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Die Ameise und der Elefant (Version 2017)

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
„Halt! Stopp!“, schrie die Ameise aus Leibeskräften. „Pass auf, wo du hintrittst. Sonst quetscht du mich tot.“
„Was kümmert mich das“, antwortete der Elefant, rollte den Rüssel hoch und trompetete seinen Zorn in die Nacht hinaus. Nachdem er sich auf diese Art etwas Luft verschafft hatte, senkte er den Kopf, wackelte mit seinen großen Ohren und blickte die winzige Ameise aus genervten Augen an: „Du musst mich doch schon seit langem gehört haben und hattest genügend Zeit, dich davon zu machen. Beschwer dich nicht, dass du nun vor meinen Füßen herum rennst.“

„Was für dich ein Schritt ist, sind für mich hunderte. Mein kleines Herz schafft es gar nicht, so schnell zu schlagen, dass ich vor dir davon laufen könnte.“
„Nun Frau Ameise, dann verrate mir einmal, warum du überhaupt bei Nacht draußen herum rennen musst. Zumal es scheint, als wenn du nicht nur schwerhörig bist sondern auch noch schlecht sehen kannst.“
„Womit habe ich es verdient, Herr Elefant, dass du mich so beleidigst? Weder bin ich blind, noch bin ich taub. Ich bin nur anders gebaut als du. Du hättest mich ebenfalls sehen und hören sowie weniger rücksichtslos durch den Wald stapfen können.“

„Werde nicht frech, Ameise“, fuhr der Elefant sie laut mahnend an, stellte die Ohren wie die Segel zweier Schiffe aus und hob den Fuß bedrohlich hoch: „Vergiss nicht, dass es mir ein Leichtes ist, dich platt zu treten. Der Mond ist hell genug, dass ich alles sehen kann, was wichtig ist.“
„Schon gut, schon gut. Beruhige dich, Herr Elefant“, nahm die Ameise kluger Weise die starken negativen Emotionen aus der Unterredung. Denn heute Nacht zu sterben hatte sie sich bestimmt nicht vorgenommen, als sie ihren Hügel verlassen hatte. Auch war es nicht ihre Absicht gewesen, sich mit einem Elefanten zu streiten. Sowieso war das Wettstreiten und der ständige Konkurrenzkampf um sie herum etwas, das sie nicht mehr akzeptieren konnte. Nicht mehr, seitdem sie eines Nachts lange sinnierend in die Sterne geschaut hatte.

„Lieber Elefant“, fuhr sie sodann die Unterhaltung mutig fort, „da du mich nicht gesehen hast, bin ich dir wohl nicht wichtig, oder?“
„Richtig. Warum sollte ein so großer und stolzer Elefant sich um so ein armseliges Ding wie dich kümmern. Eine mehr oder weniger von euch macht den Braten auch nicht fetter.“
Die Ameise setzte sich auf ihren Hintern, strich sich mit ihren beiden vorderen Beinen über die Fühler, während die mittleren sich trotzig vor ihrem Bauch kreuzten. So plump wie dieser Elefant war, würde sie mit einer biestigen Antwort nur das Gegenteil erreichen von dem, was sie beabsichtigte. Deshalb entschied sie sich, die Kränkung des großen Tieres an sich abprallen zu lassen.

„Du fragtest mich vorhin, warum ich hier in der Nacht allein umherschleiche“, wechselte sie geschickt das Thema. „Nun, ich bin hier, um die Sterne zu beobachten.“ Dann schaute sie mit sehnsuchtsvollen und schwärmerischen Augen in den dunkelblauen Nachthimmel, wobei sie sich eine Hand an die Stirn legte, als müsste sie ihre Augen vom Sternenlicht abschotten.
Die Körperhaltung der Ameise sah für den Elefanten sehr witzig aus. Das besänftigte ihn ein klein wenig.

Groß hingegen war die Neugier, was dieses kleine Insekt mit seinen noch kleineren Augen da droben am Firmament sähe, was er mit seinen großen Kulleraugen, auf denen eine ganze Herde ihrer Artgenossen Platz fände, nicht zu erkennen vermochte.
Deshalb setzte er sich neben sie in den Sand – es war ein gar vorzügliches Bild, wie diese beiden Seite an Seite im Gras saßen und den Himmel musterten. Der Elefant hob seinen schweren Vorderfuß an seine Stirn, konzentrierte sich sehr darauf, dass sein Rüssel nicht nach oben rollte, stierte in das nächtliche Schwarz mit seinen goldenen Punkten und fand auf Teufel komm raus keinen Anhaltspunkt, was die kleine Dame dort droben entdeckt haben könnte.
Diese schmunzelte vor sich hin, als sie die vielen Querfalten am Ansatz seines Rüssels sah, die sich Stück für Stück auf seiner Stirn ausbreiteten wie kleine Wellen in einem See, nachdem man einen Stein hineingeworfen hatte.

Zumindest gibt er sich Mühe, sagte sie sich im Stillen und fragte den grauen Riesen laut: „Was meinst du, wie viele Sterne das sind?“
„Viele Milliarden.“
„Und was schätzt du, auf wie vielen von ihnen es Leben gibt?“
„Auf keinem von ihnen, das sagen zumindest die Wissenschaftler.“
„Wenn das so ist wie diese weisen Männer sagen, grenzt es dann nicht ein Wunder, dass wir hier unten auf der Erde leben können? Und genießt ein Grashalm oder eine Ameise demnach nicht dasselbe Wunder wie ein Elefant? Profitieren wir nicht alle vom selben Wunder Leben? Haben deiner Meinung nach ein Grashalm oder eine Ameise weniger Recht, zu leben?“

Der Blick des Elefanten wanderte zwischen der Ameise und dem Himmel hin und her. Seine Ohren klatschten dabei gegen seinen Hinterkopf, fast war es der kleinen Dame, als schlüge er sich selber für seinen frevelhaften Auftritt vorhin.
Lange blickte er sehr nachdenklich zu den Sternen.
Mit dem Ächzen eines alten Mannes stand er auf, hielt seinen Rüssel vor die Ameise und sprach mit einer Achtsamkeit in der Stimme, als hätte die Ameise gerade eine Löwenfamilie in die Flucht geschlagen und ihm dadurch das Leben gerettet: „Steige zu meinem Kopf hinauf, Frau Ameise. Sicher werde ich dich durch die Nacht tragen, damit kein Tölpel dich versehendlich zu Tode tritt.“
 
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Kommentare  

Wirklich hübsch gemacht, muss ich sagen. Die Geschichte hat eine süße Pointe und ist mit Witz und Verstand geschrieben.

doska (06.03.2017)

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