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Und wie er sodann ins Paradies kam

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Er war also gestorben, wie er es sich gewünscht hatte sich selbst treu bleibend.

Nun schritt er durch besagten langen Tunnel, von dem die Sterbeforscher und Weisen berichtet hatten. Er fühlte sich leicht und wohlgelaunt. Der Tod schien wirklich nichts anderes zu sein als die Fortsetzung des Lebens auf einer anderen Ebene, vielleicht jedoch noch viel inten-siver.

Als er sodann aus dem Tunnel hinaustrat und ihn gleißendes, sonniges Licht empfing, sah er hinab in ein frühsommerlich warmes Tal, das dem eines Schwarz-waldtales ähnlich war, als es dort noch keine schwind-süchtigen Bäume gab. Dieses Tal überzog ein millionen-faches Glitzern und Funkeln.

In dem Augenblick, als er sich auf seiner Anhöhe die vielfältigen Einzelheiten einzuprägen begann, schwebte an ihm eine dicke rosa-rote Wolke vorbei, auf der ein halbes Dutzend hauchzart bekleideter Engelchen Harfe spielte und dabei sangen. Daß jedes von ihnen einer anderen Melodie folgte, störte ihn nicht sonderlich, denn er war ohnehin ein ausgeprägt visueller Typ. Daß diese Engelchen aber offensichtlich an Magersucht litten, stimmte ihn geradezu traurig, zumal er von alten reli-giösen Bildern Engel in famosen barocken Formen ge-wohnt war. Und es kam noch schlimmer. Als nämlich diese spindeldürren Engelchen seiner ansichtig wurden, legten sie die Harfen beiseite und lachten sich über ihn geradezu schlapp. Er schaute daraufhin irritiert hinter sich, ob vielleicht ein anderer gemeint sei. Aber er sah niemanden und stellte dabei auch noch verwundert fest, daß er keinen Schatten warf. Nichts warf hier Schatten. Ein Umstand, der C. G. Jung an diesem Ort arbeitslos gemacht hätte.

Während er prüfend an sich herunter sah, bemerkte er, daß er als einziges Bekleidungsstück noch seine Uni-formjacke trug, mit der man ihn beerdigt hatte. Aus ihr ragten seine nicht gerade stämmigen Männerbeine und das traurige Teil, für das es hier keine Verwendung mehr geben würde. Nun ja, er mußte zugeben, daß sein An-blick wirklich lächerlich war, was ihn mit den Engelchen schlagartig versöhnte, wobei ihm sein Mitleid dabei half. Wenn denn seine Lächerlichkeit überhaupt der wahre Grund für die Erheiterung der Engelchen gewesen war?

Er sah ein, daß die Uniformjacke hier, wo es offensicht-lich äußerst friedvoll zuging, fehl am Platze war. Außer-dem machte sie ihn nackter als nackt. Er zog sie aus, legte sie fein säuberlich neben sich ab und strich zum Abschied noch einmal über sie.

Er folgte dem schmalen Pfad mit federnden Schritten ins Tal hinab. Hier war ein Mistral oder ähnliche Windgeisel nicht denkbar. Ihm folgte ein Rotkelchen, das schließlich um seinen Kopf flatterte und immer wieder in seiner piepsigen Stimme sang: "Du bist im Paradies, Du bist im Paradies." Als es schließlich wegflog, rief er hinter ihm her, daß er ihm einen schönen Tag wünsche. Dabei wurde ihm plötzlich überglücklich klar, daß einer von drei Wün-schen, die er noch zu Lebzeiten gehabt hatte, nun offen-sichtlich in Erfüllung gegangen waren. Er konnte jetzt mit Tieren, zumindest schon mal mit Rot-kelchen kom-munizieren. Er mußte sich ins Moos nieder-setzen, um diese freudige Erkenntnis zu überdenken. Da hörte er hinter sich ein seltsam kehliges Gelächter, das nicht von seinesgleichen stammen konnte. Er drehte sich um und erblickte auf einem Baumstumpf einen einge-ringelten Rotfuchs, vor dem eine stattliche Graugans im Moos stand, die sich in ihrem Lachen einfach nicht be-ruhigen konnte. Sodann hörte er zu seiner Verblüffung die Gans die kenntnisreichen Worte sagen: "Du schlauer Fuchs, weil Du mich hier nicht auffressen kannst, willst Du mich nun über den Umweg eines Heiratsantrages in Deinen Besitz bringen. Das schlage Dir aus dem Kopf. Daraus wird nichts."

Als er diese Worte von der Gans vernommen hatte, erhob er sich lächelnd, um seinen Weg fortzusetzen. Offen-sichtlich schien das Land, in dem er sich nun bewegte, doch nicht ganz so heilig zu sein, wie von ihm ange-nommen. Mit seinen 65 Jahren, die er fast vollendet hätte, gab er eine hochaufgewachsene, noch bemerkens-wert schlanke Figur ab. Und da ihn kein eigener Schatten be-gleitete, mußte er sich daran erinnern, wie oft er zu seinen Lebzeiten dünne und insbesondere flache Frauen mit dem Spruch verunsichert hatte: "Mädchen, Du wirfst ja gar keinen Schatten." Und es stiegen in ihm Bedenken auf, ob es hier vielleicht jemanden geben könnte, der ihn an diese Frechheiten oder andere Verfehlungen von ihm nachhaltig erinnern könnte. Denn immerhin konnte das Lachen der Engelchen vorhin auch ein ernst zu nehmen-des Vorzeichen dafür bedeuten, daß es sich vielleicht gar nicht auf seine lächerliche Erscheinung bezogen hatte.

Als er dergestalt vergnügt eine geraume Zeit vorange-schritten war, bemerkte er zu seiner Linken einen Hasen, der einen Jagdhund jagte. Doch seine Heiterkeit wandelte sich umgehend in Entsetzen, als er kurz darauf am Weg-rand ein Huhn erblickte, das reglos auf dem Rücken lag und seine beiden gelben Beine nach oben streckte. Doch als er sich über das Huhn beugte, um es zu streicheln und seiner Seele eine angenehme Reise zu wünschen, brachte sich dieses plötzlich flügelschlagend in seine Normallage und lief empört davon. Offensichtlich hatte es nämlich ein kleines Nickerchen gehalten.

Bevor ihm auf seinem Pfad noch andere Besonderheiten begegnen konnten, versperrte ihm plötzlich ein Schlag-baum den Weg. Dieser war abwechselnd weiß-hellblau gestrichen. Doch ein Schild mit der Bezeichnung "Frei-staat Bayern" war nirgendwo ersichtlich.

Aus einem kleinen fenster- und türlosen Häuschen er-klang eine tiefe Stimme: "Name, geboren wo und wann?" Er gab bereitwillig Antwort. Und auch stimmte die An-gabe zu seinem Geburtsdatum, zumal die Stimme aus dem Häuschen einem Mann zu gehören schien. Und freiwillig fügte er zu den Angaben zu seiner Person noch hinzu: "Nur einmal geschieden!"
Als er um das Häuschen herum Gestalten bemerkte, die regungslos und mit leerem Blick im Moos hockten, fragte er die Stimme, was es mit diesen Gestalten auf sich habe. Und erhielt etwas unwillig zur Antwort, daß es sich um Selbstmörder in der Warteschleife handele.

Es entstand eine Pause. Nur ab und an ließ sich aus dem Häuschen ein Gemurmel hören, begleitet von einigen aha, hmhm. Es wurden dort wohl aufgrund der Papier-blättergeräusche einige Akten studiert. Auch vernahm er die Worte "unglaublich", "zweimal täglich" oder "nicht zu fassen". An letztere Bemerkung knüpfte offensichtlich die Frage aus dem Häuschen an, ob es wahr sei, daß er noch kürzlich vier Frauen zur gleichen Zeit besessen habe, obgleich dazu nicht legitimiert wie ein Araber bei-spielsweise. Er bejahte dies mit kleiner Stimme. Nach einer längeren Pause ließ sich danach die Stimme aus dem Häuschen vernehmen, daß es unter solchen Um-ständen angemessen und geradezu geboten sei, ihm seinen zweiten Wunsch zu erfüllen, als Frau wiederge-boren zu werden.

Aus dem Häuschen erklang ein Hammerschlag ähnlich jenem eines Auktionators. Er erwachte danach offen-sichtlich aus einer Ohnmacht, denn tot war er ja bereits. Er hatte ein nachthemdähnliches Gebilde an, das so zart war, daß er es kaum spüren konnte. Er schaute an sich herunter, wobei zwei beachtliche Wölbungen den freien Blick auf seine Füße versperrten. Er tastete diese Wölbungen ab. Es handelte sich um feste, wohlgestaltete Brüste, die BH-los der Schwerkraft trotzten. Aufgrund der hier herrschenden unbegrenzten Möglichkeiten hatte es offensichtlich auch nicht der Nachbesserung durch Silicon bedurft.

Aber auch ansonsten bemerkte er, d. h. nun genauer "sie", an sich die Attribute einer überaus wohlgeformten, jugendlichen Frau, wobei man vielleicht etwas großzügig mit den Formen verfahren war. Denn diese wurden zu-dem noch durch eine schmale Taille und durch lange Beine betont, die weder ein O noch ein X aufwiesen. Eines war sicher, sie bot den unausweichlichen Männer-blickfang in seiner Vollendung dar.

Als sie mit ihrem Inneren und Äußeren, an sich run-terblickend, dergestalt beschäftigt war, vernahm sie di-rekt vor sich eine wohltönende Männerstimme: "Hallo Claudia, ich heiße Gabriel." Ihr erster Schreck verflüch-tigte sich sofort, als sie eine Haupteslänge über sich in zwei strahlend blaue Augen blickte, die aus einem eben-mäßigen Gesicht leuchteten, das von zwei wohlge-formten, doch männlichen Lippen gekrönt wurde. Einge-rahmt wurde dieses Schönheitsensemble von lockigen, dunkelblonden Haaren, die bis auf die Schultern reichten. Diese waren breit und betonten damit die Schmalheit seiner Hüften. In seinem Gürtel steckte ein großes, blan-kes Schwert, das eigentlich bei der überall sichtlichen Männlichkeit überflüssig war.

Bei diesem Anblick fing ihr Körper zu vibrieren an. Die Brustwarzen wurden steif und so groß, daß eine Sudan-Schwarze neidisch geworden wäre. Und auch anderenorts nahm ihr Körper bereitwillig die Signale auf. Und dies alles in dem keuschen Paradies, wie es geheißen hatte. Wenn die auf der Erde wüßten, was hier los war, dann wäre diese bald entvölkert.

Als sich ihre Brustwarzen so maßlos unter dem Hemd abhoben, versuchte sie dies in der Manier von Tarzans Frau "Jane" dadurch zu verbergen, daß sie ihre hüft-langen Haare nach vorne brachte.

Doch Gabriel schien dies gar nicht wahrgenommen zu haben. Er nahm ihre Hand und ließ sie so neben sich herlaufen. Und wenn er sie jetzt zu einem Kaffee zu sich eingeladen hätte, dann wäre sie gerne und bereitwillig gefolgt. Doch war leider nicht damit zu rechnen, daß es hier Kaffee gab. Und wenn er gar schwul war? Solcher-maßen angeregt fragte sie ihn deshalb, welches ihr beider Ziel sei.

Er antwortete ihr, daß sie doch als Frau wiedergeboren werden wolle, und daß er sie zur Vorbereitung darauf jetzt ihrem ersten von insgesamt drei Kursen bringen würde. Darauf wollte sie verständlicherweise von ihm wissen, um welchen Lernstoff es sich in diesem Kursus handele.
Er schaute sie strahlend und warmherzig von der Seite an und entgegnete mit seiner überaus wohltönenden Stimme, daß es sich dabei im Hinblick auf ihre nächste Erdenrolle hier sozusagen schon mal um einen Probelauf als Frau handeln würde. Und als sie Einzelheiten dazu wissen wollte, sagte er: "Du wirst lernen müssen, wie man dem Manne dient. Und ich bin Dein Lehrmeister."

Nach dem Lernstoff der beiden anderen Kurse hat sie nicht mehr gefragt.


P. S.: Übrigens, der dritte Erdenwunsch, den sie auf Erden noch als Mann so sehnlichst gehabt hatte, nämlich ein gutes Buch zu schreiben, ging hier schon deshalb nicht in Erfüllung, weil sie gehalten war, von morgens bis abends ihre zukünftigen Aufgaben als Frau zu er-lernen. Aber auch nachts kam sie nicht zur Ruhe.


28. V. 2003
 
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Kommentare  

Imho war die Einleitung irgendwie zu lang, aber durchaus passend. Die Idee gefällt mir sehr gut.

Redfrettchen (30.11.2003)

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