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4 Seiten

zum Mai

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Frühling/Ostern
Der Frühling ist schon eine Zeit lang da. Hat´s jemand bemerkt?.
Der Aprilsturm treibt die Wolken über Land, Städte und Dörfer, fegt die letzten verdorrten Blätter des vergangenen Jahres von den Bäumen. Das Alte ist vorbei, endgültig, das Neue sprießt und blüht mit Macht und Kraft. In den Gärten der vornehmen Jugendstilhäuser wachsen Tulpen, Hyazinthen. Da und dort halten vereinzelt und nahezu verblüht, trotzige Krokusse und Schneeglöckchen die Köpfchen aus dem Gras. Ihre Zeit ist vorbei, ihre Pflicht getan; schon wirken sie überflüssig, passen nicht mehr in die Zeit, denn der Frühling ist schon weiter und doch ... wie freuten wir uns über diese ersten Propheten der warmen, der hellen Tage, die Kraft, erste Farben, Hoffnung und Zuversicht predigten. Wie wir an den Gartenzäunen vorbei flogen, die vom leuchtenden warmen Gelb der Forsythiensträucher bedeckt wurden. Lange scheint´s her zu sein, dabei liegen nur wenige Wochen zurück. Und erst die Primel! Im Januar, als es noch um 18 Uhr dunkel war, wurden sie in den Märkten und Gärtnereien angeboten. Erinnert ihr euch? Sechs Stück blühen noch in meinen Balkonkästen und ehrlich, ich denke an die neuen, die frischen Pflanzen und bin gedanklich schon im Frühsommer.
Oma saß selten auf ihrem Balkon. Hauptsächlich im Mai, wenn der Flieder blühte. Genau gesagt waren´s zwei, nämlich ein violett und ein weiß blühender Baum Vor´m Haus standen sie, zwischen Küchenfenster und Balkon. Was für eine Pracht und Üppigkeit; eine Verschwendung von Duft und Schönheit. Vier Wochen ging die Herrlichkeit, dann begannen die weißen Blüten braun zu werden und die violetten wirkten zunehmend matt und müde. Die Nachbarn kannten Omas Herz, warteten geduldig und standen ab der dritten Woche mit Schere und Tüte vor´m Gartentürchen. Zwei Wochen wollte Oma die Flieder nur für sich haben, sie ansehen, riechen und sich dran freuen, dann erinnerte sie die Stimme, wie immer in den vergangenen vierzig Jahren, dass sie verwelken würden, so oder so, aber in einer Vase machten sie den Anderen noch kurzweilig Freude, Es hat ja nicht jeder Fliederbäume vor´m Küchenfenster stehen.
Kürzlich stand ich im Geschäft einer Telekommunikationsfirma und beobachtete einen älteren Herrn, der einem Kundenberater die Probleme mit seinem Smartphone schilderte. Ich kann mir beim besten Willen – und ich gebe mir die allergrößte Mühe und besitze eine schier unendlichen Fantasie – Oma und Opa mit einem dieser Dinger hantieren sehen. Beide waren eh keine Freunde von langen Telefongesprächen., Nein, sie wären unglücklich in der heutigen Zeit, fühlten sich fehl am Platz, fehl in der Zeit und wären fehl in der Welt.
“Lass mich in Ruhe mit deinem neumodischen Zeugs!“ Das bekam ich auch von Mutter zu hören, der ich begeistert die neueste Platte von Suzi Quatro vorspielen wollte. Wir waren in den 70ern und das modernste zu was Mutter sich aufraffen konnte – und ihre wippenden Füße verrieten sie, dass sie es gern hörte, war Bill Haley und Jerry Lee Louis. Bei denen hielt ich mir die Ohren zu und konnte sie nicht mit dem Begriff „modern“ zusammen bringen. Der Sohn meines Cousins schaut mich verständnislos an wenn ich bei der Musik von Pink Floyd ins Schwärmen gerate und seine Tochter dreht sich höflich zur Seite wenn sie gähnt. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde zu Anderen: „ Lass mich in Ruhe mit deinem neumodischen Zeugs- ist ja keine Musik und überhaupt, wie sind die bloß angezogen.“ Es ist zum Heulen, es gibt keine gute Musik mehr– damit meine ich natürlich die Musik aus „unseren“ oder zumindest aus „meinen“ Tagen. Dann sehe ich mir auf Youtube die aktuellen Konzertmitschnitte von Bands wie Deep Purple oder Kiss an und versinke vor Verlegenheit und Scham fast im Boden. Mal ehrlich: Ein über 70 jähriger Gene Simmons singt von einer „Christine Sixteen. Der Song ist mindestens 46 Jahre alt und der Bassist von Kiss war mindestens 46 Jahre jünger als er hinter jedem Rockzipfel her war. Auch bei Deep Purple mit ihrer „Woman from Tokyo“ und ihrem Kracher „Highway Star“ tut sich im Jahre 2023 ein Glaubwürdigkeitsproblem auf.

Warum stirbt, vergeht und verblüht alles? Kaum ist es da, ist es auch schon am Sterben, am Vergehen, am Verblühen. Haben die Weidenkätzchen wirklich geblüht? Hab sie gar nicht gesehen. Mein Gott, warum muß er, warum sie sterben – hat doch noch gar nicht gelebt, hat gerade erst zu leben begonnen?
Gott, wie lang geht das denn noch?, ist ja nicht mehr auszuhalten, kann und will kein Mensch mehr sehen, mehr hören, aus, vorbei-bloß weg damit!

Wer von euch kennt noch „Stairway to heaven“von Led Zeppelin und wippt mit den Füßen im Takt und genießt das Stück wenn ´s im Radio oder auf einer Party gespielt wird?, und ehrlich, wollt ihr Robert Plant, Jimmy Page und John Paul Jones mit ihrem heutigen, mit ihrem aktuellen Aussehen wirklich auf einer Bühne sehen und hunderte von Euros oder Dollars hinlegen dafür? Wusstet ihr, dass es ein ungeschriebenes Gesetz gibt, das es euch verbietet, in einem Musikinstumentenladen auf einer Gitarre „Stairway to heaven“ auszuprobieren? Manche Ladenbesitzer reagieren auch auf den Riff aller Riffs „kurzatmig“ - auf das legendäre „Smoke on the water“ von Deep Purple.
Im Supermarkt gibt’s wieder die guten alten „Treets“ und aus Twix wird wieder „Raider“ - ach, früher war alles besser …., sag ich heute wehmütig und erinnere mich beschämt an einen Schwur, den ich mir einmal machte; nämlich niemals zu werden wie meine Eltern, die mir sowas von auf die Nerven gingen mit dem Spruch: „Früher war alles besser.“ oder Oma und Opa, die ebenfalls immer von früher schwärmten, dabei erlebten sie den Aufstieg Hitlers und unzählige Bombennächte in kalten Kellern, wurden regelmäßig von ihren Vätern mit dem Gürtel und in der Schule vom Lehrer mit dem Rohrstock verprügelt. Oma wurde mit dreizehn Jahren in die „Fremde“ zum Arbeiten geschickt und diente als Magd sechs Jahre lang in fremden Haushalten, Ihr Vater war froh, einen „Fresser“ weniger am heimischen Tisch zu haben und nun zusätzliches Geld zu bekommen.
Will ich meine alten Zeiten wieder zurück haben, nochmal erleben, durchleben? Das ginge nur wenn auch die schlechten, die traurigen, die elenden Zeitabschnitte mit dabei wären. Entweder ganz oder gar nicht. Darauf kann ich aber dankend verzichten. Um keinen Preis der Welt will ich da nochmal durch. Alles hat seine Zeit, muss wenigstens ein mal durchlebt werden.
Oma und Opa sind im Himmel, oder auf der „anderen“ Seite, oder „zuhause“, wie auch immer man dazu sagt. Ich vermisse sie einerseits schrecklich. Ich erinnere mich aber auch an Opas Grantigkeit, an sein Gepoltere, seine Herrschsucht. Wär er heute anders? Nein, wär er nicht. Er war ein „ausgewachsener Charakter.“ Würde es Sinn machen, wenn sie heute noch um mich, um uns, in unserer Mitte wären? Nein! Würden sie sich in der heutigen Zeit wohl fühlen und zurecht finden? Definitiv nicht!
Ich komm nochmal auf die Weidenkätzchen zu sprechen. Die gehören zu meinen absoluten Lieblingen in der Natur – zusammen mit den Schneeglöckchen sind sie für mich, wie eingangs erwähnt, die ersten „Propheten“ die mir versprechen, dass die Tage wieder länger, die Temperaturen wärmer und die Natur bunter wird. Natürlich waren sie da, aber es wurmt, ja, es schmerzt, sie nicht gesehen zu haben, womöglich an ihnen vorbeigegangen und sie gar nicht bemerkt zu haben. Die Spargel- und Erdbeersaison ist auch so richtig am Anlaufen, bis 21 Juni soll´s wieder Spargelzeit sein; das wären dann gerade mal sechs Wochen. Vor sechs Wochen blühten die Forsythiensträucher wie verrückt – alles in der Straße leuchtete gelb – schon vorbei mit der Pracht! Ich halt gerade an jeder Ecke wo ein Fliederstrauch steht und tue einen langen, tiefen Zug. Will ich Flieder zu Weihnachten haben, im Herbst? Nein, bloß nicht! Ist es dann richtig daß der Flieder nur etwa vier bis sechs Wochen blüht – ist es richtig, dass im Radio kein „Stairway to heaven“ mehr gespielt oder nur noch alle paar Schaltjahre aufgelegt, wird – ist es dann auch in Ordnung, wenn wir kommen und manche von uns früher, andere später wieder gehen- könnte man Frieden schließen mit der Zeit, der Begrenzung, dem Verwelken, dem Vergehen, dem Sterben? Macht es, aus dieser Perspektive gesehen und empfunden, Sinn?
Morgen ist der erste Mai. Macht was schönes draus! Kommt nur einmal im Jahr wie die Schneeglöckchen, die Krokusse, die Forsythiensträucher, die Flieder, die Weidenkätzchen. Den Frühling gibt’s einmal, den Sommer, den Herbst und Winter – jeweils einmal. Nochmal – macht was schönes draus!
 
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