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13 Seiten

Mortal Sin Herbst 2006- The Trojan Horse

Romane/Serien · Spannendes
© JoHo24
An Zorn festzuhalten ist wie Gift trinken und zu erwarten, dass der Andere stirbt.
- Konfuzius


Die ausgelassene Atmosphäre hüllte sie ein und nahm von ihr Besitz. Sie spürte die Partylust und Freude der Menschen um sich herum, die sie begierig aufsog. Sie genoss die außergewöhnliche Magie des Clubs in vollen Zügen und ließ sich von dessen Interieur verzaubern.
Denn das Golden Empire bestach durch seine opulente Ausstattung und Dekoration, die an die 1920er Jahre erinnerten. Kaum übertrat man die Schwelle, fühlte man sich weit in die Vergangenheit zurückversetzt; in eine Zeit, die glanzvoll und prächtig gewesen war.
Emilia Sophia McDermott erlaubte sich jedoch nicht allzu lange den Luxus in Tagträume zu verfallen, immerhin hatte sie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen und darauf lag ihr Fokus. Daher schloss sie für einen kurzen Moment die Augen um sich wieder zu sammeln, ehe sie ihren Blick nach oben richtete.
Auf der ausladenden Empore befanden sich die Privaträume des Clubs, in denen sich die reichen Partygäste vor neugierigen Blicken schützten. Und genau in einem dieser Räume befand sich gerade Walker McIntyre mit einigen seiner Männer.
Mit ihren strahlend blauen Augen scannte sie die obere Etage, auf der sie einzelne Personen entdeckte. Gehörten welche von ihnen möglicherweise zu McIntyre? Behielten sie den Großraum des Clubs im Auge, weil sie ahnten, dass heute Abend ein Angriff auf ihren Boss geplant war?
Augenblicklich schüttelte die Blondine ihren Kopf um diesen absurden Gedanken zu vertreiben. Keiner seiner Mitarbeiter konnte unmöglich ahnen, dass zwei Auftragskiller anwesend waren um ihren Boss zu töten. Dennoch war sie sich sehr sicher, dass seine Männer seit den Angriffen durch William Cunningham besonders aufmerksam waren. Das hieß für sie vorsichtig sein und einen kühlen Kopf bewahren und zwar nicht nur für sich, sondern auch für James Roddick.
Ihr Blick schweifte automatisch zu dem Dunkelhaarigen, welcher sich in der Nähe der Bar herumtrieb und einen schicken schwarzen Anzug trug. Zum ersten Mal arbeitete sie mit ihm zusammen, was ihr mächtig Bauchschmerzen bereitete. Emilia hatte die Verantwortung für einen 15-jährigen Auftragskiller, was an sich schon grotesk war. Hinzu kam allerdings noch die Tatsache, dass er Williams Sohn war. Der Auftrag durfte also auf keinen Fall schief gehen. Versagen war keine Option.
Leicht nervös biss sie sich auf die Unterlippe, als sie James genauer betrachtete. Er war noch verdammt jung und sie wusste fast gar nichts über ihn. William hatte sich ihr gegenüber bedeckt gehalten was seinen Sohn betraf. Dadurch konnte sie ihn kaum einschätzen, sowohl als Mensch als auch als Kollege. Dass er bereits Menschen getötet hatte, war eine der wenigen Informationen die sie hatte. Sie konnte es nicht verhindern, dass sie ihn wehmütig und mitleidig ansah. Mein Gott, in was für einer Welt wurde er erwachsen! Ihm war ein normales Leben nicht vergönnt. Ein Leben das geprägt war von Unbeschwertheit und Hoffnung und nicht von Gewalt, Schmerz und Tod.
Am liebsten hätte Emilia ihn gerettet. Am liebsten würde sie ihm vor dem Schicksal bewahren, das sie selbst lebte und an dem sie jeden Tag ein kleines bisschen mehr zerbrach. Aber diese Macht besaß sie nicht. William hatte die letzten drei Jahre einen enormen Einfluss auf James ausgeübt und ihn akribisch auf sein Leben als Killer vorbereitet. Er hatte den Verstand und das Herz seines Sohnes verseucht und sich zu eigen gemacht…
Noch ganz versunken in ihren Gedanken über James Roddick, kam dieser zielstrebig und geradewegs auf sie zu. Das brachte Emilia dazu sich wieder auf das Hier und Jetzt zu fokussieren.
„Wann schlagen wir zu, McDermott?“, fragte er sie direkt heraus als er bei ihr ankam. Er war ungeduldig und ungestüm, was sie bei ihrem Auftrag überhaupt nicht gebrauchen konnten.
„Wir haben einen Plan und an den werden wir uns halten“, zügelte sie ihn harscher als beabsichtigt. Aber vielleicht wollte sie ihm unterbewusst deutlich machen, dass sie das Sagen hatte und nicht er. William hatte immerhin ihr die Führung übergeben und diese würde sie sich nicht streitig machen lassen.
„Ich kenne den Plan und der sieht nicht vor, dass wir unsere Zeit vergeuden“, raunte er verärgert. Dafür, dass er noch ein Anfänger in ihrem Metier war und er heute auf ihr Kommando zu hören hatte, war er ziemlich unverschämt und vorlaut. Er trat ihr mit Respektlosigkeit entgegen und warum? Weil sie eine Frau war? Oder weil er glaubte über sie erhaben zu sein, weil er Williams Sohn war?
Die Blondine verengte die Augen zu Schlitzen und war im Begriff ihm eine giftige Antwort zu geben, doch sie überlegte es sich im letzten Moment anders. Sie hielt sich erneut vor Augen unter welchen Umständen er aufwuchs und wie schwer er es haben musste. Also verzieh sie ihm sein ungehöriges Verhalten und versuchte ihren Tonfall bei ihren nächsten Worten weit weniger bissig klingen zu lassen.
„Ich vergeude keine Zeit. Ich behalte die Umgebung und mögliche Gefahrenquellen im Auge. Bei der Menge an Männern, die McIntyre höchstwahrscheinlich begleiten und heute für seinen Schutz sorgen, ist das auch verdammt nötig. Dieser Abend endet in einer Katastrophe, wenn wir zu schnell und unüberlegt agieren.“ Emilia McDermott erklärte ihm sachlich und professionell die Situation, damit er verstand um was es hier ging. Sie setzten ihr Leben aufs Spiel. Jeder Fehler; jede Nachlässigkeit konnte den Tod für sie bedeuten und das sollte ihm klar sein.
Und ihre Worte schienen ihre Wirkung bei ihm nicht zu verfehlen. Mit einer nachdenklichen Miene stand er vor ihr und stierte sie durchdringend an. Emilias Glieder versteiften sich unter seinem Blick, denn das Grau seiner Augen war kalt und hart wie Stahl. James Roddick war trotz seines jungen Alters in der Lage ihr einen Schauer über den Rücken zu jagen und ihre Kehle staubtrocken werden zu lassen. Mein Gott was für eine düstere und furchteinflößende Aura ihn umgab!
„Ich denke du hast recht“, gab er trocken zu. „Deshalb werde ich auf das hören was du mir sagst, McDermott.“ Sein plötzlicher Sinneswandel machte sie skeptisch und auch etwas misstrauisch. Deshalb war sie im ersten Moment sprachlos und entgegnete bloß seinen Blick, dem sie kaum standhalten konnte. Emilia schluckte den Kloß der sich in ihrem Hals gebildet hatte herunter, ehe sie sich imstande sah mit ihm zu sprechen.
„Gib mir noch eine Stunde, um die für den Auftrag wichtigen Abläufe der Kellner zu überprüfen.“
„Aber Jericho hat sich doch bereits die vergangenen fünf Tage damit beschäftigt und uns detailliert darüber aufgeklärt. Wir kennen die Abläufe, McDermott“, kam es genervt über seine Lippen, ehe er die Augen rollte. „Warum willst du das jetzt noch mal durchkauen?“ So viel zu seinem Versprechen, dass er auf sie hören würde. James hatte kein Vertrauen zu ihr und ihrem Vorgehen. Und dies würde sich auch sobald nicht ändern, denn er traute Emilia und ihren Fähigkeiten nicht.
„Ich gebe dir einen guten Rat, den du zukünftig beherzigen solltest: Überprüfe die Informationen, die du von deinen Kollegen erhältst. Darauf ist nämlich nicht immer Verlass“, teilte sie mit ihm Erfahrungen, die sie in den letzten Jahren reichlich gesammelt hatte.
„Ich will mir deshalb selbst einen Blick von der hiesigen Lage machen, bevor wir loslegen. Ich will auf alles vorbereitet sein.“
„Okay, dass kann ich durchaus nachvollziehen, aber warum brauchst du dazu eine ganze Stunde?“ Seine Ungeduld und ständigen Nachfragen gingen ihr langsam auf die Nerven und störten sie bei der Verrichtung ihrer Arbeit.
„Es zählt nicht die Schnelligkeit mit der man vorgeht, sondern die Qualität und unsere Sicherheit. Und um dies zu gewährleisten, benötige ich Zeit. Wir treffen uns also in genau einer Stunde wieder hier.“ Die Killerin sprach mit Strenge und Nachdruck, damit er nicht auf den Gedanken kam ihr zu widersprechen oder eine weitere Frage zu stellen. In seinen Augen erkannte sie seinen aufkommenden Unmut und Widerstand, aber zu ihrer Erleichterung behielt er es beim Schweigen und nickte ihr bloß kurz zu.
Für Emilia war dies das Zeichen ihre Observation des Clubs fortzuführen und den Auftrag voranzutreiben. Nach einem letzten Blick auf James kehrte sie ihm den Rücken und verschmolz mit der Masse.

Wie besprochen wartete er am vereinbarten Treffpunkt auf seine Kollegin Emilia McDermott, die er allerdings nicht entdecken konnte. Gereizt verschränkte er die Arme vor der Brust und scannte akribisch den Großraum des Clubs, um sie zu finden. Wo zur Hölle war sie?
Er war wütend, weil sie sich unbedingt eine Stunde Zeit hatte nehmen wollen und nun war ausgerechnet sie unpünktlich.
James Roddicks Wut verrauchte jedoch recht schnell, als ihm die Möglichkeit in den Sinn kam, dass etwas schief gelaufen war. War Emilia aufgeflogen? Hatten McIntyres Männer sie geschnappt? Benötigte sie eventuell seine Hilfe?
Bevor er drohte in Panik zu verfallen, gab es Entwarnung, denn er entdeckte endlich die Killerin.
Sie befand sich mitten auf der Tanzfläche und drehte sich immer wieder langsam um die eigene Achse, während goldenes Konfetti von der Decke auf sie und die anderen Gäste herunterregnete. Dazu hatte sie die Arme seitlich ausgestreckt und versuchte mit ihren Händen die Konfettistreifen einzufangen.
Der Tüllrock ihres Kleides umspielte ihre Knie, sowie das lange blonde Haar ihr zartes Gesicht. Seine Kollegin sah so unbeschwert, bezaubernd und unschuldig aus; fast einem Märchen entsprungen in dem es ein Happy End gab. Doch das hier war kein Märchen sondern die knallharte und grausame Realität.
Und vielleicht wollte sie genau dieser Realität entfliehen, in die sie nicht recht passen wollte. Sie schien wie ein Fremdkörper in Williams Welt. Sie schien so ganz anders zu sein als die übrigen Killer, die für seinen Adoptivvater tätig waren. Daher betrachtete er sie voller Interesse und Neugier als sei sie ein fremdes Wesen, von dessen Existenz er bis dato keine Ahnung gehabt hatte. James konnte es sich nicht erklären, aber auf irgendeine Weise faszinierte sie ihn. Möglicherweise lag es an dem unterschwelligen Selbsthass, den sie permanent ausstrahlte und nicht verbergen konnte. Zumindest nicht vor ihm, auch wenn sie sich bemühte die abgeklärte und starke Auftragskillerin herauszukehren, die genau wusste was sie tat.
Er wollte dieser Tatsache auf den Grund gehen; wollte herausfinden, was wirklich hinter ihrer künstlichen Fassade steckte.
Langsamen Schrittes und den Blick unentwegt auf sie geheftet, näherte er sich seiner Kollegin die ihn nicht kommen sah. Dementsprechend erschrak sie, als sie ihn direkt hinter sich bemerkte. Blitzschnell wirbelte sie herum und schaute ihn aus großen Augen an. Das Blau strahlte ihm kraftvoll entgegen, aber es beinhalte zugleich eine Spur Traurigkeit und Anspannung.
„Was machst du hier, McDermott? Wir waren schließlich woanders verabredet“, konnte er es nicht lassen sie zu triezen und auf ihren Fehler hinzuweisen.
„Es…es tut mir leid. Ich habe die Zeit vergessen, als ich…“
„Als du getanzt hast“, vollendete der junge Auftragskiller einfach ihren Satz und schmunzelte keck.
„Genau“, entgegnete sie peinlich berührt. Passend dazu färbten sich ihre Wangen zartrosa, was seinen Eindruck über sie nur noch unterstrich. James hatte in diesem Moment den unwiderruflichen Drang sie in die Arme zu schließen, doch er ließ es und kam dagegen auf eine andere Idee.
„Wie wäre es mit einem richtigen Tanz, McDermott?“, fragte er seine Kollegin höflich, die sichtlich irritiert war.
„Lass mich sicher gehen, dass ich dich richtig verstehe: Du willst mit mir tanzen.“, reagierte sie dementsprechend ungläubig auf seinen Vorschlag. „Haben wir nicht eigentlich einen Auftrag zu erledigen, dessen schnelle Durchführung das allerhöchste Ziel ist?“ Ihr spitzer Tonfall war nicht zu überhören, sowie ihre Anspielung auf sein intensives Drängen zu Beginn des Abends, den Auftrag so schnell wie möglich durchzuziehen.
„Für den Auftrag ist noch Zeit“, meinte er gelassen.“ Und ich denke fünf Minuten werden keinen Unterschied machen. Also…“
James bot ihr seine rechte Hand an, die sie nach einem skeptischen Blick nur sehr zögerlich ergriff. Sie war nervös, dies verriet ihm ihre feuchte Handfläche und das leichte Zittern ihrer Knie, als er den rechten Arm um ihre schmale Taille schlang und sie an seinen Körper presste. Dann begannen sie passend zum Rhythmus der Musik unter dem goldenen Konfettiregen zu tanzen und wurden zu einer Einheit, die sich galant über die Tanzfläche bewegte.
Ein süßer Vanilleduft stieg ihm dabei in die Nase, den die weiche Haut seine Kollegin verströmte und er genoss. Ihr Geruch und ihre Nähe gaben ihm ein wohliges Gefühl; ein Gefühl von Vertrauen und Verbundenheit.
Für ihn war dies jedoch beruhigend und beängstigend zugleich. Denn eine Frau, die er kaum kannte, löste in ihm Emotionen aus, die nach einer langen Zeit bisher nur eine Person in ihm hatte wecken können: Ophelia Monroe, die Frau die er liebte. Beim Gedanken an sie begann umgehend sein Herz zu rasen und der quälende Schmerz der Sehnsucht machte sich in seinem Brustkorb breit. James hatte sie seit Wochen weder gesehen noch getroffen, woran William die Schuld trug. Seit er vor ein paar Monaten hinter die Beziehung zwischen ihnen gekommen war, hielt er ihn so gut es ging von der bildschönen Killerin fern. Und so hatte es bloß seltene Gelegenheiten gegeben ihr nah zu sei.
„Roddick?“ Brutal wurde er von einer Sekunde auf die andere von Emilias Stimme aus seinen Gedanken gerissen und in die aktuelle Situation zurückgebracht.
„Was?“, zischte er dementsprechend scharf, was sie vor den Kopf stieß und dazu brachte sich blitzschnell aus seinem Griff zu winden.
„Ich wollte bloß wissen ob alles in Ordnung ist. Kein Grund zur Aufregung“, rechtfertigte sich seine Kollegin und trat einen Schritt zurück. Sie war aufgebracht, denn er konnte deutlich die Wut spüren die ihm entgegenschlug.
„Weißt du was, Roddick? Dieser Tanz war eine beschissene Idee.“ Ihre Ausstrahlung und Wirkung auf ihn veränderten sich auf extremste Weise. Vor wenigen Augenblicken hatte er sie noch mit einer zauberhaften Märchenfigur verglichen. Jetzt ähnelte sie eher der Auftragskillerin, an der er zuvor gezweifelt hatte. Nun erkannte James das, was sein Adoptivvater damals in ihr gesehen und ihn dazu veranlasst haben muss ihr ein Jobangebot zu machen.
„Wir sollten uns lieber an die Arbeit machen“, raunte sie zickig und wirbelte hektisch herum. Sie war im Begriff zu gehen, aber er packte sie instinktiv am rechten Unterarm und zog sie rabiat zurück.
„HEY!“, brüllte Emilia wild geworden und verpasste ihm eine saftige Ohrfeige. Im ersten Moment war er völlig perplex, doch er sammelte sich recht schnell, fasste sie an den Oberarmen und kam mit seinem Gesicht ihrem so nahe, dass er ihren Atem spüren und jeden einzelnen Goldpartikel sehen konnte, den sie als Verfeinerung ihres Make ups um die blauen Augen geklebt hatte.
„Fahr runter, McDermott, und sei gefälligst leiser oder willst du McIntyres Männer auf den Plan rufen, huh? Willst du, dass sie auf uns aufmerksam werden?“ James schüttelte sie kurz aber heftig durch, damit sie zur Besinnung kam.
„Nein, das will ich nicht“, gab sie atemlos zur Antwort, als er von ihr abließ. In ihren Augenwinkeln standen plötzlich Tränen, die sie mit aller Macht zurückhielt.
„Ich will…ich will…“ Emilia suchte verzweifelt nach den richtigen Worten, doch sie fand sie nicht. Hilflos suchte sie seinen Blick, was er kaum ertrug. Die Schwere, die sie in ihm entfachte, lastete auf seinen Schultern und schnürte ihm die Kehle zu. Mein Gott, was machte diese Frau mit ihm? Wieso hatte sie die Macht ihn emotional dermaßen zu beeinflussen und durcheinanderzubringen?
James war gerade noch mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt, da kam erneut seine blonde Kollegin mit ihren Problemen um die Ecke und zog ihn mit hinein in ihren Sumpf aus Depression und Verzweiflung.
„Ich will nicht hier sein, Roddick. Ich will nicht töten. Ich will nicht…“
„Halt deinen Mund, McDermott“, unterbrach er sie roh mit eiskalter Stimme, denn ihm reichte es endgültig. „Weißt du was ich will, huh? Ich will mir deinen Scheiß nicht weiter anhören, verstanden?“ Entgeistert glotzte sie ihn an als habe er den Verstand verloren, dabei war sie es die hier unentwegt Schwachsinn redete.
„Du bist eine Auftragskillerin, also reiß dich zusammen und mach deinen verdammten Job“, erinnerte er sie an den Grund, warum sie im Golden Empire waren. „Komm mir nicht mit irgendeinem sentimentalen Scheiß. Komm mir nicht mit Gewissensbissen und einer Sinnkrise, klar? Ich brauche dich als professionelle Killerin. Ich brauche dich als Kollegin. Und ich brauche dich, um das hier durchzuziehen.“ Eindringlich und intensiv hatte er auf sie eingeredet damit sie verstand, dass sie gerade dabei war alles zunichte zu machen. Emilia brachte sie in Gefahr und dies musste er ihr jetzt verständlich machen.
Sein Gegenüber blieb nach seiner Ansage unerwartet still und regungslos. Es machte den Eindruck, als habe er es tatsächlich geschafft sie zum Nachdenken zu bewegen. James wartete darauf, dass sie nun zur Vernunft kam und sie zu der Durchführung ihres Planes übergingen.
„Du…du hast recht“, wisperte sie beinahe lautlos, sodass er Schwierigkeiten hatte sie zu verstehen.
„Es tut mir leid, Roddick. Ich weiß nicht was in mich gefahren ist.“ In ihren Augen und ihrem Gesicht sah er pure Aufrichtigkeit, aber auch eine Spur von Schmerz.
„Ich muss mich konzentrieren und meine Arbeit machen. Wir sind schließlich hier um einen Auftrag auszuführen.“ Ihre Miene wurde schlagartig entschlossen und ernst und ihm kam es ein weiteres Mal so vor, als habe er einen völlig anderen Menschen vor sich. Der innere Wandel, den sie im Minutentakt vollzog, musste unglaublich anstrengend sein. Und dazu kam ihre offensichtliche Zerrissenheit, die das Killerdasein in ihr hervorrief. James konnte und wollte sich gar nicht vorstellen, wie sehr sie mit sich selbst zu kämpfen und unter ihrem Schicksal zu leiden hatte.
„Lass uns beginnen“, presste sie schwerfällig und unter hohem Druck aus ihrer Kehle. Anschließend wartete sie gar nicht erst ab, dass er etwas sagte. Stattdessen wandte sie sich ab und machte sich schnellen Schrittes auf den Weg in Richtung des Nebenganges des Clubs, in dem sich die Toiletten befanden. Der Dunkelhaarige folgte seiner Kollegen wie ein Schatten. Nun wurde es endlich ernst. Nun ging es endlich ans Töten. Voller Vorfreude schlich sich sogleich ein bitterböses Schmunzeln auf seine Lippen, welches von Emilia skeptisch gemustert wurde.
„Du kennst den Ablauf?“, wollte sie sich vergewissern, dass er den Plan auf dem Schirm hatte.
„Natürlich, McDermott“, antwortete er leicht gereizt, da er es satt hatte zu quatschen. Er wollte in Aktion treten und den Auftrag seines Adoptivvaters durchziehen.
„Dann weißt du auch, dass wir bloß ein knappes Zeitfenster haben. Wir dürfen keine Sekunde verschwenden. Wir dürfen uns keine Fehler erlauben.“
„Ist das nicht bei jedem Auftrag so?“ In seiner rauen Stimme klang Spott mit, auf den sie allergisch reagierte.
„Tja, der entscheidende Unterschied bei diesem Auftrag ist sowohl die Menge an Menschen, die sich im Club befindet, als auch die Anzahl der Menschen, die wir töten werden. Wenn wir nicht schnell genug agieren und flüchten, dann sitzen wir gewaltig in der Scheiße, Roddick“, wurde sie nicht müde ihm einzutrichtern, wie gefährlich die Situation für sie war.
„Ich habe das schon gecheckt, McDermott. Ich bin ja nicht komplett bescheuert, aber wir sind professionelle Killer und machen soetwas nicht zum ersten Mal. Also mach nicht so einen Aufstand.“
„Durch deine Worte wird nur deutlich, wie jung du noch bist und wie wenig Erfahrung du im Vergleich zu uns anderen hast. Du bist voller Enthusiasmus, Ungeduld und übertriebenem Selbstvertrauen was dir das Genick brechen kann. Denn dadurch verlierst du so wichtige Dinge wie überlegtes Vorgehen und Eigenschutz aus den Augen.“ James hingen Emilias Belehrungen zum Hals raus und gerne hätte er ihr Kontra gegeben, aber er hatte keine Lust eine erneute Diskussion zu beginnen.
„Verschieben wir das auf später“, brummte er daher unwirsch. „Wir haben zu arbeiten.“ Seine Kollegin sollte sich endlich fokussieren und nicht ständig ablenken.
„Gut, dann verschieben wir es, aber ich empfehle dir zukünftig darüber nachzudenken“, war ihr altkluger Rat, den er geflissentlich ignorierte. Lieber konzentrierte er sich auf seine Umgebung und kommende Aufgabe.
„Das ist er.“ James reagierte umgehend auf Emilias Aussage, die nicht mit ihrer Unterhaltung zusammenhing, und folgte ihrem Blick. In diesem Moment kam ein Kellner mit dunklen Haaren und schlaksiger Figur an ihnen vorbei und steuerte die Bar an. Er trug ein leeres Tablett in der rechten Hand, welches bald wieder mit allerhand Drinks gefüllt sein würde.
Dieser eigentlich unscheinbare Mann war für sie der Schlüssel für das erfolgreiche Durchführen ihres Auftrags. Er war der wichtigste Aspekt in ihrem Plan, da er sie zu Walker McIntyre führen würde.
„Bist du dir sicher?“, fragte er die Blondine, blickte dabei jedoch unentwegt auf den Kellner, der mit dem Barkeeper sprach und darauf wartete, dass seine durchgegebenen Bestellungen fertig wurden.
„Ja, das bin ich. Ich habe ihn und seine Arbeitsabläufe die vergangene Stunde genaustens beobachtet. Deshalb brauchte ich die Zeit.“
„Hätte da nicht Jerichos Beschreibung von dem Kerl gereicht?“
„Seine Beschreibung war mir zu schwammig. Ich wollte mir selbst ein Bild machen, um sicher zu sein“, führte sie trocken aus.
„Wie du siehst, ist er gleich wieder auf dem Weg nach oben in den Privatraum von McIntyre. Das heißt, dass in wenigen Augenblicken der Startschuss zum Töten gegeben ist.“
„Das ist mir klar“, entgegnete James kurz angebunden, um konzentriert zu bleiben. Er spürte, wie Anspannung und Aufregung in ihm anstiegen und ganz hibbelig machten. Dazu kam ein ihm bekanntes Kribbeln in den Händen das stets auftrat, wenn er kurz vorm Töten stand und die aufgestaute Wut bald heraus musste.
„Mach dich bereit, Roddick“, hörte er von Emilia den Befehl, auf den er den ganzen Abend gewartet hatte. Sein gesamter Körper stand unter Strom; er war wie elektrisiert, als der Kellner mit einem voll beladenen Tablett die Bar verließ und Meter um Meter näher kam. Als er direkt am Nebengang vorbeikam, passte ihn seine Kollegin ab.
„Entschuldigen Sie?“, sprach sie ihn laut und plötzlich an, sodass er abrupt stehen blieb und die Gläser auf dem Tablett verdächtig wackelten. Noch ehe er den Mund aufmachen und fragen konnte was Emilia von ihm wollte, nahm jene ihm kurzerhand das Tablett mit beiden Händen ab und überließ James den nächsten Schritt.
Blitzschnell packte er den Kellner am rechten Handgelenk, zog ihn in den Nebengang und verpasste ihm einen Kopfhaken, den er nicht kommen sah und ihn bewusstlos auf den Boden sacken ließ. Er vergeudete keine kostbare Sekunde und hievte den Kellner, mit Hilfe von Emilia, die mittlerweile das Tablett abgestellt hatte, wieder nach oben und sie schleppten ihn gemeinsam zur Männertoilette. Bevor sie den Waschraum betraten, öffnete er die Tür und lugte vorsichtig durch den Spalt. Zum Glück war die Luft rein.
Ein Kopfnicken seinerseits symbolisierte Emilia, dass sie gefahrlos hineingehen konnten. Mit einer unglaublichen Eile bewegten sie sich zur nächstgelegenen Kabine und bugsierten ihn auf den Toilettensitz, ehe er die Tür schloss.
„Okay, jetzt zieh dein Jackett und deine Krawatte aus“, trug sie ihm tonlos auf. Der junge Killer folgte ihrer Aufforderung, denn nun würde er in die Rolle des Kellners schlüpfen und dafür musste er ihm in seiner Kleidung ähneln.
James übergab ihr die geforderten Kleidungsstücke, bevor sie aus dem Waschraum verschwanden und den nächsten Punkt des Plans in Angriff nahmen. Seine Kollegin förderte ein Parfümfläschchen aus ihrer Tasche, das einen ganz entscheidenden Inhalt enthielt: Kaliumcyanid. Zur Tarnung hatte sie die farblosen Kristalle in das Fläschchen gefüllt, damit bei der Taschenkontrolle vor dem Betreten des Clubs das tödliche Gift unentdeckt blieb.
Er sah gespannt dabei zu, wie sie übervorsichtig den Deckel des Fläschchens entfernte und in jedes Glas auf dem Tablett eine größere Menge kippte. Anschließend hob sie das Tablett auf und übergab es James.
„Jetzt geht es in die entscheidende Phase“, verdüsterte sich ihre Stimmung zusehends und ihre Beklommenheit kehrte zurück.
„Ich weiß, McDermott“, sagte er in einem fast schon mitfühlenden Tonfall, der ihn selbst überraschte. Dies entging auch der blonden Killerin nicht. Dementsprechend irritiert war ihr Blick mit dem sie ihn betrachtete.
„Der Privatraum, in dem sich McIntyre und seine Männer befinden, ist die dritte Tür von rechts.
„Gut, wir treffen uns dann draußen“, sprudelte es eiligst aus ihm heraus, um die merkwürdige Situation so schnell wie möglich zu beenden.
Emilia nickte ihm nur stumm zu, bevor sie den Ausgang des Golden Empire ansteuerte. Er hingegen beeilte sich indes die Treppe zur oberen Etage zu erklimmen und an die Tür des Privatraumes zu klopfen.
James Roddick blieb bloß Zeit einmal tief durchzuatmen, ehe die Tür von einem grobschlächtigen Kerl mit Halbglatze und Dreitagebart aufgerissen wurde.
„Na endlich! Die Drinks sind da!“, posaunte er in einer unangenehmen Lautstärke und hochroten Wangen heraus. Diese und seine glasigen Augen verrieten ihm, dass er bereits einiges über den Durst getrunken hatte.
Gierig riss er James das Tablett aus der Hand und stampfte zurück in den Raum, um die Gläser an die übrigen Anwesenden zu verteilen. Er nahm dem jungen Killer die Arbeit ab, was er nur begrüßen konnte. Also lehnte er sich innerlich zurück und brauchte nichts weiter zu tun als zuzusehen, wie die tödlichen Drinks nach und nach in die Hände von Williams Feinden gelangten. Seine grauen Augen schweiften durch den luxuriös ausgestatteten Raum, der in ein dunkelrotes Licht getaucht war und fixierten nacheinander jeden der Männer, die allesamt stark angetrunken und in ausgelassener Stimmung waren. Sie nahmen gar nicht wahr, dass er noch anwesend war und sie beobachtete. Das einzig Wichtige für sie war der Alkoholnachschub, der in Rekordzeit von ihnen die Kehlen heruntergekippt wurden.
Als er dies sah, machte sein Herz einen heftigen Satz. Jetzt ging es um alles. Jetzt würde sich zeigen, ob ihr Hinterhalt zum gewünschten Ziel führte.
Und lange brauchte er nicht auf das Ergebnis zu warten. Keine zwei Minuten nach der Einnahme des Cyanids zeigte sich bereits dessen verheerende Wirkung. Fast zeitgleich begannen bei allen Anwesenden starke Atemnot und Krämpfe, die Panik in ihnen auslösten. Wie aufgescheuchte Hühner bewegten sie sich blindlings durch den Raum, als suchten sie verzweifelt nach Hilfe, die sie jedoch nicht bekommen würden. James war fasziniert und gefesselt von dem Spektakel, was sich vor seinen Augen abspielte. Genüsslich schaute er ihrem Überlebenskampf zu, der zwar nicht lange dauerte, aber dafür sehr schmerzhaft war.
Vereinzelt waren einige der Männer bereits zusammengebrochen und lagen leblos auf dem Teppichboden. Wiederum andere übergaben sich, ehe sie jämmerlich zugrunde gingen.
Liebend gerne hätte er sich weiter an ihren Qualen ergötzt, doch ihm kam die Zeitknappheit in den Sinn und so verließ er den Raum, eilte die Treppe herunter und bahnte sich den Weg hinaus aus dem Club.
Draußen herrschte das typische kalte und stürmische Herbstwetter, daher legte er noch einen Zahn zu.
In einer Seitenstraße östlich des Clubs stand der blaue Chevrolet Aveo Hatchback seiner Kollegin, mit dem sie gemeinsam hergekommen waren. Im Wagen wartete Emilia, die allerdings sofort ausstieg als sie ihn entdeckte. Nervös an ihren Fingernägeln kauend und mir großen Augen kam sie auf ihn zu und blieb eine Armlänge vor ihm stehen.
„Ist alles gut gegangen?“, wollte sie von ihm wissen und schaute ängstlich zu ihm hoch.
„Es gab keine Probleme. McIntyre und seine Männer sind tot.“ Er war darauf bedacht seiner Stimme einen emotionslosen Klang zu verleihen, um ihr zu demonstrieren was Professionalität und Abgrenzung in ihrem Beruf bedeuteten. Es gab keinen Platz für Schwäche, Mitgefühl oder Angst. James Roddick hatte selbst solche Emotionen bei seinem ersten Auftrag erlebt und dafür die Quittung von seinem Adoptivvater bekommen. Er wollte sich niemals wieder auf solche Abwege begeben. Niemals wieder würde er sich vor William als unfähig präsentieren.
„Dann…dann können wir ja los und William Bericht erstatten“, wurde ihre Stimme im Vergleich zu seiner immer brüchiger und leiser. Für ihn waren dies Vorzeichen für einen baldigen Heulkrampf. Und tatsächlich rannen eine halbe Minute später die ersten Tränen über ihre Wangen und sie begann zu schluchzen. Der junge Killer war überfordert mit der Situation, insbesondere als sie in Hysterie verfiel und ihr Körper von einem Zucken und Zittern überwältigt wurde. Erst jetzt realisierte er, dass sie nur in ihrem dünnen Kleidchen vor ihm stand, das schulterfrei war und bloß kurze, bis zu den Ellbogen gehende, transparente Puffärmel besaß.
Von einer Sekunde auf die andere brach seine eiskalte Fassade in sich zusammen und die Sorge um Emilia trat in den Vordergrund. Kurzerhand schritt er zum Chevrolet und nahm sein Jackett vom Beifahrersitz. Anschließend legte er dieses wortlos über ihre schmalen Schultern, damit sie nicht länger der Kälte ausgesetzt war. Dann schaute er ihr ins Gesicht, das durch das Weinen nass war und schwarze und goldene Schlieren aufwies. Jene stammten von ihrem verlaufenen Make up und es wirkte auf ihn, als habe sie schwarz-goldene Tränen vergossen. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas so Ästhetisches und gleichzeitig so Trauriges gesehen.
Emilia McDermott legte derweil ihre gesamte Dankbarkeit in ihren Blick, bevor sie zu seiner Überraschung ihre Arme um seine Taille schlang und sich schutzsuchend an ihn presste. Instinktiv erwiderte er die Umarmung um ihr zu zeigen, dass sie nicht alleine und er für sie da war. Für sie schien es einem Okay gleichzukommen; einer Zustimmung, dass sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen konnte. Und so vergrub sie ihr Gesicht in seinem weißen Hemd und weinte hemmungslos wie ein Kind. James Roddick war dermaßen erschüttert von so viel Leid und Verzweiflung, dass es ihm selbst körperlich wehtat.
So waren die beiden Killer vereint in einem tiefen Schmerz, den sie miteinander teilten und der der Beginn einer engen Freundschaft war.
 
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