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Beckmanns Urlaubsbriefing

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise
„Beckmann! In drei Minuten kurzes Briefing beim Chef! Alte Tradition nach den Werksferien. Sie haben Glück, den ersten Tag in der Firma und schon in ungezwungener Atmosphäre Ihre Kollegen kennen zu lernen!

Endlich holte Abteilungsleiter Lorenz Luft, - vielmehr, er japste nach Luft! Gleichzeitig verbog ein nervöses Zucken seine Mundwinkel. Diese panikartige Nervosität war Beckmann schon beim Vorstellungsgespräch aufgefallen. Und dazu diese militärisch kurz gehaltenen Sätze...

„Übrigens, der Chef hört gern den Urlaubsrapport seiner Mannschaft! Er sagt immer: Der Urlaubsort offenbart den Charakter. Beckmann, das ist besonders für einen Neuen wichtig. Sie verstehen? Der Chef will sich ein Bild machen. Quasi fotografische Charakterstudie! Da können Sie mit einer netten Anekdote Ihrem Karrierestart den Stempel aufdrücken, Beckmann! Sie waren doch in Urlaub?“

„Ja sicher, aber nichts Weltbewegendes!“ Beckmann versuchte abzuwiegeln.

„Na, Menschenskind Beckmann!“ donnerte Lorenz los,“ irgendeine Urlaubsgeschichte werden Sie doch parat haben. Nicht wahr? Und jetzt, marsch, marsch zum Fahrstuhl!“




Bis hinauf zur Chefetage war es nur ein kleiner Sprung.
Schon standen Lorenz und Beckmann im Kreis der Führungskräfte. Beckmann bekam reichlich zu tun: Er betete die Begrüssungsfloskeln, schüttelte Hände und frass Namen in sein Gedächtnis.

Der Chef, ein älterer kleiner Herr mit Bauch wie eine Lerche richtete offizielle Worte an die Runde. Gönnerhaft begrüßte er den neuen Marketingmitarbeiter Beckmann. Verhaltener Applaus.

“Wenn man so angekündigt wird, kann nichts mehr schief gehen“, dachte Beckmann und trottete mit den anderen zum Buffet.

„Und wo waren Sie im Urlaub?“ fragte eine weibliche Stimme hinter ihm in der Reihe. Beckmann drehte kaum den Kopf, da legte die Dame auch schon los:
„Also ich hab´ ja so einen richtigen Kultkomplex!
War bei den Azteken in Mexiko!
Hab´ Opferstätten besichtigt.
Bildungsreise!
`Die Frau als Sinnbild des Opfers am Beispiel der mittelamerikanischen
Hochkulturen´, hieß das Thema.“

Gertenschlank war sie.

„Das Essen war gut. Und keine Rache des Montezuma!“ Sie lachte und schaute auf die einzige Brokkolisprosse, die verloren auf ihrem Teller schwamm.

Beckmann hatte den Eindruck, als wolle sie an ihm die Wirkung ihrer Urlaubsgeschichte ausprobieren, um für den Chef gewappnet zu sein.

„Klingt interessant,“ log Beckmann.

„Sie werden es nicht glauben,“ flüsterte die Frau und beugte ihr gegerbtes Gesicht ganz nah zu Beckmann runter, als der zum Besteck griff, „aber, es liegt ein Hauch des Todes über den Kultstätten der Azteken!“ Beckmann sog irritiert ihren Atem ein und bekam schlagartig einen Eindruck von der Tragweite ihrer Worte. Wie konnte jemand die Atmosphäre nur so plastisch unterstreichen?

Dicht neben ihnen drängte sich ein junger Mann auf Krücken vorbei. Beckmann trat höflich zur Seite und entfernte sich vom Buffet.

Im Schulungsraum drehte sich das Gemurmel nur um Urlaub. Fotos kreisten.
„Und das ist eine Kakerlake im Augenblick ihres Todes!“ erklärte ein Gelackter allen, die keine Chance gehabt hatten, seinen Fotos zu entkommen.

Unsicher suchte Beckmann seinen Abteilungsleiter. Der stand kerzengerade neben einem Herrn und taxierte die Runde wie ein Galgenvogel, während der Herr neben ihm pausenlos auf ihn einsprach. Schnell wollte Beckmann vorbei, doch Lorenz winkte ihn heran.

„Schon dem Chef berichtet, Beckmann?“

„Nein.“

„Gut, dann bleiben Sie jetzt hier!“

Kaum hatte Beckmann ein Glas Sekt gegriffen, humpelte der junge Mann auf den Krücken heran, im Schlepp den Chef und die Gertenschlanke vom Buffet.

„Mensch, Pechstein! Krücken und Beinstumpf sehen ja richtig abenteuerlich aus, quasi paramilitärisch! Von wilden Furien gebissen worden im Urlaub?“ Lorenz ließ jede Spur von Takt vermissen, als er den Humpelnden ansprach.

„So ähnlich! War Extrem-Tauchen vor der südafrikanischen Küste. Gibt extrem viele Haie dort dies´ Jahr!“ berichtete Pechstein.

„Ist Ihnen wohl einer zu nahe gekommen, wie?“ scherzte Lorenz und rückte respektvoll zur Seite, um den Chef in den Kreis einrücken zu lassen.

Beckmann glaubte, die Situation sei jetzt unverkrampft und übte sich in Scherzen: „Ach, deshalb haben Sie vorhin so nervös mit der Gabel gezuckt, als wir bei der Fischplatte standen!“

Das Zucken um Lorenzens Mundwinkel verstärkte sich drohend.

Pechstein plauderte ungerührt weiter: „Geht aber als ganz normaler Versicherungsfall über die Bühne. Der Chef hat seine Verbindungen spielen lassen...“

„Man tut, was man kann,“ lächelte der Chef.

„Tja! Nur den Job hier, den kann ich nicht mehr ausüben. Ist heute mein letzter Auftritt!“ schloss Pechstein.

„Leider brauchen wir nur gesunde Mitarbeiter!
Was nützt es uns, wenn Sie nächstes Jahr beim Urlaubsbriefing vom Versehrtencamp in den Rocky Mountains berichten, Pechstein?“ lachte der Chef aufmunternd und alle stimmten erleichtert ein, selbst der Geschädigte, der sein Schicksal so seltsam ungerührt hinnahm. Nur Beckmann schaute irritiert zu Boden.

„Wo waren Sie denn im Urlaub, Herr Beckmann?“ Messerscharf stieß ihn die Frage aus seiner Gefühlsduselei.

„Ich war mit der Familie im Harz!
Auf einem Campingplatz!“ stammelte Beckmann los.
„Wir, wir haben aber nicht gezeltet!“ Der Mundwinkel zuckte. Angstschweiss trat auf die Stirn. „In Containern, in Con- Containern haben wir gewohnt!“

Gequält verzog Beckmann den Mund zu einem Grinsen und schaute hilflos in die Menge, denn schlagartig durchfuhr das grosse Schweigen den Saal. Alle Blicke saugten sich an ihn fest. Die Stille dehnte sich zu einer Schweigeminute, - einer Schweigeminute für Beckmann.

Lorenzens Lefzen arbeiteten auf Hochtouren. Endlich löste der Chef das Schweigen. „Nun..., Pechstein, wir müssen noch einmal über Ihren Ansatz in der Firma reden! Vielleicht ist doch noch etwas zu machen!“ Mit einem vernichtendem Blick auf Beckmann buchsierte er Pechstein durch die Menge.

Augenblicklich riss Lorenz den erstarrten Beckmann aus dem Kreis heraus und zerrte ihn aus den Saal. Kaum war die Tür geschlossen, brüllte er los:
„Ja, Menschenskind Beckmann! Was fällt Ihnen ein?
Zelten im Harz... Jetzt sind Sie unten durch!
Beckmann, warum haben Sie sich nichts ausgedacht?“

„Ja aber es stimmt doch!“

„Karl May war auch nie in Amerika! Beckmann! Sogar die Putzfrau hier besitzt einen Reiseführer von Mallorca und berichtet jedes Jahr ausgiebig von Plätzen, die sie nie gesehen hat! Urlaub ist Überleben in dieser Firma, Beckmann! Verstehen Sie?“

„Ja, aber wir hatten auch unseren Stress!
Der Stau war 45 Kilometer lang.
Das war Rekord auf diesem Autobahnabschnitt!
Dann drei Wochen Regen!
Hat uns bald wahnsinnig gemacht!“

„Es zeugt aber nicht von besonderer Fantasie, Beckmann!“


 
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Kommentare  

Drei Wochen Regen. Naja, das ist ein bisschen viel.*Grins*

Jochen (01.08.2009)

Oh, nein, wirklich herrlich, hihi!

Petra (26.06.2009)

Köstlich!

doska (16.06.2009)

Überaus köstlich, die Story! Erinnert mich ein wenig an Kishon oder Loriot.

Tom (28.12.2003)

Finde die Gschichte sehr gut durchdacht,auch wenn sie kein Happyend hat.
Besonders gefallen hat mir wie das Wort Sagen durch andere Varianten perfekt ersetzt wurde.


kai (04.06.2001)

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