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11 Seiten

Mortal Sin März 2007- Never Get To Heaven

Romane/Serien · Spannendes
© JoHo24
Der Tod ist nicht der größte Verlust im Leben. Der größte Verlust ist das, was in uns stirbt, während wir leben.
- Norman Cousins


Heute ist der Tag. Heute wird er beerdigt. Heute werde ich vor seinem Grab stehen und ihm bei seinem letzten Gang begleiten.
Er knöpfte sein blütenweißes Hemd zu, bevor er sich in das Jackett seines hochwertigen, schwarzen Anzugs zwängte.
Ich kann immer noch nicht glauben, dass er tot ist. Jahrelang habe ich für ihn gearbeitet; ihn Boss genannt. Ich habe getötet, wenn er es mir befohlen hat. Ich habe meine Zielperson gequält, wenn er es wollte. Jedes Mal habe ich mein Leben riskiert, um seine Aufträge auszuführen. Nun ist er selbst zum Opfer geworden. Nun ist er es, der in das Reich der Toten hinabsinkt.
Es folgte ein letzter, prüfender Blick in den Ganzkörperspiegel in seinem Schlafzimmer. Er sah gut aus, schick und elegant. Ich sollte öfters zu Beerdigungen gehen. Trauern steht mir! Lässig drehte er sich hin und her und begutachtete sich von allen Seiten. Flüchtig fuhr er sich durch die blonden Haare und richtete den Kragen seines Hemdes.
Patton Massey war bereit. Er war bereit sich von William Cunningham zu verabschieden; von dem Mann, der ihm eine Aufgabe gegeben hatte, nachdem er das Militär verließ. Daher war es für ihn selbstverständlich bei seiner Beisetzung anwesend zu sein, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Gedankenverloren wandte er sich von seinem Spiegelbild ab und schaute auf seine Rolex. Es war Viertel nach neun. In 45 Minuten wurden sie in der Kirche erwartet. Verdammt, uns läuft die Zeit davon. Wo bleibt sie nur?
Als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, klingelte es keine Sekunde später an der Tür. Sie war endlich da.
Der Ex-Soldat eilte in den Flur und drückte unten auf. Er hörte das Klackern ihrer High Heels, während sie die Stufen hinaufstieg. Ungeduldig wartete er, bis sie nach wenigen Augenblicken vor ihm stand, gehüllt in ein aufwendig verziertes schwarzes Kleid aus Spitze und Seide. Es war hochgeschlossen und die langen Ärmel und der untere Teil bestanden aus transparentem Stoff, sodass für eine Beerdigung recht viel Haut zu sehen war.
Hüfteschwingend ging Ophelia Monroe an ihm vorbei und betrat seine Wohnung. Ihre dunkelbraunen Haare trug sie in vornehmen Wellen und auf ihrem Kopf thronte ein imposanter Hut.
Für ihn war sie eine mystische Erscheinung aus einer fremden Welt, die ihn in ihren Bann zog; ihn verführte und in die Dunkelheit führte… Er schüttelte kaum merklich den Kopf, um wieder klar denken zu können. Es ärgerte ihn, dass seine Kollegin ihn ständig aus dem Konzept brachte, zumal sie eine vorlaute und verwöhnte Prinzessin war.
„Du bist spät dran, meine Liebe“, brummte er verstimmt und warf ihr einen strengen Blick zu.
„Na und? Wir haben immer noch genügend Zeit, also mach keinen Aufstand“, entgegnete sie und verdrehte die Augen.
„Das sagst du jedes Mal, verdammt! Ich kann es nicht mehr hören!“ In seinem Tonfall steckte mehr Zorn, als beabsichtigt, aber dies nahm Ophelia nicht wahr oder es störte sie einfach nicht. Schweigend und tief in Gedanken versunken, schlenderte sie durch sein Wohnzimmer. Ihr Blick schweifte dabei unruhig umher, was sie angespannt wirken ließ. Patton behielt sie unauffällig im Auge, da ihm ihr sonderbares und unnormales Verhalten nicht behagte.
„Du solltest eine Krawatte tragen, Massey, das wirkt nobel und kultiviert“, warf sie unvorgesehen in den Raum. Mittlerweile war sie stehen geblieben und musterte ihn aufmerksam.
„Ach ja?“, fragte er desinteressiert und steckte die Hände in die Hosentaschen. Er glaubte, damit sei das Thema beendet, doch seine Kollegin verließ wortlos den Raum, um wenige Augenblicke später mit einer schwarzen Seidenkrawatte in der Hand zurückzukehren. Es war eine der wenigen Krawatten, die er überhaupt besaß.
„Was soll das, Monroe?“
„Ich habe dir eine passende Krawatte rausgesucht, was sonst?“ Die Brünette stellte sich vor ihn, legte wie selbstverständlich die Krawatte um seinen Hals und begann sie akkurat zu einem Windsorknoten zu binden.
„Ich will aber keine Krawatte tragen!“, murrte Patton und fühlte sich wie ein kleiner, bockiger Junge. Diesen Gedanken schien Ophelia mit ihm zu teilen, denn sie grinste spöttisch.
„Halt still, dann ist es auch schnell vorbei.“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus und Respektlosigkeit, was ihn auf die Palme brachte, wie üblich. Seine Kollegin war nun mal der einzige Mensch, der die Fähigkeit besaß ihn in Sekundenschnelle dermaßen wütend zu machen, dass er die Kontrolle verlor und auf der Stelle durchdrehen und jemanden töten könnte.
Aber heute würde er sich nicht von ihrer unverschämten Art reizen lassen. Heute würde er sich zusammenreißen. Patton atmete tief durch und ging nicht auf ihre Provokation ein. Zu seiner Überraschung blieb sein Gegenüber still und machte erneut einen nachdenklichen Eindruck.
Statt sich in weitere Anmaßungen zu verlieren, richtete die brünette Schönheit seine gebundene Krawatte und sah ihn an, intensiv und mit einem Funken Trauer.
Erst in diesem Moment wurde ihm klar, dass der Kummer und Schock, den Williams Tod in ihr ausgelöst hatten, Grund für ihre gedrückte Stimmung waren.
„Es geht dir nahe, Ophelia.“ Seine plötzliche Aussage musste sie wie ein Schlag treffen, denn sie war stets darauf bedacht ihre Emotionen unter Verschluss zu halten und niemandem zu zeigen. Und tatsächlich riss sie ihre großen Augen weit auf und ihre Miene wurde schlagartig zu purem Eis.
„Halt deinen Mund, Massey, und wag es nicht noch einmal mit mir über seinen Tod zu sprechen. Du unterlässt deine Analysen über meinen Gefühlszustand. Du hälst dich aus meinem Kopf raus“, zischte sie aggressiv und hob drohend ihren Zeigefinger. „Und wehe du versuchst mich mit abgegriffenen und hirnlosen Phrasen aufzumuntern oder zu trösten, dann breche ich dir sämtliche Knochen.“
Nach einem letzten eindringlichen Blick machte sie auf dem Absatz kehrt und rauschte erzürnt aus seiner Wohnung. Dem Ex-Soldaten blieb nichts anderes übrig, als sich seine Schlüssel und sein Handy zu schnappen und ihr zu folgen.

Patton Massey hatte Mühe seine Konzentration aufrecht zu erhalten. Je näher sie der Kirche kamen, desto nervöser wurde er. Seine Eingeweide waren ein einziger schwerer Klumpen und seine Hände schwitzten. Er hatte keine Ahnung, was mit ihm los war, denn solche Reaktionen seines Körpers waren ihm bislang fremd. Es ist bestimmt Williams Tod, der mich beeinflusst, mutmaßte er im ersten Augenblick, aber dann schüttelte er sich, um diesen absurden Gedanken zu verscheuchen. Der blonde Killer war kein sentimentaler Mensch, dem das Schicksal seiner Mitmenschen ans Herz ging. Wenn dem so wäre, dann wäre er in seinem Beruf völlig falsch. Was ist es dann? Was ist der Grund, dass ich mich so mies fühle?
Seine Grübelei ging weiter, indes zog seine Mitfahrerin eine Tüte mit Kokain aus ihrer Tasche, die sie unverzüglich öffnete. Vorsichtig schüttete jene einen kleinen Teil des Inhaltes auf das Armaturenbrett und schob es mit dem kleinen Finger der rechten Hand penibel zurecht.
Aus den Augenwinkeln sah der Ex-Soldat dabei zu, wie Ophelia sich nach vorne beugte und die Line schnupfte. Anschließend bereitete sie gleich die zweite Dosis vor.
„Du hast es heute wohl besonders nötig.“ Sie zeigte ihm bloß schweigend den Mittelfinger, bevor sie auch diese Portion durch ihre Nase verschwinden ließ. Für eine zierliche Person vertrug sie einiges. Der Ex-Soldat hatte schon mehrfach dabei zugesehen, wie Ophelia ihrem Körper Substanzen zuführte, die sie zerstörten; die ihren Tribut zollten. Dieser Tatsache war sie sich gewiss, keine Frage. Sie war beängstigend und besorgniserregend gebildet und wusste sicherlich über jede einzelne Nebenwirkung und jegliche Risiken Bescheid, die die Menge an Drogen bei ihr anrichteten. Statt jedoch die Finger davon zu lassen oder die Dosen zu verringern, überstieg sie ihr Limit bei Weitem, jedes Mal. Es schien beinahe so, als wolle sich seine junge Kollegin Stück für Stück töten; jeden Tag ein bisschen mehr, um ihr Inneres zu betäuben und die Gedanken an ihre Vergangenheit auszulöschen, bis ihr Ende gekommen war.
„Dafür, dass du meinen Wagen versaust, kannst du mir ruhig etwas abgeben.“
„Vergiss es! Heute brauche ich selbst alles, was ich kriegen kann.“ Nach Ophelias Ansage in seiner Wohnung verkniff er sich einen Kommentar. Er entschied sich kein weiteres Wort mehr an die Brünette zu richten. Daher verlief der Rest der Fahrt in eisigem Schweigen, da auch Ophelia nicht den Drang verspürte eine Unterhaltung mit ihm zu führen. Geistesabwesend hielt sie ihre Augen strikt auf die Straße gerichtet und wirkte dabei ganz weit weg.
Nach einer knappen halben Stunde fuhr Patton langsam auf den Parkplatz neben der großen Kirche. Erst, als er den Motor ausschaltete und sich abschnallte, erwachte die Brünette wieder zum Leben. Ihr Kopf drehte sich, wie in Zeitlupe, in seine Richtung. Aus der Puppe wurde ein Mensch. Ein Mensch mit einem Anflug eines atemberaubenden Lächelns auf den Lippen. Zu seinem Erstaunen beugte sie sich wortlos vor und schenkte ihm einen heißen Kuss, den er ohne zu zögern erwiderte. Roh umfasste der Killer ihre schmale Taille und zog sie in seine kräftigen Arme.
Minutenlang spielten und reizten sich ihre Zungen. Ophelias drängende Leidenschaft zeigte ihm, wie ausgehungert sie war und wie lange sie sich bereits nach Nähe lechzte. Patton genoss ihr Bedürfnis nach Berührung und küsste sie unter ihr linkes Ohr. Sie ließ sich zu einem heiseren Kichern hinreißen, das sein Herz zum Rasen brachte.
„Diesen Kuss habe ich jetzt gebraucht“, seufzte sie erleichtert, als falle ihr eine tonnenschwere Last von den Schultern. „Er wird mir durch den Tag helfen.“ Ihr Geständnis weckte ein weiteres Mal seinen Argwohn und ließ ihn über ihren Gemütszustand rätseln. Währenddessen klappte seine Kollegin die Sonnenblende über ihrem Sitz aus und schaute in den kleinen Spiegel. Sekunden verharrte sie in dieser Position, dann zückte sie einen Lippenstift und färbte ihre vollen Lippen in ein dunkles Kirschrot. Anschließend lächelte sie verführerisch und zeigte dabei ihre perfekten Zähne.
Der Ex-Soldat beobachtete jede ihrer Bewegungen, bis sie die Blende hochklappte und ihn flüchtig küsste.
„Wir müssen jetzt rein, Massey, auch, wenn mich der Gedanke, eine Kirche zu betreten, anwidert“, offenbarte sie unverfroren, während sie mit dem linken Daumen ihren Lippenstift von seinen Lippen wischte.
„Ich bin auch kein großer Fan von weihrauchverpesteten, eiskalten Kirchen, in denen man wegen seiner unbereuten Sünden befürchten muss in Flammen aufzugehen und zu Staub zu zerfallen.“
„Wir sind doch keine Vampire oder Dämonen“, lachte sie erheitert über seinen Sarkasmus.
„Killer sind genauso wenig in einem Gotteshaus willkommen, wie Dämonen oder Vampire“, betonte er mit kräftiger Stimme.
„Für uns alle ist das Betreten der Kirche und die bevorstehende Messe kein Vergnügen, aber wir tun das für William.“ Ophelias ernst gewordene Miene und ihr tiefgründiger Blick beendeten die Unterhaltung. Sie öffnete die Beifahrertür und stieg trotz ihres langen Kleides galant aus dem Mustang. Patton tat es ihr gleich und verschloss seinen Wagen, ehe er an ihre Seite trat.
„Es wäre charmant gewesen mir die Tür zu öffnen, Massey.“
„Du kennst mich und weißt, dass ich kein Gentleman bin.“
„Ich kann trotzdem noch auf ein Wunder hoffen, oder?“, fragte sie herausfordernd und zog eine Augenbraue in die Höhe.
Patton war genervt. Heute wechselte ihre Stimmung im Minutentakt, was äußerst anstrengend war. Ihm reichte bereits die Beerdigung seines Bosses, jetzt kam noch seine junge Kollegin dazu, die ihre Emotionen nicht unter Kontrolle hatte und ihn dadurch zusätzlich stresste. Es gab nur ein Mittel, das ihn wieder zu Gelassenheit verhelfen würde: Alkohol. Der Ex-Soldat genehmigte sich daher einen Schluck Bourbon aus seinem Flachmann, den er in der Innenseite seines Jacketts trug.
„Willst du auch was?“, brummte er in Richtung Ophelia, die sich gerade eine Zigarette ansteckte.
„Nein, danke, ich bin mit meinem Nikotin und Kokain durchaus zufrieden.“
„Bleibt mehr für mich“, kommentierte Patton dröge und trank beinahe den gesamten Inhalt des Flachmannes aus. Sie zog indes hektisch an ihrem Glimmstängel und hüllte sich in aschgrauen Qualm. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie die Nervosität sie langsam, aber sicher, übermannte und sie dies mit allen Mitteln zu verhindern versuchte.
„Bist du fertig? Können wir gehen?“, setzte er die Brünette absichtlich unter Druck, um ihr ihre ätzenden Gefühlsschwankungen heimzuzahlen.
„Ich bin soweit, Massey“, fauchte sie zurück, ehe sie die Zigarette auf das Kopfsteinpflaster warf und mit ihrem rechten Fuß zertrat. Anschließend warf sie sich das glänzende Haar über die Schultern und stieg die Stufen zur Kirche hinauf. Auch er trat den Weg hinein an, wobei er den Drang, einfach umzudrehen und zu verschwinden, unterdrücken musste.
Patton Massey betrat mit leicht gesenktem Haupt und einem mulmigen Gefühl die große, zugige Kirche, die bereits voll besetzt war mit zahlreichen Trauergästen.
Angeregtes Geflüster und Orgelklänge drangen an seine Ohren, der intensive, unverwechselbare Duft von Weihrauch kroch in seine Nasenhöhlen und machte ihn schwummrig. Angeekelt verzog er das Gesicht; am Liebsten hätte er sich an Ort und Stelle übergeben.
Während er mit seiner Übelkeit und massiven Kopfschmerzen kämpfte, bemerkte er nicht, dass er herumtrödelte, doch daran erinnerte ihn Ophelia, indem sie ihn unsanft am rechten Unterarm packte und hinter sich durch den Mittelgang herzog. Zielstrebig schritt sie zur vordersten Reihe auf der linken Seite, wo bereits die übrigen Killer ihre Plätze eingenommen hatten und auf den Beginn der Trauerfeier warteten.
Ganz außen hockte eine leichenblasse Emilia in einem knielangen und hochgeschlossenen Spitzenkleid mit dazu passenden Handschuhen und einem Haarschmuck mit Netz, das sich über ihre Stirn- und Augenpartie legte. Apathisch stierte sie nach vorne, ohne etwas zu fokussieren, und kaute dabei auf ihrer Unterlippe herum.
Dann wanderten seine arktischen Augen zu seinen männlichen Kollegen, die, wie er, einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und vereinzelt eine schwarze Krawatte trugen. Da sie mit Jericho die Sargträger bildeten, hatten sie sich vornherein auf ein einheitliches Aussehen geeinigt. Allesamt sahen sie herausgeputzt und ordentlich aus, selbst Navarro Henstridge hatte seine wilde, dunkle Mähne zu einer ansehnlichen und edlen Frisur gebändigt…
Seine Aufmerksamkeit wurde wieder auf Ophelia gelenkt, als jene ihm mit einer bestimmenden Geste bedeutete sich zu setzen. Nur widerwillig folgte er ihrer Aufforderung und pflanzte sich auf die harte, unbequeme Holzbank, die wenig einladend war auf ihr die nächste Stunde zu verbringen.
„Hör auf mit dem Scheiß, Monroe“, zischte er ihr bösartig ins Ohr, nachdem sie sich neben ihm niedergelassen hatte.
„Ich weiß nicht, wovon du redest“, antwortete sie kurz angebunden, ohne ihn anzusehen.
„Dass du mir Vorschriften machst, seitdem wir aus dem Auto gestiegen sind.“ Sie schnaubte.
„Weißt du was? Ich habe jetzt absolut keine Nerven für deine Machoallüren, also halt dein verdammtes Maul“, wich Ophelia ihm aufgebracht und mit hochroten Wangen aus.
Der Ex-Soldat öffnete bereits seinen Mund, als seine, vom Alkohol, glasigen Augen den Pfarrer erspähten, der ans Pult trat, um die Trauerfeier zu beginnen. Augenblicklich verschloss er seine Lippen und konzentrierte sich auf den alternden Mann, der seine Brille auf der Nase richtete. Auf einen Schlag brach Stille über den Anwesenden herein. Es war eine Totenstille, die lauter, dröhnender und erdrückender wurde. Er kam in Versuchung die Hände gegen seine Ohren zu pressen, doch er ließ es. Vielleicht, weil es ihm in einer Kirche pietätlos vorkam.
Patton Massey musste bei diesem Gedanken schmunzeln. Schon komisch, dass er, ein Frauen verachtender, sadistischer und gewalttätiger Auftragskiller tatsächlich Skrupel verspürte und daran dachte, wie man sich in einem Gotteshaus zu benehmen hatte. In ihm schien womöglich mehr Anstand vorhanden zu sein, als von ihm selbst erwartet…

Die stupiden, unpersönlichen Worte des Pfarrers schwappten über sie hinweg, wie kleine, nichtige Wellen. Aus diesem Grund achtete Ophelia Monroe nicht weiter auf den Mann, der keine Ahnung davon hatte, was für ein Mensch William Cunningham gewesen war, sondern starrte auf den reichlich mit Blumen geschmückten, prächtigen Sarg. Der Gedanke daran, dass er darin lag, betrübte sie und machte sie fast wütend.
Das ist kein gebührendes Ende für ein so einzigartiges Leben, wie deines, William. Eine verschönerte Holzkiste soll von nun an deine Ruhestätte sein, dass ist wirklich grotesk, fast schon lächerlich. Du hast etwas anderes verdient; etwas Besseres…
Ein leises Glucksen neben ihr lenkte sie ab. Zornig wandte sie ihren Kopf zu dem Verursacher. Es war Patton Massey, der ein dämliches Dauerschmunzeln aufgesetzt hatte, als habe es ihm jemand ins Gesicht geklebt. Unauffällig, aber hart, schlug sie auf seinen linken Oberschenkel und strafte ihn mit einem warnenden Blick, als er zu ihr herübersah.
Was ist?, schien sein empörter Gesichtsausdruck sie fragen zu wollen. Sie legte bloß ihren rechten Zeigefinger an die Lippen, um ihm zu bedeuten, dass er sich ruhig verhalten sollte. Seine Reaktion war ein spöttisches Grinsen, das sie ihm am Liebsten aus dem Gesicht gehauen hätte, aber sie atmete tief durch und riss sich zusammen.
Siehst du, was ich für dich tue, William? Ich ertrage Masseys rüpelhaftes Verhalten und du weißt selbst, wie Nerven strapazierend und ärgerlich dies sein kann. Aus den Augenwinkeln betrachtete sie ihren blonden, hochgewachsenen Kollegen, der mittlerweile dazu übergegangen war, fleißig seinen Flachmann zu leeren. Also, mal ganz unter uns, William, was hat dich damals geritten, dass du Patton eingestellt hast? Warst du zugedröhnt und deshalb nicht zurechnungsfähig oder hast du dich von seiner jahrelangen Erfahrung beim Militär blenden lassen? Wie ich dich kenne, war sein beruflicher Werdegang der Grund. Wahrscheinlich hast du schon die Unmengen von Dollar vor dir gesehen und konntest nicht widerstehen. Nun ja, ich verurteile dich nicht dafür, denn ich kann verstehen, dass er einiges an Qualitäten für unseren Beruf von Anfang an mitgebracht hat. Du musstest nicht mehr viel Zeit und Arbeit in ihn investieren, wie in mich. Ihn konntest du sofort und bedenkenlos zum Töten losschicken.
In seinem Fall war deine Geldgier jedoch größer, als dein Verstand, denn das Geld, was er dir eingebracht hat, kann seine fehlende Intelligenz und unberechenbare Impulsivität nicht aufwiegen. Patton Massey war und ist ein unkontrollierbarer Risikofaktor, der verdammt gefährlich ist…
Die Rede des Pfarrers schien zu Ende zu sein, denn nun trat Jericho an seine Stelle: überheblich und mit einem schmierigen, unterschwelligen Grinsen auf den schwulstigen Lippen.
Super, noch so ein männliches Exemplar mangelnder Fähigkeiten und lächerlicher Selbstüberschätzung. Wie er sich aufführt! Kaum zu glauben, dass dieser Idiot deinen Platz einnehmen wird, William.
Jericho räusperte sich übertrieben lange und wartete, bis er auch die Aufmerksamkeit des letzten Gastes inne hatte, bevor er zu seiner Ansprache ansetzte.
„Dass ich heute hier vor Ihnen stehe und etwas über den verstorbenen William Cunningham sage, ist immer noch unwirklich. Sein plötzlicher Tod ist ein harter Schlag und großer Verlust für uns alle“, sagte er in einem trauernden Tonfall, bei dem man ihm beinahe seine Anteilnahme abkaufte. „Dieser starke und außergewöhnliche Mann ist uns viel zu früh genommen worden. So, wie seine geliebte Frau Grace, dessen Tod er niemals überwunden hat. Jetzt fängt er auch noch mit deiner toten Ehefrau an. Jericho bedient sich jeglicher Tricks, um bei den Anwesenden auf die Tränendrüsen zu drücken…
„Seit vielen Jahren verbindet uns eine tiefe Freundschaft, die ich nicht missen möchte. In schweren Zeiten hast du an meiner Seite gestanden und mich unterstützt. Du bist da gewesen, wenn niemand anderes da war.“ Es reicht, Jericho! Kein Mensch hat Mitleid mit dir. Niemand glaubt dir diese kitschig, rührende Geschichte.
„William“, er legte eine theatralische Pause ein. „Mein Chef, mein Kollege, mein Freund. Ruhe in Frieden.“ Ein letztes Mal blickte er der Menschenmenge entgegen, bevor er sich abwandte. Selbstgefälligkeit und Stolz trieften aus jeder Pore seiner Körpers, als er sich zurück auf seinen Platz begab.
Zorn schwellte in ihr hoch, den die junge Killerin jedoch schnell unterbinden musste, da sie bald selbst an der Reihe sein würde und dafür benötigte sie einen klaren Kopf. Sie hatte sich vor der Beerdigung dazu entschieden, ebenfalls etwas über William Cunningham zu sagen, auch wenn es nur wenige Worte sein würden.
Der Pfarrer bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie sie nun aufstehen und hervortreten sollte. Sie erwiderte mit einem Kopfnicken, erhob sich und richtete flüchtig ihr Alexander McQueen-Kleid.
Anschließend schob sie sich an den Knien von Patton Massey vorbei und stieg die zwei Stufen zum Altar hinauf. Hinter ihr war es die ganze Zeit über beunruhigend still, so, als sei sie der einzige Mensch in dieser Kirche. Erst, als sie sich umdrehte, offenbarte sich die Existenz der vielen Trauergäste, deren Augen auf sie gerichtet waren und sich gnadenlos durch ihren Leib bohrten. Ophelia Monroe sammelte sich, um ja auch die richtige und angemessene Wortwahl zu treffen.
„William Cunningham.“ Als sie seinen Namen aussprach, setzte sie ein schiefes Lächeln auf und fixierte gedankenverloren seinen Sarg. Sekunden verharrte sie in dieser Position, bis sie sich wieder an die übrigen Gäste wandte.
„Du warst ein unvergleichlicher Mann, zu gleichen Teilen intelligent, attraktiv und geistreich. Ein Mann mit Stolz, Erfahrung und Macht. Ein Mann, zu dem man aufsieht.“ Ophelia sprach mit einer lauten, kraftvollen Stimme, die über die Kirchenbänke bebte.
„Dass du so früh von uns gegangen bist, bedauere ich zutiefst, denn Jemandem, wie dir, bin ich noch nie zuvor begegnet. Kein Anderer hat so viel für mich getan. Du hast mich gerettet, du hast mich befreit und dafür werden mein Dank und Respekt immer dir gehören.“ Die Killerin beschloss, dass sie ihrer Anerkennung gegenüber William genüge getan hatte. Daher trat sie zurück und ging ein letztes Mal zu seinem Sarg. Dort beugte sie sich vor und küsste sanft das glatte Holz.
„Der ist für dich, William. Er soll dich auf deinem Weg begleiten.“

Er konnte nur sie ansehen. Sie, die gerade ihre wunderschönen Lippen auf seinen Sarg presste, um sich auf ihre Art von ihrem Boss zu verabschieden. Ihr Anblick tröstete ihn und verringerte seinen Schmerz, der ihn zu überwältigen drohte.
James Matthew Roddick überfiel der unwiderstehliche Drang sie zu küssen. Er wollte sie berühren, ihren Atem und ihre Wärme auf seiner Haut spüren. Er brauchte Ophelia Monroe, denn sie würde ihn retten, sie würde ihn heilen.
Seine grauen Augen folgten ihr starr und sehnsüchtig, als sie sich mit einer fließenden Bewegung vom Sarg entfernte und neben Patton Massey Platz nahm. Ihre Ansprache war kurz gewesen, doch sie hatte ihrer ehrlichen Dankbarkeit Ausdruck verliehen und William die Ehre erwiesen, die er verdiente.
Hoffentlich schaffe ich das auch, dachte er, spürte dabei jedoch seine wachsenden Selbstzweifel. Als er sich dann noch die hohe Zahl an Anwesenden vor Augen führte, vor der er gleich eine Rede halten würde, wurde er panisch. Sie alle erwarteten viel von ihm, schließlich war er Williams Adoptivsohn. Seine Worte mussten stark und ehrenvoll sein; sie mussten Eindruck machen. Diese Aufgabe erschien ihm für einen Sechszehnjährigen unmöglich, aber er konnte sich nicht davor drücken. Noch schlimmer, als eine verbockte Trauerrede, war eine nicht gehaltene Trauerrede.
„Mr. Roddick.“ Ein dumpfes Flüstern schreckte ihn auf. Der klapprige Pfarrer stand vor ihm und belegte ihn mit einem weisen, altklugen Blick.
„Es ist Zeit.“ James´ Pulsschlag erhöhte sich und ihm wurde speiübel. Da war er, der Moment, den er liebend gerne übersprungen hätte.
„Ich…ich bin soweit“, brachte er mühsam hervor und bekam von Emilia McDermott, die zu seiner Linken saß, einen sorgenvollen Blick zugeworfen, der ihm wenig Mut einflösste und seine Nervosität nur noch steigerte.
„Dann kommen Sie.“ Der Pfarrer lächelte aufmunternd, was wie ein Schatten an James vorüber zog. Mit leerem, unbrauchbarem Kopf stand er auf. Seine wackeligen, gummiartigen Beine trugen ihn automatisiert ans Pult. Dort befeuchtete er zunächst seine staubtrockenen Lippen, ehe er, leichter, als gedacht, zu seiner Rede ansetzte.
„Zu allererst möchte ich Ihnen dafür danken, dass sie so zahlreich erschienen sind, um William die letzte Ehre erweisen.“ Er machte eine kurze Pause, um den störenden Kloß herunterzuschlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte.
„Wenn ich die gefüllten Reihen sehe, dann wird mir erst wirklich bewusst, wie viele Freunde und Bekannte er sein Eigen nennen durfte. Ich bin sicher, dass er stolz und gerührt wäre, wenn er sähe, wie viele Tränen um ihn geweint werden.“ James nahm einen tiefen Atemzug und schloss für einen Moment die Augen. Jetzt kam der schwierige Teil für ihn. Jetzt ging es um seine Emotionen.
„Ich selbst weiß nicht, wie ich es schaffe, nicht zusammenzubrechen und aufzugeben. Aber vielleicht tue ich es für meinen Adoptivvater, der mir Stärke und Kontrolle beigebracht hat. Dies ist wohl der letzte Gefallen, den ich ihm tun kann, als eine Art Abschiedsgeschenk.“ James kämpfte mit den Tränen und sich selbst. Du zeigst keine Schwäche, verstanden? William würde es dir nicht verzeihen, wenn du auf seiner Beerdigung rumheulst. Reiß dich endlich zusammen!
„William war ein guter und selbstloser Mann. Er und Grace, die ich ebenfalls sehr vermisse, haben mich adoptiert. Sie haben mir ein Zuhause gegeben, eine Familie und eine Zukunft. Die Beiden haben mich geliebt wie ihren eigenen Sohn. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr es mich schmerzt, erneut meine Eltern zu verlieren und allein zu sein.“ Seine Augen wurden feucht.
Habe ich nicht gesagt, dass du nicht weinen sollst?! Soll dich William tatsächlich so sehen? Willst du dich vor seinen Geschäftspartnern und Freunden als Schwächling zeigen?
„William war mein Halt, mein Mentor, mein Vorbild“, sprach er mit lauter, fester Stimme, um seine innere Trauer zu überwinden und die drohenden Tränen im Zaum zu halten.
„Ich werde ihn niemals vergessen.“
 
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