öfter den ultimativen Kick versetzte.
Wie in Trance ging sie durch ihr Haus. Tief in Gedanken versunken, verrichtete sie die tägliche Hausarbeit.
Ihr ganzes Sein war nur von einem Gedanken beherrscht : Blacksoul.
Quietschende Autoreifen, das Spitzen kleiner Kieselsteine auf Blech, Türenschlagen und nachbarliches Hundegebell rissen sie aus ihren Tagträumen.
Sophie eilte ans Küchenfenster und linste neugierig durch die Gardine. Mehrere Polizeiautos standen auf der Einfahrt, Männer kamen auf ihr Haus - sie zählte fünf, davon zwei in Uniform.
In diesem Moment klingelte es an der Tür.
Was war los? War ihrem Mann etwas passiert? Ein Unfall?
Nervös öffnete sie und stand einem kleinen untersetzten Mann gegenüber. Sie schätzte ihn auf Mitte bis Ende vierzig.
Wache, lebhafte blaue Augen musterten sie von oben bis unten.
Er hielt ihr seine Dienstmarke hin.
"Ich bin Hauptkommissar Lundt! Sind Sie Frau Sophie Merk?"
Sie nickte, ihr Blick huschte hin und her. Die Männer lächelten freundlich, doch jeder vermied es, sie anzusehen.
Sie spürte, dass etwas geschehen war. Aufgeregt leckte sie sich über ihre Lippen, räusperte sich und fragte mit brüchiger Stimme: "Ist... ist meinem Mann etwas passiert? Hatte... hatte er einen Unfall?"
Hauptkommissar schüttelte den Kopf, er wich ihrem Blick aus und sah auf seine staubigen Fußspitzen.
"Frau Merk, Sie müssen jetzt sehr stark sein!", murmelte er, "Ihre Eltern sind einem Verbrechen zum Opfer gefallen! Ein Spaziergänger, der sich verirrte und nach dem Weg fragen wollte, hat sie zufällig entdeckt!"
Entgeistert starrte Sophie den Hauptkommissar an.
"Wie... was ist denn das passiert?", stammelte sie und spürte, wie sich das kalte Grauen in ihr ausbreitete.
"Das Monster hat ihren Vater bei lebendigem Leibe gehäutet. Ihre Mutter hat er an den Stuhl gefesselt, ihr die Lider hoch geklebt. Sie musste zusehen. Das... das hat sie wohl nicht überlebt! Herzversagen!"
Sophie taumelte. Stimmen rauschten in ihren Ohren, die sie verhöhnten, verlachten und beschimpften. Fratzen umkreisten sie und dunkle Gestalten mit blutverschmierten Händen kamen langsam auf sie zu.
"Frau Merk! Ist Ihnen nicht gut!", vernahm sie wie durch Watte die Stimme des Hauptkommissars. Ein schwarzer Nebel kroch sanft und zärtlich auf sie zu, hüllte sie ein und erlöste sie....
 
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Kommentare  

Hi!

Ziemlich cool, spannend und gut geschrieben. Vorhersehbar naja, nicht wirklich, oder zumindest erst sehr spät. Idee und Umsetzung passen einfach. Einziger Kritikpunkt: Am Ende bleiben zu viele Fragen offen, auch wenn es auf diese Fragen (was passiert nun mit ihr? Sind die Handschuhe aus der Haut ihres Vaters? Wandert sie in den Knast? Wird Blacksoul geschnappt und wer ist er?) nicht wirklich ankommt.

Jedenfalls lg
Chris


Chris (24.10.2002)

Die Idee an sich ist ganz ok. Der Schreibstil ist stellenweise sehr gelungen, aber nicht umwerfend. Ich finde die Story nur in der Mitte ungemein schleppend und monoton. Ich hielt das Ende für Vorhersehbar, was sich jedoch als Irrtum rausstellte. Die Geschichte finde ich in Ordnung. Mehr leider nicht! Ich möchte deine Geschichte nicht unnötig runtermachen, aber sie haut mich einfach nicht vom Hocker. Aber das macht ja nichts. Eine Meinung von vielen!

14 zero zero (18.10.2002)

Verdammt!!! Tolle Idee. Ich habs mir 2x durchgelesen und bin begeistert. Intelligenter Psycho...finde ich persönlich schockierender als Blutorgien.

5 Daumen hoch...


Astanos (25.03.2002)

täteräää!!!!! JAU!!! Das hat geknallt wie der Korken einer Champagnerflasche. Hat sie jetzt etwa Schuldgefühle? Wozu? Es ist genau das Richtige passiert: Der eskapistische "Lass-mich-gehn"-Hasstraum eines gequälten, kaputtgegangenen Kindes ist in Erfüllung gegangen. Kann ich verdammt gut verstehen. Das Ganze wieder mal in deinem hervorragenden Schreibstil. Ne Profiarbeit eben. Five Points!

Stefan Steinmetz (23.03.2002)

Eine sehr gute Geschichte. Bis auf Kleinigkeiten, dass Sophie einmal Sonja hieß und der Name ihres Mannes vollständig Mark Merk lauten müsste, ist sie wirklich super. Ich habe zum Schluss sogar eine Gänsehaut bekommen. Mach weiter so! Fünf Punkte

Julia D. (20.03.2002)

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