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Das Galadiner (Trilogie einer Kleinstadt - Teil 1)

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Die zweifellos bessere Gesellschaft dieser Kleinstadt langweilte sich, und dies nicht zum ersten Mal in diesem Jahr. So beschloß man, den nahen Nikolaus in dem nicht allzu entfernten Waldhotel mit einem Galadiner, wie man sich ausdrückte, zu feiern. Und dazu bot es sich als Austragungsstätte unweigerlich an, war es doch immer wieder der Ort gewesen, wo man sich noch näher kennenlernte, so beispielsweise in den überaus beliebten vermischten Ehedoppel, oder aber wenn der ortsansässige Chef seine neue Sekretärin dorthin mitnahm, um herauszufinden, ob sich ihre Probezeit deshalb verkürzen ließe.

Also, wie gesagt, in diesem Hotel traf sich die feine Gesellschaft an besagtem Nikolausabend. Natürlich war man festlich gekleidet. Die Herren trugen Smoking - ein Muß in dieser Kleinstadt - und die wohlwollenden Damen waren in lang, meist tief dekolletiert, auch wenn die eine oder andere faltenreiche Wölbung lieber ein schattigeres Plätzchen bevorzugt hätte. Aber auch an diesem Abend wurde mit allem um alles gekämpft. So saß man sich an einem langen Tisch gegenüber, wobei sich so manche Blicke kreuzten; etwa so: ?Morgen zwischen acht und neun Uhr, wenn ich die Kinder in die Schule gebracht habe.? Oder etwa so: ?Ich habe gehört, daß Dein Mann morgen auf Dienstreise fährt. Also dann bis morgen Abend.?

Als also ein beträchtlicher Teil der Anwesenden solchermaßen lautlos den kommenden Tag verplant hatte, nahm man die Speisekarte in die Linke, um die Rechte für ein kleines dargereichtes Häppchen oder ein Zuprosten frei zu haben, wobei man schon instinktiv den karatverzierten kleinen Finger so weit abspreizte, als schäme sich die Hand seiner.

Die Speisekarte offenbarte in geschwungener Schrift als Hauptgericht: ?Cucu d?Éléphanteau?. Was soviel heißt wie ?junges Elefantenpopöchen?. Aus der nahen Großstadt war dem Küchenchef nämlich zu Ohren gekommen, daß dort die feine Gesellschaft mittlerweile Exotisches in Form von Löwenherzen, Affenpinseln oder Hoden von Nilpferden verspeiste. Da wollte und da konnte man natürlich nicht zurückstehen. So nahm es denn nicht Wunder, daß sich die Stimmung in Erwartung solch einer Gaumenfreude noch weiter steigerte. Selbst die Herren stellten Vermutungen darüber an, in welchem Gewande sich dieses junge Elefantenpopöchen präsentieren werde.

Nachdem man die Vorspeise fast aufmerksamkeitslos hinter sich gebracht hatte - so gefesselt waren die Sinne auf das Popöchen - wurde das Licht im Saale runtergedimmt und eine lange Reihe von Servierern und Serviererinnen, wozu auch Hilfskräfte angeheuert worden waren, kamen in den Saal, alle einen großen Teller vor sich hertragend, abgedeckt mit einer chromblitzenden Haube. Jeder von ihnen stellte sich hinter einen Gast. Und auf ein Zeichen des Chefservierers wurden die Teller mit der Haube vor dem Gast abgesetzt. Und auf sein weiteres Zeichen wurden die Hauben abgenommen und die Serviererinnen und Servierer verließen wieder in geschlossener Formation den Saal.

Jeder der Gäste schaute auf seinen Teller und entdeckte zu seiner großen Überraschung darauf gar nichts, d. h. mit Ausnahme einer Kartoffel. Betretenes Schweigen herrschte für einen Augenblick, wobei man sich auch einen Blick auf des Nachbarn Teller erlaubte. Ein Stimmengewirr hob sodann an, in dem mehrmals das Wort ?Unverschämtheit? zu vernehmen war. Der anerkannt Gebildetste, der Weitgereisteste und auch Vor-nehmste der Gesellschaft verschaffte sich sodann Gehör, indem er mit dem Hinweis zu beruhigen suchte, daß es sich hier offenbar um ein bedauerliches Versehen handeln müsse. Sodann läutete er nach dem Chefservierer. Dieser erschien angemessenen Schrittes und noch aufrechter als gewöhnlich und entgegnete auf die vornehm formulierte Frage des besagten Vornehmsten der Gesellschaft wie folgt: Die Herrschaften hätten junges Elefantenpopöchen bestellt. Wie jedermann aber wisse, gehöre zu jedem Elefantenpopöchen auch ein Loch und dieses sei ihnen serviert worden. Sich mit einem ?Guten Appetit? knapp verbeugend, zog sich sodann der Chefservierer angemessenen Schrittes zurück.

Auf diese Erklärung des Chefservierers hin entstand erst ein-mal bei jedem der Anwesenden eine Denkpause, bis die weltmännische Art jedes Einzelnen sich dazu durchgerungen hatte, diese Erklärung des Chefservierers gelten zu lassen, war sie doch zwingend.
 
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Kommentare  

Hähä!!
DAs ist lustig!
Ein vollständiges Urteil bilde ich mir, wenn ich alle Teile gelesen habe.
Zu diesem sei gesagt:
2. Absatz, 3. Satz:
"...-und die wohlwollenden Damen waren in lang, meist tief dekolletiert, auch wenn die..."
Hier stimmt etwas nicht, sollte überarbeitet werden! Ansonsten für diesen Teil 4 Pts


Dr. Ell (09.02.2004)

lustige Idee und gern hätt ich die Gesichter gesehen, passt überall hin, nicht nur in die Kleinstadt... die Welt will betrogen werden... also los!!!

Teleny (04.09.2002)

Die Kleinstadt-Vips sind genauso blöd wie der Blaublüter in:"Des Kaisers neue Kleider."
Die Spitzmäuligen, Fingersprezenden Typen hast Du gut beschrieben.


Maxson (21.08.2002)

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