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Das hat nichts mit uns zu tun

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Sie sind vor etwa drei Monaten eingezogen, in die oberste Wohnung, gleich über uns. Wir haben es durch das neue Namensschild unten bei den Briefkästen erfahren. Sie haben sich nicht vorgestellt, aber das ist bei den meisten neuen Bewohnern in unserem Haus so. Wir haben kaum Kontakt untereinander, nicken uns im Treppenhaus zu, treffen uns zufällig einmal in der Waschküche. Auch wenn wir jahrelang im selben Haus wohnen, das ist hier einfach so, eigentlich komisch, eigentlich traurig. Ich bin den Neuen einmal im Treppenhaus begegnet, einem Paar im mittleren Alter, ich habe mich vorgestellt, gesagt, dass ich mit meinem Mann in der Wohnung unter ihnen wohne, dass sie sich ruhig melden sollen, wenn sie etwas brauchen würden. Aber ich habe schnell gemerkt, dass sie dies wohl eher nicht tun würden.
Es war etwa zehn Tage nach ihrem Einzug, als an einem Sonntagabend ein Krach aus der Wohnung zu hören war, wie wenn Möbel verschoben und immer wieder etwas umfallen würde. Die sind vermutlich noch mit dem Einrichten beschäftigt, das müssten sie auch nicht unbedingt an einem Sonntagabend um diese Zeit tun, sagte mein Mann. Sonst haben wir eigentlich nichts von den neuen Mietern gehört und gesehen habe ich die Frau nur einmal, als sie aus der Waschküche kam. Da war sie sehr kurz angebunden, wollte offensichtlich kein Gespräch. Erst am nächsten Wochenende, ich weiss nicht mehr, ob es Samstag oder Sonntag war, wieder dieser Krach. Und dann ging dies fast an jedem Wochenende so weiter. Immer am Wochenende. Wir dachten, das hat vermutlich doch nichts mit dem Einrichten zu tun.
Dann bin ich der Frau noch einmal unten bei den Briefkästen begegnet und bin erschrocken. Sie hatte ein Pflaster auf der linken Wange und ein blaues Auge. Natürlich habe ich gefragt, was denn passiert sei, und da hat sie mir sehr ausführlich erzählt, wie sie über den Teppich gestolpert und beim Fallen an die Tischkante geschlagen sei. Nein, beim Arzt sei sie nicht gewesen, das heile schon wieder. Ich habe mich gewundert, wie gesprächig die Frau auf einmal war, nachdem sie sich beim letzten Mal so abweisend verhalten hatte.
Das habe ich dann natürlich meinem Mann erzählt. Ich hatte da ein so ungutes Gefühl, ich habe ja auch schon von häuslicher Gewalt gelesen, aber in unserem Haus? Ich solle mich da ja nicht auf etwas einlassen, sagte mein Mann, das hat mit
uns nichts zu tun. Da mischen wir uns nicht ein, wir können ja doch nichts tun. Aber mein schlechtes Gefühl ist geblieben.
Zum Glück hat danach der Krach aus der oberen Wohnung aufgehört. Und ich glaube, ich bin weder der Frau noch dem Mann in der Zwischenzeit einmal begegnet. Als Rentner haben wir ja nicht den selben Tagesrhythmus wie die andern Bewohner, da sieht man sich selten.
Erst vorgestern hat es dann doch wieder Krach gegeben, nicht lange, aber heftig. Das ist alles was ich ihnen erzählen kann, es tut mir so leid für die Frau.

Danke, sagte der Beamte, es ist für uns Wichtig, dass wir uns ein Bild machen können. Er verstaute sein Handy und den Notizblock in die Tasche. Ich schreibe heute Nachmittag den Rapport und bitte sie, ihn dann morgen bei uns zu unterschreiben. Geht das? Sie nickte.
Er stand auf, gab ihr die Hand und sagte, ja, solche Sachen tun auch mir immer wieder Leid.
 
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