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2 Seiten

Die Liebe liebt das Schwierige

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Wir gehen zusammen dem See entlang, Elisabeth, meine alte Freundin aus der Schulzeit, und ich. Max schläft seinen Mittagsschlaf, für uns eine kurze Zeit, ganz unter uns zu sein. Der Wind bläst uns ins Gesicht, wir haben uns untergehakt wie früher, sie geht rechts ich links. Wir sind immer noch völlig kompatibel, scherzen wir, denn Elisabeth hört nur noch auf ihrem linken Ohr, ich auf meinem rechten.
Ich sage ihr, wie sehr ich ihre Gabe bewundere, mit der Parkinsonerkrankung von Max so selbstverständlich liebevoll umgehen zu können. Dies ist es, was mir bei meinen Besuchen jedesmal als erstes auffällt. Es ist eine Wohltat, im Kreis der Beiden zu sein, obwohl die Situation alles andere als einfach ist.
Weisst du, antwortet Elisabeth, es gab auch andere Zeiten. Ich erinnere mich gut an die letzten Jahre vor der Diagnose, wo ich manchmal das Gefühl hatte, dass mir meine Liebe wie Sand zwischen den Fingern verrinnt und bald nichts mehr davon übrig sei. Dass wir uns in den langen Jahren des Alltags einfach aneinander gewöhnt haben, aber Liebe? Max war auch vor seiner Krankheit kein ganz einfacher Mann, manchmal habe ich ihn einfach nicht verstanden. Zwar hätte ich mir nicht vorstellen können mich von ihm zu trennen, aber Liebe? Wir sind eben noch so erzogen worden, dass gegebene Versprechen verbindlich sind, und Treue ein wichtiger Wert. Aber Liebe?
Und dann kam diese niederschmetternde Diagnose Parkinson. Sie hat uns völlig unerwartet getroffen, und uns erst einmal den Boden unter den Füssen weggezogen. Obwohl ich manchmal denke, dass vielleicht das, was ich bei Max nicht verstehen konnte und darum als schwierig empfand, bereits mit den Anfängen seiner Krankheit zu tun hatte. Auf jeden Fall wurde mir bewusst, dass unsere Liebe keine Selbstverständlichkeit war, sonder ein riesiges Geschenk das wir uns bewahren wollten, so lange als möglich. Die ersten Jahre die folgten wahren für mich, so absurd dies klingen mag, vielleicht die schönsten unserer Partnerschaft. Max war medikamentös gut eingestellt, die Beeinträchtigung hielt sich in Grenzen, er fühlte sich gut. Aber wir wussten beide, dass wir nicht mehr unbegrenzt Zeit hatten, dass wir Wünsche und Vorhaben nicht mehr verschieben durften. Wir leisteten uns mehr, machten noch ein paar Reisen, Ausflüge, und wir machten vor allem noch viele Wanderungen. Nicht mehr so hoch hinauf wie früher, aber wir haben uns an unserer gemeinsamen Freude an den Bergen noch einmal so richtig gefreut. Ja, das war eine gute Zeit.
Dann ist es einfach ein Glücksfall, dass ich den Artikel über das neue Alterszentrum in der Nachbargemeinde genau zur richtigen Zeit las, zu einem Zeitpunkt, als es erst in Planung war. Wir haben uns schnell entschieden, waren unter den ersten die sich eine Wohnung aussuchen konnten und haben die ganz oben, mit der grossen Terrasse und der wunderbaren Sicht auf die Berge und den See ausgesucht. Für uns die schönste, wir freuen uns heute jeden Tag daran. Und jetzt, wo die Krankheit Max immer mehr einholt und auch meine Kräfte nachlassen, sind wir so froh über all die Möglichkeiten an Unterstützung, die wir bei Bedarf in Anspruch nehmen können. Doch das beste ist, dass wir bis zum Schluss zusammen bleiben dürfen, bis eines von uns gehen muss, denn es gibt für den Notfall sogar eine Pflegeabteilung im Haus. Nach einem Augenblick der Stille und mit ihrem vertrauten Schalk in den Augen fügt sie noch hinzu: das noch bessere ist, dass wir trotz allem unseren Humor nicht verloren haben.
Ich bin so gerührt, dass ich meine Freundin eifach umarmen muss. Liebesgeschichten wie ihre sind in unserer Zeit rar geworden, aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Aber sie holt mich schnell auf den Boden der Realität zurück: Weisst du, einfach ist es nicht, und es wird immer schwieriger. Max ist immer mehr auf meine Hilfe angewiesen, das ist für niemanden leicht zu ertragen, ganz besonders nicht für einen so freiheitsliebenden Menschen wie Max. Zudem macht ihm das Sprechen immer mehr Mühe und ich kann ihn immer schlechter verstehen. Das gibt Missverständnisse und Frustrationen auf beiden Seiten, manchmal werden wir richtig laut. Und manchmal fühle ich mich auch ganz einfach am Limit.
Elisabeth schaut auf die Uhr. Wir müssen umkehren, Max wird wohl bald aus seinem Mittagsschlaf erwachen. Mit dem Lift fahren wir in den obersten Stock. An der Wohnungstüre ist eine Fotografie der Bewohner aufgehängt, beide mit einem strahlenden Lachen im Gesicht. Und darunter der Spruch „Die Liebe liebt das Schwierige.“
 
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Kommentare  

Mal wieder gefühlvoll und schön geschrieben. Kann die Liebe wachsen? Zeigt sich die Liebe erst im Schwierigen? Gibt man manchmal zu schnell auf? Fragen über Fragen, wie wohl jeder für sich beantworten muss.

Daniel Freedom (10.11.2023)

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