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4 Seiten

the new deal

Schauriges · Kurzgeschichten
rosa wagt es nicht den klingelknopf zu druecken, dann waere es wohl zu spaet umzukehren. zaghaft leutet sie bei der kinderbetreuungsstaette im hochpaterre. um diese zeit ist dort ein reges kommen und gehen und so wird ihr umgehend aufgemacht. ein zeichen? zoegerlich macht sie sich daran die stufen bis in den dritten stock hinaufzugehen. kraftlos fuehlt sie sich, ihre beine scheinen die zarte person kaum tragen zu wollen. das kommt sicher vom gewichtsverlust in den letzten wochen denkt sie bei sich. und wie immer bei solchen gelegenheiten kraeuselt unwillkuerlich ein selbstgefaelliges laecheln rosas lippen; stets hat sie sich den schlanken koerper ihrer maedchentage bewahrt ueber die jahre. das war michael wichtig gewesen und seine bewunderung hatte sie genossen wann immer sie auf sie traf.

von drinnen vertraute stimmen. es ist der zweite samstag im monat, halb vier uhr nachmittags. wie immer hat man sich also um drei uhr schon versammelt. unueberhoerbar, selbst durch die geschlossene tuer, das lachen von frau kirsch. rosa spuert eine welle des aergers in sich hochsteigen. dass die anderen nicht annehmen konnten, dass sie kommen wuerde, ist ihr durchaus bewusst. aber musste man sie gleich durch frau kirsch ersetzen, dieser person, deren umgangsformen und schlechter modegeschmak mehr als einmal ein thema in eben dieser runde gewesen waren? andererseits muesste das spiel sonst wohl ausfallen, denkt rosa, holt tief luft und leutet an.

robert oeffnet die tuer. immer noch die verschmitzen hellen augen unter dem buchhalterscheitel, der ueber die jahre deutlich in richtung nacken gewandert ist, und sich nun schon grossteils ergraut zeigt. "ich wusste es doch!" triumphiert er waehrend seine frau, die aufgeregt herbeigekommen ist, rosa wortlos in die arme nimmt. "ach toni" fluestert rosa mit erstickter stimme und eine traene tropft auf ihr halstuch.

"ist ja gut, wenn du nur immer weisst wer deine Freunde sind, kind." wie die zeit in ihrem fortschreiten liebe gewohnheiten zu absurditaeten verkommen laesst, denkt rosa und hoert auf zu frieren. nun ist antonia schon seit ein paar jahren gossmutter, ja sie selbst koennte nachkoemmlinge in den zwanzigern haben, und noch immer gilt sie als "kind" ihrer muetterlichen freundin.

frau kirsch laechelt suesslich ueber ihrer mokkatasse: "ach nein, wie schoen, dass sie es doch noch einrichten konnten, stellen sie sich nur vor, frau bern hat vor wenigen minuten angerufen" - "was ist mit margot?" unterbricht rosa sie aengstlich. "nur eine leichte grippe, sie hat es vernuenftiger weise vorgezogen zu hause zu bleiben" bringt robert frau kirsch, die schon wieder atem fuer den naechsten redeschwall geholt hat, vorlaeufig zum schweigen. "jetzt sind wir schliesslich doch noch zu viert und unser spiel kann stattfinden.

das wuerde-" antonia beisst sich auf die lippen, doch vergebens. "das wuerde michael sich wuenschen", hallt es in rosas geist nach. jeder im raum kann das wahrnehmen. "lass uns beginnen" unterbricht rosa die unbehagliche stille, setzt sich auf den freien platz gegenueber frau kirsch und oeffnet die mahagonibox mit den spielkarten.

das ueber die zeit tausendfach zelebrierte ritual des austeilens, sowie der anblick roberts wie er stirnrunzelnd seine karten aufnimmt sind rosa so lieb und vertraut, dass sie sogar ueber die tatsache sich nun frau kirsch als bridge-partnerin gegenueberzusehen milde laecheln kann. und als nun runde um runde, spiel um spiel seinen weg nimmt, spaziert rosa in den jahren zurueck, ohne furcht, dass jemand ihre abwesenheit bemerken koennte.

***

unzaehlige bilder einer langen, gemeinsamen zeit vor rosas geistigem auge. wie viele nachmittage hatte sie hier verbracht. in ebendiesem stuhl sitzend. zerbrechlich und klein hatte sie sich oft gefuehlt, zu beginn, als die juengste der runde, unerfahren im kartenspiel wie im leben. und michael, stets ihr gatte und lehrmeister. weltgewandt, angesehen und intelligent. das machte ihn bei vernuenftiger ueberlegung ganz offensichtlich liebenswert. ihm angehoeren zu wollen hatte von vorne herein allein schon rosas selbstwertgefuehl gefordert.

non anfang an hatte zwischen den beiden eine art universelles einverstaendnis geherrscht, um das sie von aussenstehenden stets beneidet wurden. niemals hatte das paar es noetig die freunde am bridgetisch unfreiwillig in privatangelegenheiten einzuweihen. dass sie sich nie aneinander gerieben hatten stand nicht im widerspruch zu der grundsaetzlichen verschiedenheit ihrer natur.

michael auf der einen seite, der herrscher, der visionaer, der komet, der brennend auf die Welt herniederstuerzt und jede mauer bezwingt, die sich ihm in den Weg stellt. und rosa dagegen, gleichmuetig, sanft und bewahrend, willens dem, den sie sich erwaehlt hat, fuer immer zur seite zu stehen. jeder der beiden bildete den kontrapunkt des anderen in einer vollkommenheit, die keinen platz gelassen hatte fuer zwischenraeume.

und so behuetet konnte rosa all die dinge, die sie sich in kuehnen jungmaedchentraeumen anders gewuenscht hatte, irgendwann fuer nichtig erklaeren, eine einsicht auf die sie sehr stolz war. michaels kleine demuetigungen wurden fuer sie im laufe der zeit zu wohlgemeinten winken, die ihr geholfen hatten auf ihrem gemeinsamen weg. dem alter entgegen.

zudem hatte rosa eines nie in frage gestellt; ihre entscheidung fuer ein leben an michaels seite konnte nur die einzig richtige gewesen sein. ohne ihn, darueber war sie sich zu jedem Zeitpunkt ihres zusammenseins voellig klar gewesen, wuerde sie nichts sein als verloren.

***

"kind, bist du in ordnung", antonia drueckt rosas hand, "ist es sicher nicht zuviel fuer dich?" "nein, nein, es ist nur... ich zweifle." robert sieht sie ernst an "das solltest du nicht. das hilft michael nicht weiter." und endlich kann rosa ihre fassung nicht mehr laenger behalten. "vielleicht habe ich nicht genug getan, ein mensch verschwindet nicht einfach von heute auf morgen. haette ich es denn ahnen muessen?" rosa presst ihre schmerzverzerrten lippen an das taschentuch in ihrer hand. fuer wenige minuten ist es ganz still.

"die polizei ist kurz davor die suche aufzugeben", setzt sie schliesslich ermattet fort, "durch den frost, der kurz nachdem ich die vermisstenazeige aufgegeben habe, eingebrochen ist, verschieben sich bestimmte massnahmen bis in den Frühling, sagte mir der einsatzleiter."

mit diesen worten nimmt rosa ihre karten wieder auf. frau kirschs wangen gluehen. offensichtlich findet sie die ganze sache mit michael sehr aufregend und kann es kaum erwarten sich mit ihren bekannten, oder besser gesagt jedem, der opfer ihres uebermaessigen mitteilungsbeduerfnisses wird, ueber rosas ausbruch gerade vorhin auszutauschen. sie sei ja so stark gewesen bisher, jetzt in diesen schweren tagen.

rosa zuckt unmerklich mit den schultern. es waere dies die erste gelegenheit die frau kirsch auslassen wuerde zu versuchen sich in ihre kreise zu draengen. aber was gilt ihr das jetzt? "passe" sagt rosa und meint es sehr ernst.

"er wird bestimmt zurueckkommen. sie werden michael finden." fuehlt sich frau kirsch noch bemuessigt einzustreuen.

rosa nippt am kaffee und sieht durch sie hindurch. daran kann sie beim besten willen nicht mehr glauben. schliesslich hat sie ihn wirklich gut versteckt.
 
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Kommentare  

WOW

Die Kleinschreibung hält mich zwar unnötig auf.
Aber....das war gut in Aufbau und pointiertem Ende.

Ich weiß nicht, ab wann ich ahnte, was kommt wird, aber ich glaube, es war erst ganz am Schluss, als Rosa an die vielen kleinen Demütigungen dachte, die angeblich vorsorgliche Winke gewesen sein sollen.

Eine sehr gute Arbeit
5 Punkte


Lies (27.03.2003)

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