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Inselleben

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Die Wellen des Ozeans plätschern an das Ufer, in der Nähe des Strandes türkisfarben, weiter draussen bei den Klippen dunkelblau. Wohin ich auch gehe und wohin ich auch schaue, ich sehe rundum nur Wasser, die Weite des Meeres, unter dem immer gleichen Sonnenschein. Es fliegen Möwen über die Insel hinweg, ich sehe einzelne von ihnen oder auch kleine Gruppen vom Meer her kommen oder zum Meer hin wegfliegen.
Im Hafen liegen einige Boote, sie sehen aber nicht wirklich seetüchtig aus, ich würde mich nicht auf sie verlassen wollen. Immerhin könnte ich die Insel damit aus einem anderen Blickwinkel betrachten, aber das ist wohl nicht vorgesehen. Oder ich könnte sie mir von oben aus ansehen, aus dem kleinen roten Wasserflugzeug, das auf der anderen Seite des Hafens liegt. Es kommt manchmal angeflogen und bleibt dann sehr lange am Ufer liegen. Wegfliegen habe ich es noch nie gesehen.
Es gibt ein Pariser Café auf der Insel, einen Club und dann natürlich die Villa, in deren Zimmer ich bis jetzt die meiste Zeit verbracht habe. Das stimmt nicht ganz, zu Beginn meines Aufenthalts habe ich mich sehr oft im Freien aufgehalten. Am Strand und bei den Klippen, dort, wo es ein Grab zu entdeckten gibt. Es soll jenes der Grossmutter der jetzigen Besitzerin der Villa sein. Dann gibt es auf der Insel jede Menge von Blumenbeeten, Wasserspiele über die kleine Brücken führen, exotische Bäume und Sträucher. Es sind auch Tiere da, weisse Kaninchen tummeln sich in einem Gehege, ein ebenfalls weisses Pony mit pinkfarbenem Kopfputz wartet vor dem Pariser Café und zwei Pfauen, von denen einer das Rad schlägt. Nur Menschen begegnen mir nicht. Obwohl ich von einer Molly gehört habe und von Eleanor, von Iris und Pearl, von Pete, Silas und Thomas. Auch dir könnte ich begegnen, aber ich befürchte, dass wir dabei nichts anderes als Rivalen wären, darum weiche ich solchen Begegnungen aus.
Eine einsame kleine Kirche habe ich gefunden, mit einer veralteten Ausstattung, die an den Geschmack der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts erinnert. Wenn ich es mir recht überlege, dann tut dies auch die Ausstattung der Villa. Ich habe mich in beinahe allen Zimmern schon aufgehalten: Im Eingangsbereich, dem Kaminzimmer, in der Küche, im Studierzimmer und in verschiedenen Schlaf- und Wohnräumen. Obwohl es noch andere Gäste im Haus gibt, begegnet mir auch hier kaum jemand.
Vermutlich sind die meisten von ihnen Hals über Kopf abgereist, das würde die Unordnung erklären, die im ganzen Haus herrscht. Die Räume sind so überfüllt mit Dingen, dass etwas Einzelnes nur mit Mühe wieder zu finden ist. Kleider, Hüte, Geldbörsen und Zeitungen sind in fast jedem der Zimmer wild verstreut, Wellensittiche und Papageien fliegen durch die Räume, Obst liegt in Schalen herum, aber auch Sachen, welche in dieser häuslichen Umgebung eher unüblich sind. Kein Wunder, dass auch Mäuse und Spinnen überall anzutreffen sind.
Es ist mir Geld in Scheinen und in Münzen angeboten worden, auch Blumen, wenn ich mich mit der Unordnung zu befassen bereit erkläre und im Chaos einzelne Gegenstände zu finden fähig bin.
Ich gebe zu, ich habe mich darauf eingelassen.
Und erstaunlicher Weise wächst mir, in Form von kleinen gelben Blitzen, immer wieder neu die Kraft zu, die es für diese Arbeit, die meine volle Aufmerksamkeit fordert, braucht. Mit dem verdienten Geld leiste ich meinen Beitrag zur Verschönerung der Insel. Ich habe die Kopie eines Eifelturms darauf bauen lassen, mit der Tricolore auf der Spitze.

Im realen Leben hole ich damit lustvoll ein bisher ungelebtes Leben als Spielerin nach. Dabei erobert sich das Spiel - wie es vermutlich zu dieser Lebensform gehört - immer mehr Raum, verdrängt unmerklich andere Tätigkeiten. Das damit verbundene Suchtpotential erkenne ich sehr deutlich. Darum sollte ich die Insel vernünftigerweise wohl möglichst schnell mit dem roten Wasserflugzeug verlassen oder noch besser, die App gleich ganz löschen.
Morgen vielleicht - oder übermorgen - denn für heute habe ich mir noch den hinteren Garten vorgenommen.
 
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Kommentare  

Ich habe schallend gelacht. Sehr gelungen!

Irmgard Blech (29.03.2018)

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