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Beckmann und das Börsenfieber

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
"Menschenskind Beckmann, die ganze Nachbarschaft fragt sich, warum schon wieder ein neuer Wagen vor meiner Tür parkt. Ich will es dir erklären!" Lombart dirigierte Beckmann, den einzigen männlichen Gast seiner Komfirmationsnachfeier in die opulente Sitzlandschaft.

"Den Kaffeeklatsch überlassen wir den Frauen", grinste Lombart. Offenbar strebte der Angeber ein Gespräch unter Männern an. "Aktientrading und neuer Markt..." Lombarts Eröffnung liess eine ausschweifende strategische
Unterweisung über die Winkelzüge eines ausgefuchsten Spekulanten folgen. Beckmanns liess seine Gedanken schweifen und betrachtete sein Gegenüber. "Irgendwie passt sein Massanzug nicht zu diesem langweiligen ..."

"Reste-Essen!" Lombarts Wortwahl deckte sich genau mit Beckmanns schläfrigen Gedanken. "Reste-Essen gibt es bei uns nicht! Was auf dem Tisch steht, ist frisch! Seit ich in Aktien mache, bin ich erfolgreich - mit der Betonung auf r e i c h !" lachte Lombart und klopfte Beckmann kumpelhaft auf die Schulter; nicht ohne einen Seitenblick auf die Damen am Kaffeetisch. Schliesslich wollte der um die Wirkung seiner Worte wissen.

"Es ist noch gar nicht lange her, da hat Herbert Lombart noch in die Hosen gemacht und jetzt macht er in Aktien." Sinnierte Beckmann heimlich und lachte in sich hinein. Als Lombart aber allen Ernstes verkündete, er sei der ungekrönte Stier des Bullmarkets, prustete Beckmann lachend in sein Bier.

"Ja, ja, mach dich nur lustig und sauf weiter deine Proletenpisse", ereiferte sich Lombart, "du bist es nicht wert, dass ich deine Börsenfähigkeit teste! Auf jeden Fall, Beckmann, wenn du Erfolg hast, kannst du dir bessere Geschenke leisten, als du hier meinem Filius zur Konfirmation mitgebracht hast. Hast du mal zehntausend Mark übrig?" trieb Lombart die Provokation auf die Spitze.

Beckmann verdrehte die Augen.

"Na gut, macht nix!" triumphierte Lombart. "Also ich hab´ das am Wochenende so gemacht: Ich hab´ hunderttausend Mark für eine Option auf dem Emerging Market losgeeist. Heute abend bei Börsenschluss kannst du miterleben, wie der Coup ausgegangen ist."

Hunderttausend Mark? Ich hör´ immer hunderttausend Mark?" Mit scharfer Stimme schaltete sich Lombarts Frau ein. Sie war gerade auf dem Weg zur Küche. "Wo hast du denn so viel Geld her?"

Beckmann schaute genauso gespannt wie Lombarts Frau.

"Der Broker geniest und schweigt", wiegelte Lombart ab. "Restrisiko nenn ich das!"

Lombarts Frau ahnte Schlimmes. "Und wie hoch war dein Restrisiko?"

"Fünfzigtausend!"

Lombarts Frau stieg die Zornesröte ins Gesicht. "Du hast dir für dieses Geschäft fünfzigtausend geliehen?"

"Fünfzigtausend vom Konto und fünfzigtausend von der Bank. Totsicherer Tipp mit dreihundert Prozent Gewinngarantie. Ich vertraue da voll und ganz meinem Opener. Ein Teufelskerl mit göttlicher Vorsehung!"

"Ist es nicht besser, den Einsatz zu limitieren und auf mehrere Anlageformen zu splitten?" Beckmann hoffte, dass diese profane Frage die Gemühter etwas beruhigen würde, doch Lombarts messianischer Eifer glühte erneut auf.

"Sieh an, sieh an! Du bist erstaunlich gut informiert. ZDF-Wiso oder Plusminus?" Lombart fand zu seiner alten Arroganz zurück. Lombarts Frau jagte entnervt in die Küche.

"Ich splitte ja", nahm Lombart das Gespräch wieder auf, "heute nach ich in Aktien, morgen mach ich in Immobilien. Vielleicht Mallorca, Mutter, nicht wahr!" rief Lombart zum Kaffeetisch hinüber.

Süffisant lächelnd schaute seine Mutter aus ihrem Gespräch auf und hauchte ihrem Sohn ein Handküsschen zu.

Beckmann hüstelte angewidert: "Es sei denn die Mallorkaner bilden eine Befreiungsarmee und erheben sich gegen die deutschen Besatzer."

Lombart fühlte sich erneut in seiner Eitelkeit verletzt: "Gnadenloser Pessimist! Ich sorge für meine Ma! Du, Beckmann, hast wahrscheinlich noch nicht mal das Geld, um deine Mutter bei der Caritas einschläfern zu lassen! - Ooh bitte, ich wollte deiner Mutter nicht zu nahe treten..."
lachte er und wuchtete sich aus den Polstern. "Du kannst mit Mutter weiter fachsimpeln. Sie spekuliert übrigens auch. Natürlich nur im bescheidenen Rahmen und unter meiner Anleitung."

"Junge, du hast Herrn Beckmann doch wohl nicht unseren hundertprozentigen Deal verraten?" trällerte Oma Lombart, als sie sich neben Beckmann plazierte, "dann wäre er jetzt nur noch ein Drittel wert, junger Mann."

Oma Lombart gab sich viel Mühe, eine Konversation in Gang zu bringen, doch Kaffee, Kuchen und Bier taten ihre Wirkung. Bevor das Gespräch endgültig ins Reich der Träume gleitete, drückte sie den Fernsehknopf. Natürlich lief ein
Wirtschaftskanal. Am unteren Bildrand raste der Ticker und zeigte ununterbrochen die Aktienkurse. Doch das nahm Beckmann gar nicht mehr wahr. Er schlummerte einen schönen Nachmittagsschlaf auf der flauschigen Sitzgarnitur. Oma Lombart schnarchte in der anderen Ecke. Herbert Lombart
dozierte auf der Veranda über Transaktionen.

Eine unerklärliche Traumbotschaft riss Oma Lombart plötzlich aus dem Schlaf. Entsetzt starrte sie auf den Bildschirm. Auch Beckmann war hellwach.

"Oh Gott! Unsere Aktien stürzen ins Bodenlose!" schrie Oma Lombart. "Der Neue Markt bricht ein! Herbert! Herbert!"

Beckmann konnte gerade noch die Beine anwinkeln, bevor Oma Lombart an ihm vorbeistürmte.

Mit hochrotem Kopf verfolgte Lombart wenig später das Geschehen. Zitternd liess er sich in die Polster gleiten.

"Oh Gott! Oh Gott! Sie ist gescheitert. Meine Option! Mein Opener verhaftet! Ronny Lenz! Alles futsch!" Lombart packte sich an den Kopf.

"Da wird sich wohl deine Mutter bei der Caritas einschläfern lassen müssen", stichelte Beckmann zum Abschied, als er noch einmal die Tür zum Wohnzimmer
öffnete. Da lagen sie, Lombart und seine Mutter in Tränen aufgelöst...
 
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Kommentare  

Nette kleine Boshaftigkeit. Ähnliches habe ich selbst mal miterlebt und was haben die Großmäuler für lange Gesichter gezogen, als die Börse crashte...hihihiiii...Hübsche Geschichte mitten aus dem Leben.

Stefan Steinmetz (28.03.2002)

Joah ganz ok. Wohl nicht so mein Stil, sorry!

esmias (29.05.2001)

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