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Würde

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Das kleine Mädchen hüpft vergnügt zwischen den Einkaufswagen des Grossverteilers hindurch, an den Auslagen mit den Früchten, dem Gemüse vorbei. Seine Mutter mahnt es zur Vernunft, zu ordentlichem Verhalten, sehr laut und offensichtlich gestresst, in einer Sprache die ich nicht verstehe, die Botschaft verstehe ich aber sehr genau. Wäre ich das kleine Mädchen, ich würde sie ernst nehmen.
Aber das Mädchen sieht nicht was ich sehe, sieht in ihrer Mutter nicht die überforderte Frau, die in der abendlichen Hetze nach ihrer Arbeit noch schnell einkaufen muss, nachdem sie wohl die kleine Tochter vom Tageshort abgeholt hat. Nein, das Mädchen sieht dies nicht, wie sollte es auch? Es tänzelt weiter in den anmutigen Bewegungen und dem Rhythmus, den eine fremde Kultur in seine Gene eingeschrieben hat, zwischen Kunden und Waren hindurch, bis es an die kunstvoll zu einer Pyramide aufgeschichteten Orangen stösst, so unglücklich, dass viele der Früchte auf den Boden fallen und zwischen den Einkaufswagen und den eiligen Füssen der Kunden herumrollen. Es erschrickt, ist den Tränen nahe, hält sich an den Beinen der Mutter fest.
Die Ohrfeige lässt in ihrer Heftigkeit auch mich zusammenfahren. Das Mädchen bleibt stehen, schaut scheu auf die Leute, die Zeugen seines Missgeschicks geworden sind.
Wie gerne würde ich für es einstehen, würde darauf pochen wollen, dass auch ein Kind ein Recht auf Würde hat, die nicht auf diese Weise verletzt werden dürfte. Aber ich sehe seine Mutter, die in dem fremden Land doch alles richtig machen möchte. Sie und ihre Kinder.
 
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Kommentare  

Ein sehr aktuelles Thema. Viele regen sich über die vielen Ausländer auf, aber sieht man auch richtig hin? Fünfzig Prozent (Tagesspiegel) der Asylanten haben bereits eine feste Anstellung und ....sie wollen uns gefallen. Nehmen wir doch die ausgestreckte Hand entgegen und drücken sie ganz fest und sagen laut : "Ihr seid uns willkommen!"

Marco Polo (22.02.2020)

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