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3 Seiten

Liebeskummer

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Das Fest war in vollem Gange. Obwohl es bereits Ende November war und draußen Minustemperaturen herrschten, war auch der Gastgarten randvoll mit Partygästen. Noch schlimmer war es drinnen - dort standen die Leute teilweise schon übereinander. Martin mochte solche überladenen Parties nicht besonders. Die Menge von Menschen bestand zur Hälfte aus total unbekannten Gesichtern und zur anderen aus Bekannten, aber solche von der Art, bei denen es einem nicht leid tat, wenn man sie nie kennengelernt hätte. Aber in einer Kleinstadt wie Grafenacker hatte man nicht viele Entscheidungsmöglichkeiten, wenn man sich amüsieren wollte. Aber für Martin waren Ort und Ambiente an diesem Tag sowieso zweitrangig. Er war nicht wegen der Leute, sondern mit seiner neuen Freundin Bretonia hier, die er erst seit ein paar Tagen kannte. Bretonia war eine jener wenigen Frauen, denen durch ihre bloße Anwesenheit und ein Lächeln gelang, einen Mann aus den schwermütigsten Gedanken zu reißen. Bei Martins früheren Freundinnen war diese Eigenschaft nie so ausgeprägt gewesen. Allein schon beim Gedanken an Bretonia strömte ein angenehm erregendes Kribbeln über seinen Körper - ohne Zweifel: Er war verliebt. Im Moment befand sich die Angebetete allerdings nicht in Martins Nähe. Zu ihren Attributen gehörte nämlich auch eine extreme Lebendigkeit und Lebensfreude, was sich unter anderem dadurch äußerte, daß es ihr nicht gelang, länger als ein paar Minuten an einem Fleck zu verharren. Martin versuchte mit starrem Blick die Menge zu durchdringen, aber es gelang ihm nicht, das dunkelhaarige Mädchen zu entdecken, das seine Gedanken an diesem Abend so dominierte. Sie war nun schon über eine Stunde verschwunden. Irgendwo in seinem Kopf begannen Stimmen laut zu werden, die Stimmen seiner Freunde, die ihn vor dem Mädchen gewarnt hatten.

"Sei vorsichtig, sie ist eine Schlampe!"

"Wenn sie trinkt, ist sie zu allem fähig!"

"Sie hatte schon mehr Männer als du dir vorstellen kannst!"

Martin wußte, daß diese Aussagen aufgrund seiner Kenntnisse von Bretonias Vergangenheit nicht unbedingt von der Hand zu weisen waren, aber Bretonia war inzwischen älter und reifer und hatte außerdem mit ihm eine erste dauerhafte Beziehung. Trotz aller Warnungen wußte er irgendwo in seinem Inneren, daß er ihr blind vertrauen konnte. Dennoch beschloß er sie zu suchen. Das Lokal, welches tagsüber eine Pizzeria beherbergte, war gedrückt voll, aber es war noch möglich, sich durch die Menschenmengen zu kämpfen. Martin kam nur langsam voran, obwohl der Weg für eine gesamte Runde eigentlich nicht der Rede wert war. Er begann die vielen Leute, welche schwitzend, tanzend oder stoßend sein Vorwärtskommen behinderten, langsam zu hassen. Gerade als er seinen Ausgangspunkt wieder erreichte, entdeckte er plötzlich im Augenwinkel jemanden, der seine Freundin sein konnte. Schnell wandte er seinen Kopf und konnte gerade noch einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen. Deutlich hatte er ihre schräggestellten Augen, ihre schmale Nase mit den beiden Ringen in den Nasenflügeln und ihre ausgeprägten Lippen erkannt. Lippen, denen man ansah, daß sie einen Mann glücklich machen konnten. Er versuchte, zu ihr zu kommen, aber bevor er den Platz, an dem er sie erspäht hatte, erreichte, war sie schon wieder im Getümmel verschwunden. Aber er sich sicher, daß sie ihn auch gesehen hatte. Offensichtlich lief sie vor ihm davon. Entweder war das ein Spiel oder... seine Freunde hatten doch recht gehabt. Sie hatten recht. Mittlerweile waren die meisten Gäste gegangen, ob mit oder ohne Begleitung. Scheinbar war jemand mit Bretonia als Begleitung nach Hause gegangen, denn sie befand sich nicht mehr unter den Gästen. Martin hatte die Suche auch schon längst aufgegeben. Dafür hatte er einen Platz an einem Tisch bekommen, und ein treuer Kellner hatte in den letzten Stunden sehr viel zu tun. Ungefähr sieben oder acht Glas Bier hatte er sich hinuntergeschüttet, und dabei gehofft, die Gedanken um die bittere Enttäuschung und den innerlichen Schmerz, den ihm Bretonia bereitete, wegspülen zu können.

Das gesamte Universum, das Martin wahrnehmen konnte, bestand aus einer Menge von grauen und blauen Nebeln, welche durch sein Gesichtsfeld schwebten. Hier und da wurde das Bild durch weiße Kondensstreifen aufgelockert. Auf der linken Seite befand sich ein sehr heller gelber Fleck, der in Martins Kopf starke Schmerzen verursachte. Es handelte sich um die Sonne. Martin richtete sich auf, was sich sofort mit einem stechenden Kopfschmerz rächte. Nach einem kurzen Blick in der Waagerechten erkannte er den kleinen Park neben der Pizzeria wieder, der ihm offenbar als Nachtlager gedient hatte. Er tastete nach seiner Geldbörse und stellte erleichtert fest, daß sie noch an ihrem Platz war. Dann aber kam ihm wieder Bretonia in den Sinn, und zusätzlich zu seinem körperlichen Schmerz nach der durchzechten Nacht spürte er den Schmerz um sie in seiner Brust. Mühsam kam er auf die Beine und klopfte sich den Schmutz von der Kleidung. Wider Erwarten ging es seinem Magen weit besser als seinem Kopf. Er zeigte normale Reaktionen - und das bedeutete bei Martin Hunger! Erneut betrat er den Gastgarten der Pizzeria. Eifrige Angestellte hatten scheinbar den frühen Morgen genutzt, die Spuren der Party vom Vortag zu beseitigen. Martin ließ sich auf den erstbesten Stuhl fallen und bestellte erst einmal ein großes Glas Wasser. Seine Kehle fühlte sich sehr trocken an. Mühevoll laß er die Speisekarte, der Restalkohol verstärkte die natürliche Kurzsichtigkeit seiner Augen noch. Die Pizza Nummer 7 trug den Namen Bretonia. Ohne lange nachzudenken bestellte er eine. Nach kurzer Wartezeit servierte ihm ein Kellner eine Bretonia. "Bretonia kriegt man ganz einfach wie auf Bestellung!" ging es ihm durch den Kopf und auf eine Weise hörte es sich wie die Vorbehalte seiner Freunde an. Gedankenverloren begann er zu essen. Mit jedem Bissen spürte er, wie er ruhiger wurde, und der Kummer und die Wut um Bretonia klangen langsam ab. Beim dritten Pizzastück biß er plötzlich auf etwas Hartes. Martin griff sich in den Mund und holte einen kleinen silbernen Ring aus Metall hervor. Er betrachtete das Ding kurz, drehte es zwischen seinen Fingern hin und her und wußte plötzlich, um was es sich handelte: Er hatte Bretonias Nasenring zwischen den Fingern. Sie war zu einem Pizzabelag verarbeitet worden. An irgendeiner Stelle in Martins Kopf machte es Klick und ein kranker Teil seines Ichs gewann die Oberhand. "Sie hat mich nicht verlassen - sie ist nur in eine andere Form übergetreten" murmelte er leise vor sich hin. Er stöberte mit den Fingern auf der Pizza herum, die nun eine schockierende und ekelerregende Wirkung auf ihn zeigte. Aber da kam wieder der kranke Teil seines Ichs an die Oberfläche. "Bald sind wir endgültig vereint" sprach er wie ein Gebet in Richtung Pizza. Er unterdrückte ein leichtes Ekelgefühl und aß weiter.
 
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Kommentare  

Es müssten meiner Meinung nach nur noch die Sprünge rausgemacht werden. Bei der nächsten Pizza werde ich an dich denken.

Susan (05.02.2004)

We soll mans nun halten?
Nach Genre kommentieren, oder doch - Igitt, Igitt, ins seelisch fragwürdige Dunkel des Textes einsteigen um zu gucken, wie man dann da wieder rauskommt?

Das Klick in den kranken Teil des Protagonistenbewusstseins erinnert mich an das Switch, mit dem multible Personen ihre jeweilige Daseinsebene verlassen, um eine der in ihnen wohnenden anderen Existenzen an die Oberfläche zu lassen.

An einer Story dieses Inhaltes schreibe ich gerade und überlege mir jetzt, ob das noch Sinn hat, denn eigentlich hast Du hier etwas Ähnliches gemacht.

Seufz, es gelingt eben nie, das Rad neu zu erfinden.

Gern gelesen, war so richtig schön makaber und so realistisch wie beamen.

Gruss Lies


Lies (23.03.2003)

Also, bei dem Gedanken an "Pizza Bretonia" hat sich mir der Magen umgestülpt. Wem wohl nicht - es sei denn, er hieße Hannibal Lecter. Aber grinsen musste ich trotzdem. Die Art und Weise, wie verlassene, enttäuschte LiebhaberInnen nach jedem Strohhalm greifen und die seltsamsten (Gedanken)verrenkungen vollführen um sich monatelang an den Gedanken klammern zu können, er/sie MÜSSE doch irgendwann zwangsläufig zurückkommen, hast Du hier in eine schön bissige, surreale Situation verpackt und serviert. Mahlzeit.
Bloß wie um Himmels Willen bist Du auf diesen Namen gekommen? Wer heißt denn schon "Bretonia"? Klingt eher wie eine abgetakelte Kriegsfregatte.... ahem. Nix für ungut.
5 Punkte


Gwenhwyfar (11.12.2002)

Immer schön, wenn man seine Luiebste zum fressen gern hat *g*. ich ahb die Geschichte gern gelesen, obwohl ich sie in anderer Form schon kenne

Lea (30.07.2001)

Eine Geschichte nach dem Motto: Liebe geht durch den Magen, oder was ?

Robert Short (12.07.2001)

Sorry Martin Kopf, war keine Absicht, außerdem sollte der Protagonist gar nicht Martin Kopf heißen sondern nur Martin (wer heißt schon Kopf - SCNR). Das Ganze ist offensichtlich ein Konvertierungsfehler, im Text sollte es an den entsprechenden Stellen Martin's Kopf heißen, die 's hat wohl der Apostrofeklau gefressen...

Wilfried (10.07.2001)

vielen dank, dass du meinen namen fuer diese furchtbare geschichte geklaut hast, du stuemper.
erstens habe ich gar keine freundin und zweitens .... ach scheisse!

mfg, (der echte) martin kopf


martin kopf (04.07.2001)

Goil !!

schwaen (05.03.2001)

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