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4 Seiten

Nur ein warmer Sommerwind

Fantastisches · Kurzgeschichten
Als ich das letzte mal in meinem Leben aufwachte, da war es Nacht. Ich befand mich in jenem befremdenden Zustand zwischen Schlafen und Wachen, der unbekannte Schatten in die Welt zaubert, Schrecken und Schönheiten zugleich. Die Stille hatte die Welt in ihre Arme genommen und die lauten Geräusche des Tages erstickt, die sonst geschäftig durch die Straßen und Plätze klangen. Alles um mich herum war dunkel, nur durch das Fenster schien ein schmaler Strahl Mondlicht und zeichnete eine glitzernde Straße ins Nirgendwo auf den Boden, mit ihren unhörbaren Versprechungen von fremden Welten, anderen, interessanten Menschen, Abenteuern und Questen. Ich stand auf und ging zum Fenster um zu sehen, wohin diese Straße wohl führen mochte. Es war Sommer und der klare Himmel malte Tausende Sterne in die Kuppel des Firmaments. Die Nacht war warm, fast schon schwül, eine bedrückende Wärme, die einem unruhigen Schlaf und die wirrsten Träume beschert. Ich öffnete das Fenster und ein lauer Wind wehte in mein Zimmer, spielte mit meinem Haar und erzählte mir die Geschichten, die er mit sich brachte. Eine flüsternde, säuselnde Stimme, die im Rauschen von Blättern wispert, und im Pfeifen und Heulen des Sturmes schreit. Einen süßlichen Geruch brachte er mit sich, ein Gemisch aus den schweren Düften der Sommerblüten und den staubigen Dünsten der trockenen Erde und noch etwas anderem, was ich nicht so gleich einordnen konnte. Ich empfand diesen Geruch nicht unbedingt als sehr angenehm, aber irgendwie doch erregend. Etwas leicht morbides und unwirkliches haftete ihm an und ich fühlte mich unwillkürlich an einen Friedhof erinnert. Ich stand am Fenster und spähte in die Nacht hinaus, die die Welt in einen schwarzen Mantel gehüllt hatte, den ich nur langsam zu durchspähen in der Lage war. Langsam, fast als würden sie sich dagegen sträuben schälten sie die Umrisse von Gegenständen grau und schemenhaft aus der Dunkelheit, seltsam verzerrt, durch das mystische Licht der silbern-roten Scheibe, die voll und rund wie eine Münze niedrig über der Stadt hing. Plötzlich, mehr aus den Augenwinkeln, als mit dem konkreten Blick sah ich ein Schatten vor dem Mond vorbei huschen. Doch bevor ich eine bewußte Form wahrnehmen konnte, war er auch schon wieder in der Dunkelheit verschwunden. Nur eine Sinnestäuschung, oder einer jener nächtlichen Jäger der Natur, deren Augen das Dunkel wohl besser zu durchdringen vermochten, als meine, auf der Suche nach Beute. Noch eine Weile stand ich und lauschte dem Gesang der Nacht, spähte auf die schlafende Erde. Grillen und Nachtigall sangen ein säuselndes Lied. Ich genoß den Wind, der sanft die Welt entlang strich, wie ein Liebender, der seine Geliebte streichelt. Nichts störte die Ruhe. Ich wollte schon in mein Bett zurückkehren, da hörte ich eine sanfte Stimme: "Eine wunderbare Nacht, findet ihr nicht auch, man sollte sie nicht mit schlafen verschwenden." Ich wahr mir ganz und gar nicht sicher, ob die Worte mir gegolten hatten, aber ob der Lieblichkeit der Stimme wünschte ich doch, sie spräche zu mir. Seltsam war sie diese Stimme aus dem Dunkeln, lieblich und süß und doch zugleich von einer Wildheit, die keinen Widerstand zuließ. Ein Sirenengesang, ohne feste Töne, aber doch melodisch. Ich verharrte also wo ich war um doch den Ursprung jener wohlklingenden Laute zu entdecken. Und als ich so stand und mit meinen Augen das Dunkel zu durchdringen suchte, trat eine Gestalt aus der Nacht in eben jenes Licht, das der blutige Mond verführerisch über die Dächer und Straßen wirft, das alles verzerrt und scheinbar aus dem Dunkel reißt und doch nichts enthüllt. Langsam kam die Gestalt auf mein Fenster zu. Mit einer Grazie und Anmutigkeit, einer jagenden Wildkatze bewegte sich die Silhouette im Mondlicht, mehr gleitend oder schwebend. Und nun konnte ich auch die weiblichen Formen der nächtlichen Besucherin erkennen, rund und weich und absolut perfekt. Die Frau war von einer Aura umgeben, die jeden Mann sofort betörte und von der man doch genau wußte, daß man sie befleckt, wenn man sie berührt. "Guten Abend." hörte ich die Stimme nun wieder, und nun war ich mir sicher, daß sie zu jenem überirdischen Wesen gehörte, das da vor mir stand. Ich war wie gelähmt. Mein Kopf war leergefegt, kein Gedanke war es jetzt wert gedacht zu werden. Jener süßliche, verwirrende Geruch kam mir jetzt wieder entgegen, doch nun erregte er mich noch mehr, denn es war ihr Geruch. Ein Engel der Nacht, Gestalt geworden für mich und er stand da und wartete. Geheimnisvoll und Anmutig, mit einer elfischen Grazie und einer diabolischen Wildheit in den Bewegungen. Ich kam mir klein und nichtig vor, häßlich und dumm. Hier stand ich mitten in der Nacht nur in Unterwäsche und wußte nicht, was ich sagen sollte und vor mir stand eine Frau, wie ich sie mir schöner in meinen Träumen nicht ausgemalt hatte. Meine Zunge klebte als nutzloser Hautlappen an meinem Unterkiefer und kein Wort kam über meine Lippen. Schließlich, unter Aufwendung aller meiner Willenskraft brachte ich doch eine Art Gruß heraus. "Guten Abend...." Es schien mir als ob ein sanftes Lächeln die Mundwinkel meines Gegenübers umspielte, was meine Unsicherheit nur noch erhöhte. Kalte und warme Schauer liefen mir abwechselnd über die Haut und meine Haare stellten sich auf. Ein flaues Gefühl, direkt unter meinem Herzen machte sich breit und drückte mir scheinbar die Luft ab. Noch immer konnte ich keinen klaren Gedanken fassen und auch mein Körper weigerte sich irgendeine Bewegung zu vollbringen. Die sonderbarsten Fragen und Vorstellungen schossen durch meinen Kopf. Begierde und Lust, Unsicherheit begleitet von einer unbegründeten Melancholie. Die Frau kam langsam auf mich zu und immer genauer schälten sich ihre Konturen aus der Dunkelheit. Die Lähmung, die mich gefangen hielt, wurde immer stärker und immer mehr schwand mein Wille dahin und immer größer wurde meine Hingebung. Nur noch zu tun, was sie wollte. Dabei war sie eine völlig Unbekannte. Sie kam immer näher und stand nun direkt vor mir. Ich konnte nicht sagen, wie sie nun wirklich aussah aber ich war mir sicher, die schönste Frau die ich jemals gesehen hatte vor mir zu haben. Unvermittelt beugte sie sich vor und küßte mich. Seltsamerweise war ich nicht überrascht. Und als ihre Lippen die meinen berührten war es ein Gefühl von Vertrautheit. Mit dem Kuß schlossen sich auch meine Augen. Wild war dieser Kuß und ich spürte, wie sich ihre Zähne in meine Lippen gruben. Der Geschmack von Blut war da und ich erwiderte ihre Liebkosung nicht weniger ungestüm. Auch ihre Lippen bluteten von meinem Biß und unser Blut vermischte sich. Ich spürte das saugen an meiner Unterlippe und mein eigener Wille wurde durch die Wunde aus mir gesaugt. Immer leerer fühlte ich mich. Ich begann auch das Blut zu saugen und ich hatte eine seltsame, niegekannte Erregung in mir, der Geschmack des Blutes. Roter, eiserner Saft. Von einer seltsamen Ekstase war ich erfaßt. Ich spürte den Lebenssaft meine Kehle entlangrinnen, mein eigenes Leben von mir selbst verschlungen. Langsam verließ mich die Kraft. Immer schwächer wurde ich und irgendwo in meinem Hinterkopf spürte ich Angst. Aber mein Leben versiegte. Zug um Zug wurde ich schwächer und mit der Stärke versiegte auch die Angst. Ich hob die Augenlieder und sah ein Höllenfeuer in den Augen meines Gegenübers. Rot wie das Blut leuchteten die Augen. Überirdisches Irrlicht in höllischen Farben. Mit einem Flackern, daß mich in den Wahnsinn trieb. Verbrennen des Verstandes. Langsam verschwommen meine Wahrnehmungen. Um mich herum wurde es immer dunkler. Das Licht wurde in den selben Zügen wie mein Blut weggesaugt. Dann war es aus. Rote Schwärze überfiel mich. Was blieb war nur ein warmer Sommerwind.
 
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Kommentare  

Das altbekannte und immer wieder beliebte Vampirthema schaurig-schön umgesetzt.

Stefan Steinmetz (25.02.2002)

Eine romantisch-schaurig-schöne Vampirgeschicht, mit Poesie beschrieben...

Maegumi (11.12.2001)

Ich muss sagen: Eine ausgesprochen feinfühlige Geschichte, geschrieben mit den richtigen Worten. Einfühlsamer und doch etwas romantischer Stil sind in dieser Geschichte vorherrschend. Obwohl das Thema „weibliche Vampire“ sehr abgedroschen ist, wirkt diese Story lebendig und hat ihren eigenen Reiz. Lesenswert!

SabineB (Jurorin) (01.09.2001)

Deine Ausdrucksweise ist toll! Soo schön beschrieben.Schade nur um das Ende.

esmias (27.08.2001)

Der Anfang der Geschichte war wirklich nicht schlecht, bis zum letzten Drittel. Dort versiegte irgendwie die Spannung und der Reiz, weiterzulesen. Aber ich las trotzdem weiter. Schade aber, dass der Schluss nicht das erfüllt, was die Geschichte zu Anfangs verspricht, eine überraschende Wende. So zumindest sehe ich das, aus meiner Sicht der Dinge!
Ein paar Fehler in der Interpunktion sind mir dann noch aufgefallen.


Marco Frohberger (08.08.2001)

aufgrund der Anzahl an Vampiren die hier in verschiedenen Stories auftauchen könnte man meinen, es gäbe nichts anderes zwischen Himmel und Erde...langweilig

gähn (03.08.2001)

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