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4 Seiten

Meine erste Liebe

Kurzgeschichten · Erinnerungen
(Für K.)

Ich war 12, als ich ihn kennen lernte und wir befanden uns beide auf derselben Hochzeit, der meiner Tante Marie. Er war von der Seite des Bräutigams. Er war meine erste Liebe.
Ich hatte meine Tante Marie immer langweilig gefunden. Es lag nicht daran, dass sie zweimal in der Woche zu ihrem "Bund der strickenden Frauen" ging, nein, vielmehr war es ihr ganzes Sein. Sie war fünf Jahre jünger als meine Mutter aber sie kam mir immer älter vor. Vielleicht lag es daran, dass sie ihre langen Haare immer in einem Dutt trug oder weil sie ständig Blümchenkleider, Blümchenröcke oder auch Blümchenpullis trug. Bei ihr war alles immer Blümchen. Es änderte sich alles mit Peter. Heutzutage frage ich mich manchmal, wie di beiden zusammen gekommen sind, sie waren einfach viel zu verschieden. Er war mehr die Art Draufgänger. Eigentlich nicht der Typ Mann, auf den meine Tante stand. Vor allem nicht der Typ Mann, der auf meine Tante stand. Trotzdem haben die beiden zusammen gefunden und ich war dabei, auf die erste Hochzeit meines Lebens zu gehen.
Mit 12 hatte ich meine romantische Ader noch nicht entdeckt weswegen ich nicht unbedingt scharf war, mitzugehen, aber natürlich akzeptierte meine Mutter das nicht. Vielmehr zwängte sie mich in ein Lindgrünes Kleid mit Spagetti-Trägern und hässlichen grünen Sandalen und schleppte mich mit. Während meine Cousine Karen fast die ganze Zeit heulte, fand ich die Trauung ziemlich langweilig. Ich freute mich auf die Feier, auf die Action, auf das Essen. Meine Mutter hatte mir sämtliche Kaugummis während der Trauung untersagt und ich fühlte meinen Magen knurren. Es kam mir endlos lange vor bis wir endlich zum Buffet kamen aber schließlich schafften wir es und dann passierte es. Gierig wie ich war, schlängelte und drängelte mich überall durch, so wie es mein ganzes Leben geübt hatte. Leider stieß ich dabei in ihn.

"Oh, Entschuldigung." Sagte ich. Ich fühlte wie ich ganz rot wurde. Mir war damals alles immer furchtbar peinlich und wenn man dann auch noch vor einem Jungen steht, der so gut aussieht, ist bei einem Mädchen sowieso alles vorbei.

"Schon ok." Sagte er in einem gleichgültigen ton. In meinen Ohren klang es allerdings wie Musik. Die Jungs mit denen ich zu der Zeit zu tun hatte, hatten alle diese Piepsstimmen aber diese, leicht tief angehauchte Stimme kam mir wie Musik vor.

"Is wirklich ok." Sagte er noch einmal. Seine Augen sahen aus wie Schockodrops. Kleine Tupfer Schokolade in Vanille, dachte ich, als ich in sein Gesicht sah. Er strich sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht und ich seufzte leise.

"Gehörst wohl zur Braut, was?" fragte er mit einem Lächeln woraufhin ich nickte.

"Dachte ich mir." Mit seinem Teller in der Hand verschwand er. Ich starrte ihm hinterher. Meine Wangen glühten. Ich hatte das schönste, das wundervollste Geschöpf meiner kleinen Welt gesehen. Obwohl ich nie schüchtern gewesen bin, wusste ich, dass ich nie wieder mit ihm reden könnte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder halbwegs akklimatisiert hatte. Trotzdem war da immer noch dieses Gefühl in mir, das, was die Leute als Schmetterlinge im Bauch bezeichnen aber mir kam es mehr vor, als ob ich die größte Tafel Schokolade der Welt gesehen hätte und sie nicht haben konnte. Ich muss dazu sagen, dass damals alles wichtige in meinem Leben aus Schokolade bestand.

In meinem Frust, den 12-jährige in so einer Situation nun einmal haben, machte ich mich wieder über das Essen her. Hier ein Stück Kuchen, dort ein Stück Käse, ein kleines Hors d'oevre. Na ja, so ziemlich alles was ich finden konnte. Meine "Fress-Orgie" wurde von meiner Mutter unterbrochen:

"Kind, iss doch nicht so viel!" sie zerrte mich praktisch weg.
"Hast du denn schon Matty kennen gelernt? Er ist der kleine Bruder von Peter. Er ist älter als du aber trotzdem." Sie zeigte auf jemanden, den ich aber nicht sah, da ich mir ein Stück der sündhaft teuren Schokolade griff, mit der einer der Kellner rumlief.
"Sieht ganz nett aus." Sagte ich zur Tarnung. Ich hatte vor mich wieder wo anders hin zuverziehen, als meine Mutter DIE Idee hatte:

"Wieso tanzt ihr beide nicht?" Sie ließ mich natürlich nicht antworten sondern rannte sofort in die Richtung von Matty, der wie ich sehen konnte, neben Peter stand. Er als ich auch in die Richtung sah, sah ich wer Matty war; der Schokoladenaugen-Junge, die Liebe meines Lebens. Ich wurde rot, obwohl noch gar nichts passiert war. Ich wollte flüchten, aber meine Füße bewegten sich nicht. Meine Augen, die weit aufgerissen waren, starrten meiner Mutter hinterher, die bei Peter und Matty angekommen war. Peter schien die Idee mit dem Tanzen auch toll zu finden und Matty lächelte nur, was mich natürlich dahinschmelzen ließ. Sie kamen auf mich zu. Ich wollte immer noch weg, aber meine Beine wollten und wollten nicht.

"So, Matty und du ihr tanzt jetzt ein bisschen. Oh, ich werde deinem Vater sagen, er soll es aufnehmen!" meine Mutter war von der Idee vollkommen begeistert und sauste sofort los, um meinen Vater aufzutreiben. Matty lächelte mich an. Ich spürte wie ich rot wurde, aber nichts dagegen unternehmen konnte. Er nahm meine Hand und führte mich mehr in die Mitte. Es war unglaublich peinlich. Obwohl ich eigentlich nur wahrnahm, dass meine Hand sich in Matty's befand, hatte ich doch das Gefühl, dass einige der Gäste sich umdrehten und uns ansahen. Matty wusste wie man tanzt, jedenfalls besser als ich, und ich ließ ihn einfach machen. Schließlich war ich erst 12, da muss man noch nicht tanzen können. Matty war mir so nah, dass mir total warm war. Außerdem roch er nach Apfel. Nach grünem, frischen Apfel. Noch heute suche ich nach diesem Duft? Matty roch einfach danach. Er sah mich kurz an und lächelte. Damals war es mir natürlich egal, aber ich muss schrecklich kindlich und schüchtern für ihn ausgesehen haben. Ich kann mich nicht mehr erinnern, meine Füße bewegt zu haben oder was ich mit meinen Armen gemacht habe, aber ich erinnere mich noch genau an Matty in diesem Moment. Manchmal, wenn ich meine Augen schließe, sehe ich ihn direkt vor mir, mit seinem hellblauen Anzug, der seltsamen Fliege und dieser Apfelgeruch, wie er mich angesehen hat mit seinen zwei Schokoaugen. Es ist die schönste Erinnerung an ihn.

Danach habe ich Matty nicht mehr gesehen. Weder auf der Hochzeit, denn er musste früher gehen, da er in einer anderen Stadt wohnte, noch irgendwann später. Es war seltsam, schließlich sah ich meine Tante und Peter oft aber nie Matty, nicht einmal zu Familienfeiern. Manchmal sprachen sie von ihm, erzählten die neusten Dinge. Dann war ich immer so glücklich, mein kleines Teenagerherz schlug höher.
Aber das Beste war, dass mein Vater unseren Tanz damals wirklich gefilmt hatte. Der Film kam in meinen Besitz, natürlich ohne das Wissen meiner Eltern, und ich sah ihn mir tausende Male an. Als ich älter wurde, sah ich ihn mir weniger und weniger an. Ich dachte auch weniger an ihn, bis eines Tages meine Eltern mir erzählten, dass er tot sei. Ich erinnere mich noch heute an die Kälte und den Schock in mir, ein Gefühl, als ob ich schweben würde, als ob es nicht real gewesen wäre. Sofort fielen mir diese Schokoladenaugen ein, dieses Lächeln, der Geruch von frischen Äpfeln. Matty hatte sich das Leben genommen. Die Umstände waren unklar. Einige seiner wenigen Freunde behaupteten, dass er nicht mit dem Druck des Studiums auskam, andere sagten, es war wegen seines Liebhabers. Es wurde nie geklärt. Meine Eltern verstanden nicht, dass es mich so fertig machte. Schließlich hatte ich ihn nur einmal gesehen, sagte sie. Natürlich wussten sie nicht, dass er meine erste Liebe gewesen war.
Heute denke ich oft an Matty. Man könnte sagen, er ist ständig irgendwie da. Manchmal mehr und mal weniger. Wenn ich einen mit Schokolade überzogenen Apfel esse ist er mehr da, wenn ich mit meiner Familie zusammen da, weniger. Aber ein kleiner Teil in mir ist einfach 'Matty'. Das ist auch nicht schlimm, schließlich war er meine erste Liebe.
END
 
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Kommentare  

Also, ich finde deine Geschichte sehr schön und nachdenklich. Vor allem wenn man die Geschichte der Widmung kennt.
K. ist dein Matty, oder?...


Alex (22.07.2004)

Zartbitter!
5 Punkte


Norma Banzi (07.03.2003)

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